Das Schauspielhaus seit 1945

In den 1950er Jahren entstand das heutige Schauspielhaus. | Foto: Stadt Bochum, Referat für Kommunikation
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  • In den 1950er Jahren entstand das heutige Schauspielhaus.
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Am 12. September 2006 wurde nicht nur Bochum von einer Nachricht erschüttert: Das Außenlager des Schauspielhauses in Weitmar war bis auf die Grundmauern abgebrannt. Die Hilfsbereitschaft in der gesamten Bundesrepublik war daraufhin groß.

Nicht nur der finanzielle, auch der ideelle Schaden war immens. Auf 2 500 Quadratmetern hatte das Außenlager nämlich nicht nur aktuelle, sondern auch historische Bühnenbilder beherbergt. Auch Kostüme, Requisiten und wertvolle Technik waren für immer verloren.
Nicht nur das Land Nordrhein-Westfalen stand seinem renommierten Theater in dieser Ausnahmesituation hilfreich zur Seite. Viele deutsche Theater, aber auch Zuschauer unterstützten das Schauspielhaus mit Kulissen-, Kleider-, Möbel- und Geldspenden. Damit sorgten sie dafür, dass der akut gefährdete Spielbetrieb zumindest eingeschränkt aufrechterhalten werden konnte.
Hier zeigte sich wieder, welche Wertschätzung das Schauspielhaus weit über die Stadtgrenzen hinaus genießt.
Schon vor 1945 hatte Saladin Schmitt das Theater als Shakespeare-Bühne etabliert. Im Jahre 1944 wurde das Gebäude jedoch durch einen Luftangriff zerstört.
Daher wurde nach 1945 zunächst das Stadtpark-Restaurant – bekannt auch als „Parkhaus“ – bespielt. In der Zeit von Sommer 1951 bis Herbst 1953 entstand nach Entwürfen des Architekten Gerhard Graubner auf den alten Theaterfundamenten das heutige Schauspielhaus.
Heute ist an der Fassade zur Königsallee eine Plakette mit der Aufschrift „Als vorbildliches Bauwerk seiner Zeit ausgezeichnet (1945-1957)“ angebracht. Das Gebäude steht mittlerweile unter Denkmalschutz.
Auch Graubners Konzept für die Gestaltung des Zuschauerraums erregte Aufsehen. Nach dem Vorbild eines antiken Amphitheaters legte er stark ansteigende halbrunde Zuschauerreihen an. Ein ebenfalls halbrunder Rang und einige wenige Logen komplettierten das Sitzplatzangebot.
Erstmals in einem deutschen Theater wurde der Eiserne Vorhang halbrund vor der Vorderbühne angelegt. Bühnenbilder konnten so bis zur Bühnenrampe gestaltet werden. Der Vorteil lag auf der Hand: Das Bühnengeschehen rückte näher an die Zuschauer heran.
Das Interieur entsprach ansonsten ganz den Gepflogenheiten der fünfziger Jahre: nierenförmig angelegte Rauchersalons, Wand- und Deckenleuchten in floraler Form – bekannt als Bochumer „Tulpenlampen“ – , Kronleuchter, Nierentische und geschwungene Sofas.
Rund zehn Jahre später kam mit den Kammerspielen eine zweite Spielstätte hinzu. Direkt neben dem Großen Haus, auf dem Gelände des im Krieg zerstörten Adelssitzes Haus Rechen, dessen Trümmer im Frühjahr 1951 beseitigt worden waren, wurde im Oktober 1966 die zusätzliche Spielstätte mit 410 Plätzen eröffnet.
Das „Theater Unten“ entstand 1972 unter dem Zuschauerraum des Großen Hauses als kleinere Location für Studioproduktionen.
Die Geschichte des Schauspielhauses nach 1945 wurde maßgeblich durch engagierte, aber auch streitbare Intendanten geprägt.
Hans Schalla drückte dem Haus von 1949 bis 1972 als Intendant seinen Stempel auf – keiner seiner Nachfolger kann eine auch nur annähernd so lange Amtszeit vorweisen.In den fünfziger und sechziger Jahren inszenierte er Stücke moderner Autoren wie Jean-Paul Sartre und Samuel Beckett. Nicht unumstritten waren vor allem seine Inszenierungen der Stücke Bertolt Brechts. – Schließlich herrschte Kalter Krieg.
Provokation war auch ein zentrales Element der Intendanz Peter Zadeks von 1972 und 1979 .Er eröffnete seine erste Spielzeit mit der Revue „Kleiner Mann - was nun?“ nach Hans Falladas Roman. Auf der Bühne standen Größen wie Rosel Zech, Hannelore Hoger und Tana Schanzara.
Auch Ulrich Wildgruber, Hermann Lause, Fritz Schediwy und Herbert Grönemeyer schauspielerten unter Zadek. Rainer Werner Fassbinder, Rosa von Praunheim und Werner Schroeter lieferten Regiearbeiten.
Im Jahre 1979 übernahm Claus Peymann das Ruder. Anfang der achtziger Jahre führte er das Bochumer Schauspiel zu neuer Blüte. Unvergessen ist ein Bochumer Ensemble mit Gert Voss, Kirsten Dene und Traugott Buhre.
