Ruhrtriennale 2014: Gregor Schneider - Kunstmuseum

Gregor Schneider, Raumskulptur "Kunstmuseum"
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Das Kunstmuseum Bochum schließt - aber nur, damit es am Freitag, 29. August 2014, ab 10 Uhr mit der Raumskulptur "Kunstmuseum" neu eröffnet wird.

Nach dem Eklat des Aufführungsverbots durch Oberbürgermeister Sören Link in Duisburg hat sich die Stadt Bochum zur Kunst bekannt und mit viel bürokratischer Unterstützung innerhalb von fünf Wochen dem Künstler Gregor Schneider eine neue Plattform geboten.

Entstanden ist eine beeindruckende Raumskulptur, die völlig neuartig ist - von Gregor Schneider innerhalb kürzester Zeit extra für den Standort Bochum mit seiner Bergbaugeschichte hergestellt.

Bochums Kulturdezernent freut sich, dass die Stadt wieder einmal als kulturelles Zentrum der Region bestätigt wurde. Und Hans Günter Golinski, Direktor des Kunstmuseums Bochum, betont, dass sein Museum durch dieses Kunstwerk nicht eine "kulinarische" Erwartungshaltung befriedigen wolle, sondern eine temporäre Rauminstallation erhalten habe, welche die Tradition des Museums als Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst bewahre und weiter entwickle. Die Wirkung dieser Rauminstallation zu erleben sei nicht Voraussetzung für das Betreten des Museums, es dürfe sie nur erleben, wer das auch wirklich wolle. Vorsichtshalber sind Warnhinweise aufgestellt, insbesondere, dass der Zugang durchs Kunstwerk nicht behinderten gerecht ist und dass gebrechlichen, hochschwangeren und psychisch eingeschränkten Personen von einer Begehung abgeraten wird.

Gregor Schneider beschreibt sein Werk als "Rohrsystem zum Betreten komplex gebauter Räume, die sich auch auf die Funktionsräume eines Museums beziehen". Durch einen neuen Eingang, einem "Abflussrohr", gelange man ins Museum in verborgene Räume, in eine normalerweise im Museum nicht zugängliche "abseitige Welt".
Schneider dankt allen Entscheidungsträgern der Stadt Bochum für die gute Zusammenarbeit und besonders auch Heiner Goebbels für die "zweite Chance", nach der Absage von "Totlast" in Duisburg nun ein weiteres Kunstwerk im Rahmen der Ruhrtriennale präsentieren zu dürfen. Die Ruhrtriennale schließe für ihn die Lücke zwischen Atelier und Museumsausstellung.

Der Hausherr Hans Günter Golinski meint selbst-reflektierend: "Mich im Verdauungstrakt des Kunstmuseums wiederfindend, frage ich mich, auf wessen Veranlassung, mit welchem Ziel und für wen ich Utopien archiviere und magaziniere ...".

Der Besucher erlebt die neue Raumskulptur als Hintereingang zum Museum (von der Schillerstraße her). Durch Aluröhren mit einem Durchmesser von 1,80 m und einer Standhöhe innen von ca. 1,70 m geht man mehr oder weniger gebeugt auf schmalen Pfaden durch ein Röhrenlabyrinth. Der Zugangsweg führt im Dämmerlicht durch Röhrengänge, vorbei an Wegkehren und Sackgassen, über eine Treppe und einzelne Schwellen, tastet sich an feuchten Wänden entlang, passiert Lüftungsschächte und ein Schlammloch, durchquert die realen Funktionsräume des Museums, u.a. Technik-, Archiv- und Büroräume und endet im Foyer.
Man gelangt quasi durchs Gedärm zum Herz des Museums.
Schneider hat durch seinen Parcours ein Museum im Museum geschaffen.

Bezüge zur Stadtgeschichte drängen sich auf: Bergbau mit Tunneln, Bewetterung, Technik, Vortrieb, Schlamm, Feuchtigkeit, gebeugte Körperhaltung, Dunkelheit, Abgeschiedenheit, ...

Den Künstler Gregor Schneider (geb. 1969 in Mönchengladbach-Rheydt) interessiert die Wirkung gesellschaftlich relevanter Orte. Er zählt zu den Pionieren gebauter Raumkunst, die sich aus der Installationskunst und dem Environment entwickelte. Schneider hat den Raum an sich und mit seinen vielfältigen Wahrnehmungsebenen thematisiert. Das Verändern von Räumen und ihren Eingängen verfremdet die Wahrnehmung der räumlichen Disposition.

