Renaturierungs-Exkursion an die Ruhr bei Wickede und Arnsberg

Den Durchblick behalten: Jürgen Klingel (im karierten Hemd) im Gespräch mit Exkursionsteilnehmern (Foto: T. Richter-Arnoldi)
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  • Den Durchblick behalten: Jürgen Klingel (im karierten Hemd) im Gespräch mit Exkursionsteilnehmern (Foto: T. Richter-Arnoldi)
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Kiesbänke, Totholz und Sinnesstationen: Das sind nur drei von vielen Begriffen, die bei der Exkursion am 27. Juni erläutert wurden. Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte interessierte Hattingerinnen und Hattinger eingeladen, sich selbst ein Bild von den bereits renaturierten Abschnitten der Ruhr bei Wickede und Arnsberg zu machen.

Rund 20 Personen, sowohl Befürworter der für Hattingen geplanten Maßnahmen als auch Skeptiker, waren der Einladung gefolgt und bestiegen am Rathaus den bereitgestellten Bus - unbeirrt davon, dass Hunderte andere zum Altstadtfest strömten. Jürgen Klingel, der bei der Bezirksregierung Düsseldorf verantwortlich ist für die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie im Winzer Bogen und der die gesamte Exkursion leitete, hieß sie willkommen und gab einen kurzen Überblick über den geplanten Verlauf des Nachmittags. Einen weiteren kurzen Gruß schickte Petrus, als die Gruppe in Wickede gerade den Bus verlassen und sich auf den Weg zum Ruhrufer gemacht hatte. Es blieb jedoch der einzige Regenschauer an diesem Nachmittag, an dem sich ja auch sonst alles ums Wasser drehte.

Die Ruhr - nutzbar gemacht oder aus-genutzt?

In Wickede wurde gleich zu Beginn sichtbar, dass die Ruhr auch in ihrem Oberlauf, wo sie nicht für die Verschiffung von Kohle und Stahl benötigt worden war, ihren natürlichen Charakter als Fließgewässer streckenweise verloren hatte. Hier war es die Energiegewinnung aus Wasserkraft, die dazu geführt hatte, dass die ganz überwiegende Wassermenge abgezweigt und durch einen schmalen Kanal geleitet wurde, bevor sie etwa 2 km weiter wieder ins Flussbett zurückfließen konnte. Vom eigentlichen Flusslauf war so nur noch ein schmales, wenig belebtes und beliebtes Rinnsal übrig geblieben. Einziger Vorteil dieser Situation: Während der Renaturierungsarbeiten (die im vorigen Jahr beendet wurden) konnte das Flussbett in diesem Abschnitt komplett trockengelegt und somit weniger aufwändig umgestaltet werden. Anschließend wurde die für die Kraftwerke abgezweigte Wassermenge reduziert, so dass heute mehr Wasser durch das nun mäandernde Flussbett fließt als vor der Renaturierung.

Erläutert wurde dies vor Ort von Ulrich Detering, dem Verantwortlichen der Bezirksregierung Arnsberg für die Renaturierung der Ruhr bei Wickede. Er und ein weiterer Kollege führten die Gruppe auf einem Uferweg durch ein Naturschutzgebiet und wiesen auf zahlreiche Besonderheiten hin, die aus dem einstigen Rinnsal wieder einen lebens- und liebenswerten Fluss gemacht haben - für Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen. Auffallend sind auf den ersten Blick große, alte Bäume, die teils als Totholz im Flusslauf liegen und teils auf Inseln mitten im Fluss stehen. Letztere sind, weil sich diese Inseln durch die Wasserkraft immer wieder verändern, "das Totholz von morgen", wie Herr Detering erklärte. Derweil konnte man im Hintergrund Kanuten beobachten, die ihre Boote über eine Untiefe hinwegtrugen. Der ökologisch intakte Flusslauf hat hier eben eine höhere Priorität als die durchgängige Befahrbarkeit mit Kanus.

Das einzig Störende an diesem Flussabschnitt waren einige Feuerstellen, die ihre letzten Nutzer als äußerst fragwürdige "Naturliebhaber" entlarvten: Grillschalen aus Alu, Bier- und Wodkaflaschen und anderer Müll waren hier einfach zurückgelassen worden. Ein Teilnehmer brachte seinen Unmut so auf den Punkt: Er begreife nicht, warum die Leute die vollen Flaschen dorthin schleppen könnten, es ihnen aber zu viel sei, die leeren wieder mit zurück zu nehmen.

Arnsberg: Nachhaltige Verbesserungen, verschiedene Akteure

Teil zwei der Exkursion führte die Gruppe dann ins nur wenige Kilometer entfernte Neheim, wo die Ruhr im Ortsteil Binnerfeld bereits 2007 renaturiert worden ist. Nach einer kleinen Stärkung (Hefeteilchen und Erfrischungsgetränke hatte Jürgen Klingel mitgebracht) standen den Teilnehmern hier weitere Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg Rede und Antwort. Rolf Dietz, mit verantwortlich für die Renaturierung bei Arnsberg, erläuterte nicht nur die von Schülern verschiedener Schulen angelegten "Sinnesstationen", sondern wusste beispielsweise auch anschaulich die Bedeutung von Kiesbänken für den Artenreichtum in der Fischwelt zu erklären.

