Vom Nonkonformisten zum Hanswurst: Das Prinzregenttheater erschließt die Figur des Till Eulenspiegel für die heutige Zeit

"Beruf: Eulenspiegel" ist eine bitterböse Komödie in knallbunten Farben. | Foto: Schuck
  • "Beruf: Eulenspiegel" ist eine bitterböse Komödie in knallbunten Farben.
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„Die Funktionalisierung der Figur des Till Eulenspiegel“, erklärt Regisseurin Romy Schmidt, noch bis zum 30. Juni Intendantin des Prinzregenttheaters, „zeigt, wie aus einer radikalen, ja anarchischen Figur ein armseliger Clown wird.“ - Dies ist der Ausgangspunkt der Stückentwicklung „Beruf: Eulenspiegel“, die am 1. Juni als letzte reguläre Premiere in Schmidts Intendanz über die Bühne geht. Zum Spielzeitfinale am 30. Juni zeigt das Kinder-Ensemble „Junge Prinz*essinnen 10+“ zum ersten und einzigen Mal „Der kleine Prinz“.

Am Anfang der Beschäftigung mit der Eulenspiegel-Thematik stand ein ungewöhnlicher Undercover-Einsatz, wie sich Romy Schmidt erinnert: „Vor gut einem Jahr stießen wir in einem Internet-Medium auf einen Bericht darüber, dass die Stadt Mölln in Schleswig-Holstein, wo der historische Eulenspiegel gestorben ist, einen Nachfolger für den Eulenspiegel-Darsteller sucht, der als Maskottchen und Touristen-Attraktion im Einsatz ist. Der Schauspieler Linus Ebner hat sich dort beworben, um mehr über die Motive der Stadt zu erfahren.“
„Dem historischen Eulenspiegel kann und will man nicht gerecht werden, wenn man ein Maskottchen sucht, das Touristen für Selfies zur Verfügung steht“, resümiert Ebner seine Erfahrungen und fährt fort, „das Merkwürdige war für mich, dass das Vorsprechen vor der Jury eine existentielle Situation war, obwohl ich den Job gar nicht haben wollte.“ In einem solchen Kontext gerät das Bemühen um Diversität zur Farce. „In der Ausschreibung wurden ausdrücklich auch Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderung zur Bewerbung aufgefordert. Da aber ein Eulenspiegel gesucht wurde, der den gängigen Klischees entspricht, ist klar, dass sie ohnehin keine Chance gehabt hätten“, reflektiert Romy Schmidt.

Welche Bedeutung hat Eulenspiegel heute?

Eulenspiegel lebte angeblich als umherziehender Schalk im 14. Jahrhundert. Was können seine Abenteuer dazu beitragen, unsere Gegenwart besser zu verstehen? - Schmidt versucht sich an einer Antwort: „Es geht um die Frage nach der eigenen Rolle in der Gesellschaft: Was wird von mir erwartet? Kann ich meine Meinung sagen?“ - „Wir leben in einer Evaluationskultur, in der bestimmte Dinge von uns verlangt werden. Das kann durchaus alptraumhafte Züge annehmen“, ergänzt Linus Ebner, der in „Beruf: Eulenspiegel“ gemeinsam mit seinen Schauspielkollegen Maximilian Strestik und Anna Schimrigk sowie dem Musiker Martin Widyanata auf der Bühne steht. „Man denkt zunächst, Eulenspiegel gelingt es, sich den Konventionen zu entziehen. Er will ja auch keinen Beruf ergreifen“, lotet Ebner Eulenspiegels Bedeutung für sein eigenes Selbstverständnis aus, „als Schauspieler glaubt man, sich von Zwängen frei machen zu können, merkt aber bald, dass das nicht der Fall ist.“ Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, wenn Romy Schmidt „Beruf: Eulenspiegel“ als „bitterböse Komödie“ bezeichnet.
Anders als in „Sisyphos“, der Stückentwicklung von Romy Schmidt, Linus Ebner und Martin Widyanata, gibt es in „Beruf: Eulenspiegel“ eine Rahmenhandlung: Der German-Fun-Park sucht einen neuen Eulenspiegel-Darsteller. Drei Bewerber treten den Wettstreit um den Job an. Romy Schmidt und Bühnenbildnerin Sandra Schuck versprechen, dass es „knallbunt“ wird.

Demokratischer Prozess

Ungewöhnlich ist auch die Art und Weise, auf die „Beruf: Eulenspiegel“ entstanden ist, wie Frank Weiß, der gemeinsam mit Romy Schmidt die Spielleitung übernimmt, sich erinnert: „Das war ein demokratischer, gemeinschaftlicher Prozess. Ich möchte in Zukunft gern weiter so arbeiten, weil aus meiner Sicht modernes Theater vor allem so möglich ist. Im Falle von 'Beruf: Eulenspiegel' ist dabei eine wilde Groteske entstanden, die ganz klar in der heutigen Zeit verortet ist.“ - Entsprechend lang ist die Liste derer, die – gemeinsam mit Schmidt, Weiß und dem Regie-Hospitanten Tobias Stöttner – die Stückentwicklung „Beruf: Eulenspiegel“ erarbeitet haben: Unter den Urhebern finden sich neben den Schauspielern Linus Ebner, Anna Schimrigk und Maximilian Strestik und dem Musiker Martin Widyanata auch die Bühnenbildnerin Sandra Schuck und Technikerin Awa Winkel, die die Aufführung ins richtige Licht setzt.
Dabei ist den Beteiligten aufgefallen, dass auch die Eulenspiegel-Figur der Originalgeschichten aus dem 16. Jahrhundert durchaus zwiespältig ist, wie Frank Weiß erklärt: „In den bekannten Bearbeitungen für Kinder erscheint Eulenspiegel als lustiger Narr. In den Originalgeschichten ist er eine Person, der man lieber nicht begegnen möchte.“ - „Es stellt sich die Frage, wie garstig man sein muss, um frei zu sein“, ergänzt Linus Ebner.

Termine
Seine Premiere erlebt „Beruf: Eulenspiegel“ am Freitag, 1. Juni, um 19.30 Uhr im Prinzregenttheater, Prinz-Regent-Straße 50-60.
weitere Termine: Samstag, 2. Juni, 19.30 Uhr; Samstag, 9. Juni, 19.30 Uhr; Sonntag, 10. Juni, 18 Uhr; Samstag, 23. Juni, 19.30 Uhr.
Zum letzten Mal ist „Beruf: Eulenspiegel“ am Sonntag, 24. Juni, um 18 Uhr zu sehen. An diesem Tag besteht im Rahmen eines „Meet and Greet“ die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Publikumsgespräch.
Das Theater ist unter Tel.: 77 11 17 zu erreichen.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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