Menschen werden zu Zahlen - 100 weitere Flüchtlinge untergebracht

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100 weitere Flüchtlinge wurden am Sonntag in der Pestalozzischule aufgenommen

"Please wait - in five minutes you can go in", Worte, die aus organisatorischen Gründen ein absolutes Muss darstellen, bei den Menschen vor Ort jedoch eine gewisse Angst hervorrufen: Warum kann mein Mann nicht rein? Was ist mit meinem Bruder? Was passiert denn jetzt?

Circa 15 Uhr nachmittags ist es, als Alexander Robl (Deutsches Rotes Kreuz) den Anruf von der Bezirkregierung erhält: 100 weitere Flüchtlinge sind in der Pestalozzischule unterzubringen! Heute (Sonntag, 6. September) um 20 Uhr soll der Bus ankommen.

“Und plötzlich standen 100 Feldbetten auf dem Hof”

Sofort beginnen die Vorbereitungen - denn schließlich sind bereits rund 150 Menschen in der Notunterkunft untergebracht. Die Feuerwehr reagiert spontan. “Und plötzlich standen 100 Feldbetten auf dem Hof”, lobt Robl.

Anke Kalina und viele, viele ehrenamtliche Helfer, die teilweise schon seit 11 Uhr vor Ort sind und die Kleiderspenden zu sortieren versuchen, bleiben direkt vor Ort und packen mit an! Am Abend muss alles wie am Schnürchen laufen. Die Menschen müssen aufgenommen, registriert, ärztlich untersucht und mit dem Nötigsten ausgestattet werden. Kein Leichtes - denn der Alltag in der Notunterkunft geht ja weiter.

Doch wo sollen weitere 100 Menschen überhaupt schlafen? Die Turnhalle ist doch bereits belegt und das Gebäude der Pestalozzischule noch nicht startklar? Ich spreche mit Robl und erfahre, dass die Etagen des Schulgebäudes kurzfristig “freigegeben” und daher die einzelnen Klassenräume jeweils mit bis zu 25 Feldbetten inklusive selbstaufblasende Kissen und Decken ausgestattet wurden.

Kommen sie oder kommen sie nicht?

Mittlerweile wird es dunkel und kühl. Die Bewohner der Pestalozzischule machen sich auf ins Haus. Der Catering-Service ist vor Ort und stellt das Abendbrot für die weiteren Flüchtlinge bereit. Das Zelt wird provisorisch geheizt. Das Warten beginnt!

Rund eineinhalb Stunden später ist immer noch kein Bus angekommen. Im Laufe des Tages sollen rund 3580 Menschen aus Syrien, Irak, Afghanistan und Co. über Ungarn in NRW eingetroffen und auf die verschiedensten Notunterkünfte verteilt worden sein. Die der Pestalozzischule angekündigten Flüchtlinge, direkt mit dem Bus aus Dortmund kommend, scheinen jedoch “verschollen”. Irgendwas ist da gewaltig schief gegangen. Die Informationen passen nicht zusammen. Nach etlichen Telefonaten und einer langen Wartezeit beginnen Robl und Anke Kalina, die ehrenamtlichen Helfer nach Hause zu schicken. Denn niemand weiß: Kommen sie oder kommen sie nicht?

41 müde und geräderte Menschen steigen aus dem ersten Bus

Doch plötzlich ein Anruf: Ein Bus ist bereits unterwegs nach Arnsberg - ein Zweiter soll folgen!

Es ist 22.45 Uhr und innerhalb kürzester Zeit ist die provisorische Registrierung im Foyer des alten Schulgebäudes aufgebaut, als es auch schon heißt: Der Bus ist da.

41 müde und geräderte Menschen steigen aus dem Bus - Männer, Frauen mit Babys im Arm und Kleinkinder! Zunächst dürfen wir nur 25 Personen zur Registrierung schicken. Die restlichen Männer, Frauen und Kinder müssen warten. Mittlerweile hat es zu nieseln begonnen. Angst macht sich breit. “Das ist mein Mann, warum darf er nicht rein?”, heißt es sinngemäß von einer Frau. Mit ruhiger Stimme erklären wir, dass die anderen Menschen in fünf Minuten nachkommen. Ob sie uns wirklich verstehen? Diese Frage bleibt offen!

Trotz Müdigkeit weit aufgerissene Kinderaugen trüben den Eindruck und lassen mich für wenige Sekunden starr erscheinen. Was diese Kids wohl mitgemacht haben? Der Krieg, die Flucht - womöglich über das Meer? Wir wissen es nicht.

Jeder bekommt eine Nummer

Die Registrierung hat bereits begonnen. Etliche Menschen stehen vor den Schreibtischen und halten ihre Papiere bereit. Es interessiert jedoch nur ein Papier - das, wo der Name, die Herkunft und das Geschlecht drauf stehen. Die Nummern werden verteilt - jeder bekommt ein Armband. Nur so ist es organisatorisch möglich, die Menschen auseinander zu halten.

Ein kleines Mädchen hat sich geradewegs in ein Dreirad verliebt, andere probieren den in die Ecke gequetschten Kickertisch ohne Ball aus. Eine Frau sitzt am Fenster - ihr geht es sichtlich nicht gut. Es stellt sich heraus, dass sie schwanger und sehr erschöpft ist.

Doch bevor es ins “Bett” gehen kann, müssen sie noch zum Arzt. Wir begleiten die Menschen nach und nach ins provisorisch eingerichtete Behandlungszimmer, wo sie kurz untersucht werden.

Das Dreirad kommt einfach mit

Das kleine Mädchen möchte sich gar nicht vom Dreirad trennen, als wir der Familie “ihr Zimmer” zeigen wollen - sie weint. Also nehmen wir das Dreirad kurzerhand mit hoch! Nachdem sie ihr Hab und Gut (eher gesagt: kleine Rucksäcke und eine Tüte) auf die Feldbetten gelegt haben, bringen wir die junge Familie ins Speisezelt. Hier bekommen sie ein kleines Abendbrot, bevor sie sich endlich (mittlerweile ist es 23.30 Uhr) hinlegen können.

In Ruhe schlafen wird diese Familie noch lange nicht - denn der zweite angekündigte Bus soll ebenfalls noch in dieser Nacht erscheinen. Das Prozedere wird sich wiederholen. Ruhe wird erst in den frühen Morgenstunden einkehren!

Helfer machen durch - ehrenamtlich mit Herz

Dieser Abend hat sehr viel Empathie in mir ausgelöst - und ich möchte mir gar nicht vorstellen, was die Familien und Kinder durchgemacht haben. Dennoch freue ich mich, dass sie nunmehr in Sicherheit sind - auch wenn “ihre Reise” wahrscheinlich noch lange nicht vorbei ist! Jetzt sind rund 250 Menschen in der Pestalozzischule untergebracht, bis es für sie weiter geht …!

Als ich das Schulgelände um 0.15 Uhr verlasse, sind Alexander Robl, weiteres DRK-Personal, der Caterer, die Sicherheitsleute, der Arzt und Anke Kalina mit vielen ehrenamtlichen Helfern noch bis nach 2 Uhr vor Ort! Ich ziehe meinen Hut vor diesem Durchhaltevermögen - denn zum einen müssen viele dieser Helfer am Montagmorgen ihren eigentlichen Job wieder antreten, zum anderen opfern sie nicht nur ihre Freizeit. Sie geben Herz!

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Autor:

Thora Meißner aus Arnsberg

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