Der runde Querschnitt der Röhren bedingt die niedrige Raumhöhe und vom Körper weg gewölbte Wände. Dämmerlicht verunsichert, lässt vorsichtig gehen und schließlich nach Halt tasten. Leicht stößt man den vorgebeugten Kopf im Blindschacht gegen die Wand. Man irrt weiter und lernt, dass spärliches Licht den Weg weist. Die Hand greift auf etwas Feuchtes ohne es erkennen zu können. Angstgefühl beschleicht einen, die Gedanken kreisen.

Im Museum wird Kunst konsumiert, mehr oder weniger schwer verdauliche Kost ist das. Das Museum als subjektivierter Baukörper muss folglich Ausscheidungen haben. Und durch diesen Verdauungstrakt kommt man als Besucher wie ein neugieriger Arschkriecher demütig zur Kunst gekrochen. Und da wir in einer Überwachungsgesellschaft leben, wissen wir, dass die Museumskameras auf uns gerichtet sind. Klaustrophobisch - aber die Neugier treibt einen weiter.

Gregor Schneider schafft Räume für einen alptraumhaften Trip durch das Unbewusste. Er selbst sagt dazu ganz harmlos, dass es um Schlamm gehe, das Urmaterial der Bildhauerkunst. Und eigentlich gehe es auch um Malerei. Man beachte die Farbigkeit und Lichtreflektionen der Aluröhren, die nach Farbe und Konsistenz unterschiedlichen Betonoberflächen.

Die Rolle des Besuchers im Kunstmuseum als die eines Bild-Voyeurs wird bei Gregor Schneider unterwandert. Das System scheint jetzt den Besucher zu kontrollieren. Die Zwischenstationen in diversen Räumen sind eher ein erleichtertes Luftholen, bevor es weiter einem Ausgang zugeht.

Schließlich die Erleichterung, im Museums-Foyer angekommen zu sein. Der Kunstgenuss kann beginnen. Oder steckt man schon mittendrin?

Die Interaktion des Gebäudes und der Exponate mit Schneiders Raumskulptur beginnt.
Die Rampe, welche die zwei Ausstellungs-Etagen erschließt, erscheint plötzlich wie eine glattere Variante des Röhrentraktes.

In der ersten Etage wird aktuell die Sammlung Hense gezeigt. Frank Hense ist ein Bochumer Unternehmer, der vorrangig zeitgenössische junge deutsche Kunst sammelt.
Gemälde, Plastiken und Skulpturen spiegeln unterschiedliche künstlerische Positionen mit zumeist melancholischen Motiven. Es geht um Verlust der kindlichen Phantasie, Erinnerung an jugendliches Aufbegehren sowie um erotisches Begehren. Die einzelnen Exponate werden in Form einer "additiven Installation" präsentiert.

Nach dem Röhrenerlebnis wirkt die Drahtskulptur von Kate Newby mit dem geformten Schriftzug "you want something to happen and nothing does" längst nicht so irritierend wie sonst, sondern eher beruhigend.
Dagegen verstärkt sich die Bestürzung, wenn Thorsten Passfeld klagt "I have lost all my Sanchos".

Die Interaktion der Exponate mit Schneiders Raumskulptur "Kunstmuseum" setzt sich auch im zweiten Obergeschoss fort.
Der Wandtext zur Fred Deux-Ausstellung begrüßt den Besucher mit dem Zitat "Zeichner sein heißt sich zu verlieren". Spontan denkt man an die anderen noch im "Darmtrakt" steckenden Besucher. Hoffentlich ist keiner verloren gegangen.
Und schon die nächste Zeichnung greift das Thema wieder auf. Details in Fred Deuxs mannshoher Zeichnung "Der Vorfahr" von 1983/86 erinnern an Innereien, an den Geburts- oder Darmtrakt.

Gregor Schneiders Raumskulptur "Kunstmuseum" ist trotz der Kürze der Erstellungs- und Realisierungszeit (lediglich fünf Wochen!) ein großer Wurf geworden. Die Raumskulptur bleibt noch bis zum 12. Oktober 2014 zu sehen. Verpassen Sie nicht, die Interaktionen der Rauminstallation mit den Museumsräumen und den aktuellen Exponaten auf sich wirken zu lassen.

Laufzeit /Öffnungszeiten KUNSTMUSEUM:
29.8. bis 12.10.2014, Di-So: 10.00 - 18.00 Uhr, Mi: 10.00 - 20.00 Uhr,
Tickets 8 € ermäßigt ab 5 €.

Am 14.9.2014, 15 Uhr, findet ein Künstlergespräch im Kunstmuseum Bochum statt:
Veit Loers im Gespräch mit Gregor Schneider.

Weitere Infos: www.ruhrtriennale.de und www.kustmuseumbochum.de

Autor:

Dorothea Weissbach aus Oberhausen

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