Warum Kiesbänke besser sind als Buhnen

Barben etwa benötigen für das Ablaichen unbedingt flache, unbewachsene Kiesbänke. Da sich darauf aber schon binnen eines Jahres wieder Pflanzen ansiedeln, ist es für sie (und auch andere Fischarten) sehr wichtig, dass sich die Kiesbänke immer wieder verlagern bzw. neu bilden können. Das wiederum kann nur geschehen, wo das Flussbett relativ flach ist und das Wasser durch Inseln und andere Hindernisse zu einem Wechsel der Fließrichtung gezwungen ist. Deshalb wurde hier (wie auch in Wickede und wie es für den Winzer Bogen geplant ist) das Flussbett auf etwa das Dreifache seiner vorherigen Breite aufgeweitet und zugleich mit dem am Rand abgegrabenen Boden und Kies aufgefüllt bzw. angehoben. Nun gestaltet jedes Hochwasser den Flusslauf wieder um.

Vielfacher Gewinn und ständige Sicherung der Ergebnisse

So wurde aus einem öden und langweiligen "Kanal" ein lebendiges, dynamisches Fließgewässer in einer Auenlandschaft, die wieder einer großen Vielfalt von Lebewesen einen Lebensraum bietet. Und nicht nur das: Auch die Beliebtheit dieses als Naherholungsgebiet genutzten Flussabschnittes bei Spaziergängern und Radlern hat zugenommen, und zugleich wurde der Hochwasserschutz für die nahe gelegene Siedlung nachhaltig verbessert.

Ein ständiges "Monitoring" dient dazu, die Veränderungen zu dokumentieren. So wird der Flusslauf z.B. durch Drohnen an festgelegten Stellen jährlich von oben fotografiert, so dass vergleichbare Bilder der Inseln und Kiesbänke entstehen. Als eine weitere Maßnahme wurden einige Barben mit einem Sender ausgestattet, damit ihre Position überwacht und u.a. ihr Laichverhalten besser beobachtet werden kann. Auch darüber hinaus wurde und wird der gesamte Verlauf der Renaturierung und ihrer Auswirkungen mit wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet.

Ein eindrucksvoller Nachmittag mit guten Perspektiven

Die Zeit, obschon mit fünf Stunden nicht knapp bemessen, reichte schließlich doch nicht, um den geplanten längeren Gang entlang dieses renaturierten Flussabschnittes zu Ende zu bringen. Sicher wäre noch einiges Interessante mehr zu entdecken gewesen. Doch mindestens ebenso wichtig war es, in Ruhe die aufkommenden Fragen stellen zu können bzw. beantwortet zu bekommen. Und dabei gaben sich die beteiligten Mitarbeiter der Bezirksregierungen Düsseldorf und Arnsberg die größte Mühe, so dass am Ende alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit vielen neuen Eindrücken und Erkenntnissen die Rückfahrt antreten konnten. Sie hatten es nun mit eigenen Augen gesehen: Die Perspektiven für die Ruhr bei Hattingen sind so vielfältig wie vielversprechend.

Als der Bus schließlich wieder vor dem Rathaus hielt, hatte der Abend gerade erst begonnen. So war es nicht verwunderlich, dass es einige gabe, die ihr Weg dann doch noch zum Altstadtfest führte, wo gutes Essen und unterhaltsame Musik den Tag abrundeten.

Alle Fotos von diesem Tag als Videoclip (ca. 3 Min.):
http://www.lokalkompass.de/arnsberg-neheim/natur/renaturierungs-exkursion-lebendige-bilder-videoclip-ca-3-min-d563941.html

Weitere Fotos aus Neheim in meinem Beitrag vom 11.05.14 und einem weiteren über Wasseramseln an der Ruhr

Links zur Ruhr-Renaturierung in Arnsberg:
Renaturierung Ruhr 'Binnerfeld' Arnsberg-Neheim
Spielerisch Lernen - Schüler errichten Sinnesstationen an der Ruhr
Biologie-Kurs Realschule Neheim: Spielerisch über Gewässergüte viel erfahren
Flora und Fauna entwickeln sich an Ruhr in Arnsberg gut (besonders interessant für Angler)
Die wilde Natur erlebbar machen
Ruhr-Renaturierung der Stadt Arnsberg ein bundesweites Vorbild
Renaturierte Ruhr macht Arnsberg lebenswert

Links zur Ruhr-Renaturierung in Wickede:
Bürgergemeinschaft Wickede zur Renaturierung der Ruhr
Bei Renaturierung Fische aus den Tümpeln retten (besonders interessant für Angler)
Die Ruhr soll breiter fließen (besonders interessant für Kanuten)

Die besuchte Strecke als Radtour:
Ruhrtalradweg Etappe 2: Von Arnsberg nach Unna

Autor:

Torsten Richter-Arnoldi aus Hattingen

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