Von der 24-Stunden-Betreuung in die eigene Wohnung

(v.l.) Ralf Peters, Rainer Güdden und Sylvia Knops gehören zum Team des Ambulant Betreuten Wohnens in Schneppenbaum.
  • (v.l.) Ralf Peters, Rainer Güdden und Sylvia Knops gehören zum Team des Ambulant Betreuten Wohnens in Schneppenbaum.
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„Von heute auf morgen war alles anders in Martins R. (Name geändert) Leben. Damals, vor fünf Jahren, als der heute 29-Jährige über Nacht einen Neubeginn wagte. Raus aus einem geschützten Wohnbereich mit 24-Stunden-Betreuung, rein in eine eigene kleine Wohnung. Noch mit Unterstützung durch das LVR-HPH-Netz Niederrhein, aber in den eigenen vier Wänden. Für Martin R. kein leichter Schritt.

Selbstständigkeit war bis dahin ein Fremdwort für den jungen Mann. Sobald es Probleme gab, knickte er ein, bekam Angstzustände, hatte Selbstmordgedanken, brauchte Hilfe und floh zurück in den geschlossenen Bereich. Die fünf Jahre, in denen er jetzt in der eigenen Wohnung lebt und ambulant betreut wird, haben Martin R. komplett umgekrempelt. Mit der Selbstständigkeit kamen das Selbstvertrauen und die Fähigkeit, Konflikte auszuhalten und zu lösen, anstatt wegzulaufen. Martins Erfolg ist auch die Erfolgsgeschichte eines Projektes, mit dem das LVR-HPH-Netz Niederrhein vor sechs Jahren Neuland betrat: In einem Apartmenthaus in Bedburg-Hau werden Menschen mit geistiger Behinderung und extrem hohem sozialen Integrationsbedarf im Rahmen des Ambulant Betreuten Wohnens unterstützt.

Ein mutiges Projekt, blickt Teamleiter Ralf Peters zurück. „Denn diejenigen, die hier eingezo-gen sind, kamen aus der Rundumversorgung und -betreuung eines geschlossenen Wohnbe-reichs. Das Vorgehen war gewagt, denn alle die einzogen, benötigten eine ganz besondere, sehr individuelle pädagogisch-therapeutische Unterstützung und Begleitung im Alltag, die auch in der ambulanten Betreuung im Apartmenthaus sichergestellt werden musste. Mit Tag 1 des Umzugs sollten sie auf eigenen Füßen stehen. Das war ein kompletter Wandel der Lebenssituation, „von Sonntag auf Montag war praktisch alles anders.“ Kein Wunder, dass die Zahl der Mitarbeitenden im Haus anfangs um ein Drittel höher war, als üblich. „In den ersten neun Monaten stand rund um die Uhr ein Ansprechpartner zur Verfügung.“ Die Nachtwachen wurden nach und nach abgebaut. Heute gibt es noch eine Rufbereitschaft.

Auch für die Nachbarschaft seien die Ansprechpartner wichtig gewesen. Vor dem Einzug im Juni 2011 klapperten Peters und sein Team die Nachbarschaft ab und leisteten Aufklärungsarbeit. Denn die Unruhe in Schneppenbaum war groß, als die Pläne des LVR-HPH-Netzes Niederrhein bekannt wurden. „Unsicherheit entsteht meistens durch mangelndes Hintergrundwissen.“ Unendliche viele Gespräche hätten sie geführt - der Erfolg halte bis heute an.Neun Appartements gibt es in dem modernen Haus, jedes rund 50 Quadratmeter groß, gut geschnitten. Acht sind zurzeit bewohnt, drei Frauen und fünf Männer zwischen 25 und 55 Jahren leben hier, die von acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt werden.

Heilpädagoge Rainer Güdden ist einer von ihnen. In den so genannten Hilfeplangesprächen mit jedem einzelnen Bewohner und jeder einzelnen Bewohnerin werde festgelegt, wer was alleine mache und wo welche Unterstützung gebraucht werde. Der eine vielleicht bei der Hausarbeit, weil er dazu alleine keine Lust habe, der nächste bei Geldangelegenheiten und die Dritte brauche Begleitung in der Freizeit. Für die Mitarbeitenden bedeute dies, dass es keine Arbeitszeiten von neun bis fünf gebe, sondern die Stunden den individuellen Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner angepasst werden würden. Tagsüber, wenn die meisten aus dem Haus in der Werkstatt seien, werde natürlich weniger Personal gebraucht, als am späten Nachmittag oder auch am Wochenende. Die Wochenplanungstafel für die Fachleistungsstunden sei ein kompliziertes Gebilde, schmunzelt Peters. Und: Das LVR-HPH-Netz Niederrhein setzt auf sogenannte „Hilfen aus einer Hand“, was im Klartext bedeutet, dass die Mitarbeitenden sowohl pä-dagogische und als auch pflegerische Leistungen im Rahmen des Ambulant Betreuten Wohnen anbieten.Der Umzug aus dem geschützten Bereich, sagt Güdden, sei nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner eine Umstellung gewesen, sondern auch für das Team. „Unsere Rolle hat sich verändert. Früher haben wir für die Menschen etwas gemacht, heute machen wir etwas mit ihnen.“ Aus der Fürsorge ist Kommunikation auf Augenhöhe geworden.

Autor:

Yvonne de Mür aus Kleve

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