Zu dieser Zeit galt das Schauspielhaus als innovativstes Theater der Bundesrepublik. Peymanns Schwerpunkt waren Uraufführungen zeitgenössischer Autoren - Thomas Bernhard, Heiner Müller und Peter Turrini wurden dem Bochumer Publikum mit ihren Stücken bekannt.
Frank-Patrick Steckel trat 1986 an Peymanns Stelle. Er konnte bedeutende Regisseure wie Andrea Breth und Jürgen Gosch für das Haus gewinnen.
Reinhild Hoffmann holte er in das Direktorium. Ihr Tanztheater war für Bochum eine echte Neuerung. In Bochum versuchte die Choreographin, Schauspiel und Tanz näher zusammenzubringen.
Als Leander Haußmann 1995 ans Schauspielhaus kam, raschelte es im Blätterwald – schließlich war er der damals jüngste Intendant Deutschlands. Gemeinsam mit den Regisseuren Jürgen Kruse und Dimiter Gotscheff wollte er ein lautes, spaßiges Theater etablieren. Die Meinungen darüber waren geteilt, aber Haußmann gelang es unbestreitbar, ein jüngeres Publikum ins Haus zu locken. Bundesweit bekannt wurde das strahlende Herz, das zum Logo des Schauspielhauses avancierte.
Auch der damals 37-jährige Matthias Hartmann konnte im Jahre 2000 als
Jungintendant gelten. Er übernahm in Bochum erstmals die Leitung eines Theaters, wie es auch bei seinem Vorgänger der Fall gewesen war. In seiner bis 2005 dauernden Intendanz gelangen ihm öffentlichkeitswirksame Coups wie die Verpflichtung Harald Schmidts als Schauspieler. Seine teils hochgelobten Inszenierungen fanden auch in der Fachpresse ein positives Echo.
Nach nur einer Spielzeit verließ Hartmann das Schauspielhaus wieder und räumte seinen Platz für Elmar Goerden. Der ehemalige Oberspielleiter des Residenztheaters in München führte Bochum ins Kulturhauptstadtjahr 2010.
Goerden erzählte gern die Anekdote, er sei einst nach Bochum getrampt, um Claus Peymanns Inszenierung der „Hermannsschlacht“ zu sehen, und habe daraufhin beschlossen, selbst zum Theater zu gehen.
Als er schließlich bekanntgab, seinen Vertrag nicht verlängern zu wollen, fiel die Einschätzung seiner Arbeit eher verhalten aus. Als Verdienst wird ihm allerdings bis heute angerechnet, die Regisseurin Lisa Nielebock gefördert zu haben, die auch unter seinem Nachfolger brillierte.
Martina van Boxen gelang es während der Intendanz Elmar Goerdens, das Junge Schauspielhaus mit aufsehenerregenden Inszenierungen zu einer festen Größe zu machen. Auch sie blieb Bochum nach dem Ende von Goerdens Intendanz weiter erhalten.
In der Spielzeit 2010/2011 kam der ehemalige Intendant des Schauspiels Essen, Anselm Weber, nach Bochum.
Er brachte als Regisseur auch publikumswirksame Stoffe wie „Der Besuch der alten Dame“ und „Kabale und Liebe“ auf die Bühne des Schauspielhauses.
Er schätzt die Arbeit in Bochum sehr: „Die Kammerspiele sind der beste Theaterraum, den ich kenne.“ Insofern kann es durchaus überraschen, dass er seinen Vertrag in Bochum vorzeitig auflöste: Nach der Saison 2016/2017 wird er das Schauspielhaus verlassen, um in Frankfurt anzuheuern.
Neben den Intendanten haben natürlich vor allem auch die Schauspieler das Gesicht des Schauspielhauses geprägt. Ein Name fällt den Bochumern dabei besonders schnell ein.
Tana Schanzara – bereits seit 1956 Ensemblemitglied im Schauspielhaus – hat nie ein Geheimnis aus ihrer besonderen Verbundenheit mit Peter Zadek gemacht, setzte aber auch bei Schalla, Peymann, Steckel, Haußmann und Hartmann Akzente. Mit 50 Jahren Bühnenpräsenz war sie die dienstälteste Schauspielerin in Bochum.
War sie zunächst auf komische Nebenrollen festgelegt, überzeugte sie in den achtziger und neunziger Jahren auch in Hauptrollen - und das durchaus auch im tragischen Fach.
Nach einem schweren Sturz im Jahr 2001 musste sich Schanzara einer Hüftoperation unterziehen. In der Folge spielte sie ihre Rollen teilweise im Sitzen.
In Bochum war Tana Schanzara populär wie kaum ein anderes Ensemblemitglied. Ihr 80. Geburtstag im Dezember 2005 war daher Anlass öffentlicher Feierlichkeiten: Es gab eine große Gala in den Kammerspielen.
Ihr Tod im Dezember 2008 löste große Anteilnahme in der Bevölkerung aus – weit über das Publikum des Schauspielhauses hinaus.
Im Jahre 2010 wurde der dem Schauspielhaus gegenüberliegende Westfalenplatz in Tana-Schanzara-Platz umbenannt. Seit 2012 verschönert ein Denkmal, das an sie erinnert, den Vorplatz des Theaters an der Königsallee.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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