I Am: Theater - Tanz - Performance ... und Gedanken über sich selbst

Lemi Ponifasio: I Am | Foto: Lemi Ponifasio: I Am  ;copyright: MAU company
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I Am: Der samoanische Regisseur und Choreograf Lemi Ponifasio stürzt den Zuschauer in den Fluss des Lebens oder fängt ihn im Strom der Zeit.
I Am - die Frage nach dem "Was bin ich"? Bin ich mehr Individuum in meinem Teil des Lebens oder Teil der Gemeinschaft im Strom der Zeit. Wie gehe ich mit Freiheit um - Freiheit von etwas oder zu etwas? Was ist mit Verantwortung - kann ich mich "reinwaschen"?

Man merkt dem Stück an, dass Lemi Ponifasio Philosophie und Politikwissenschaft studiert hat, bevor er 1995 in Auckland/Neuseeland die Theatercompagnie MAU gründete.
MAU, das ist das samoanische Wort für "Verkündigung der Wahrheit", es kann aber auch "Revolution, Streben nach Veränderung" bedeuten.
Diese gedankliche Veränderung strebt Ponifasio mit seiner enigmatischen Performance an.

Wir erleben Theater als Zeremonie - Langsamkeit und betonte Gesten als Programm, dazu exotischer liturgischer Gesang.
Die Körper der Tänzer, von denen einige zugleich auch Sänger sind, erinnern an Landschaften, an Tiere wie Insekten - oder sind es Engel - , Schlangen, Affen oder nur gebrochene Menschen.

Ponifasios Tanzthemen stammen aus der Naturbeobachtung (Sonnenauf- und untergänge, Dämmerung, Nacht) in seiner samoanischen Heimat. Tanz geht für ihn nicht nur vom Menschen, sondern auch von Tieren und Pflanzen aus. In einer Tanzperformance wird für ihn der Raum und dessen Erweiterung entscheidend.

Die für I Am dunkel ausgelegte Bochumer Jahrhunderthalle ist Hintergrund für ein archaisches Requiem in szenischer Schwarz-Weiß-Ästhetik.
Ursprünglich war es als Reminiszenz an den Ersten Weltkrieg gedacht, der auch über das ferne Inselvolk herein brach. Ponifasio sagt, wir seien die Erben unserer Toten des Ersten Weltkrieges. Er frage sich, was ein toter Soldat uns zu sagen hätte.
Zunächst ist das Inselreich noch mit sich und der Natur im Reinen - zeremonielle Segnungen begleiten den Alltag aus Werkzeugfertigen und Baumfällen. Dann bricht der Streit / der Krieg zwischen den Menschen aus und verändert alles: Kampfszenen folgen, Kommandos lassen Menschen marionettenhaft parieren, es folgen Mord, Besudeln, Trauer um das Opfer aber auch weitergehende Ignoranz.

Spuren von der Reminiszenz an den Weltkrieg finden sich in der blechern klingenden Fassung des Deutschlandliedes, im Bühnenbild aus hochgestellter Platte, die wie eine Panzersperre anmutet, in Kampf- und Gewehrszenen.

Das Geschehen könnte auch biblisch zu deuten sein: Zwei Männer bekämpfen sich wie einst Kain und Abel. Ein transsexueller Engel wird vom Volk misshandelt, getötet und mit Blut bespuckt. Schließlich der Gekreuzigte, der mit Eiern beworfen wird, bevor der gebeugte Mensch sich degeneriert als Affe wieder in sein Alltagsleben begibt.
Oder hören wir hier den Schrei des Individuums nach Anerkennung der eigenen Existenz im Angesicht Gottes?
Ein Tänzer, anmutend wie Jesus, hingeschlagen auf der Bühnenschräge, versucht vehement sich loszureißen, lange Zeit ohne Erfolg. Eine suggestive Video-Sequenz taucht die ganze Jahrhunderthalle in schwarz-weiße Licht-Sturzfluten und scheint alle zu ertränken.

I Am - das Subjekt auf der Suche nach persönlicher Freiheit oder als Teil der Gesellschaft mit ihrer kriegerischen Auseinandersetzung zum Durchsetzen eines politischen Willens.
Die mit Licht eingeschriebenen oder rezitierten Texte von Heiner Müller (Die Hamletmaschine) und Antonin Artaud (Schluss mit dem Gottesgericht) lassen weitere Gedankenassoziationen zu.

Der Zuschauer ist am Ende des zweistündigen Stücks beeindruckt von Bildern, Lichteffekten, Körpern und stimmgewaltigem Südseegesang. Er bleibt aber verunsichert und auf sich selbst zurückgeworfen alleine zurück. Man sucht das Gespräch mit anderen, hofft, ein Blick ins Programm bringe Erklärung, aber es bleibt dabei: Denken muss jeder selbst.

Für Lemi Ponifasio ist I Am ein Aufruf an die Schweigenden und Unsichtbaren, sich zu zeigen und sich dem zerstörerischen Imperium entgegenzustellen, nicht mehr nur gedankenlos zu funktionieren. Es geht darum zu sagen, wer man ist - I Am ...
Es geht ihm aber auch darum, das Göttliche in jedem selbst zu entdecken.
MAU - Verkündigung der Wahrheit und zugleich Streben nach Veränderung.

Autor:

Dorothea Weissbach aus Oberhausen

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