Nervensache

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Kinder hatten im Hinblick auf die Planung und Gestaltung des gemeinsamen Lebenswegs immer ziemlich weit oben auf der Wunschliste gestanden. Was wir weder beim Wünschen, noch bei der Aktivierung und Nutzung der biologischen Grundlagen zur Gestaltung neuen Lebens bedacht hatten, war, dass sich an diese frischen kleinen Wesen irgendwann jene Einrichtung heften würde, auf die man früher schon ganz gut verzichten konnte, weil sie nichts für schwache Nerven war: Psst! Die Sch… Schneller als man gucken konnte, war die Kindergarten-Elternzeit vorbei, die so zauberhaft vom Duft der frühen Kindheitsjahre vernebelt war, als sei man selber wieder Kind. Die Schul-Elternzeit hingegen glänzte lediglich durch ganz spezielle negative Highlights. Ein solches, in der Rangliste der Negativereignisse ganz oben stehendes war

Der Elternsprechtag!

jener Tag, der viele Elternherzen höher schlagen ließ und mache dem Herzinfarkt bedrohlich nahe brachte. Was für ein STRESS – wobei wir hier nicht von den Lehrern reden! Allein diese unerträgliche nervliche Anspannung, bis man endlich seinen Wunschtermin unter Dach und Fach hatte. Man konnte schließlich nie wissen, ob nicht in letzter Minute noch etwas schief gehen und der bis ins Detail ausgeklügelte häusliche Terminplan für den betreffenden Tag komplett aus dem Ruder laufen würde. Da mussten schon mal ein paar Tropfen Baldrian her…

Nun hat so ein Elternsprechtag ja zahlreiche Stunden zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, weshalb er Elternsprechtag heißt. Die Tatsache dieser vielen Stunden hatte was Verlässliches, weil so viel Platz zum Wählen war. War! Weil sie 2006 plötzlich an höchster Stelle durchdrehten, standen laut Beschluss für den Austausch derer, die sich morgens in der Schule mit den Kindern plagten, und jenen, die sich nach Schulschluss mit ihnen quälten, nur noch die Nachmittagsstunden zur Verfügung. An irgendeiner undichten Stelle musste durchgesickert sein, dass zu viel Unterricht ausfiel und so ein weiterer Verlust würde das gesunde Gleichgewicht zwischen ausfallenden und stattfindenden Stunden für immer zerstören. Das war schlecht für die Bilanz.

Unfassbar.

Das gesamte Weltbild klumpte und raste mit Tempo 200 gegen die Wand. Nun fiel der Sonnenaufgang flach und der Tag schrumpelte in sich zusammen. Wo waren jetzt die Stunden hin, die ich wählen wollte? Und woher sollte ein Lehrer künftig die vielen Stunden nehmen, die er brauchte, um den Eltern zu vermitteln, wie es um die Kleinen stand?

Zum Erstaunen aller bediente sich die Schule der „Flexibilität“. Ein zweiter Tag wurde zwangsenteignet, um dem Sonnenaufgang Asyl zu geben. Der Elternsprechtag wurde Zwilling. So drohte nun der gesamte, akribisch zusammengestellte Terminplan eines weiteren Tages aus den Fugen zu geraten, weil wir bei der Nutzung unserer biologischen Anlagen nicht aufgepasst und zwei Kinder mit der Welt beschenkt hatten. Da ein Tag ab jetzt nicht mehr so viele Stunden hatte, mussten die Kleinen nun womöglich an zwei verschiedenen Tagen besprochen werden. Verdammt. Und jetzt musste ich auch noch zur Apotheke, weil kein Baldrian mehr da war...

Mein Glück war unverschämt, es geriet nur ein Tag aus den Fugen. Weil der Älteste krank war, bekam ich von Frau A. den Termin verpasst, während ich bei Frau B. als Klassenlehrerin des Jüngsten innerhalb eines engen Zeitrahmens wählen konnte. Die Treffer waren ganz passabel. Um 16.30 Uhr Klasse 1, um 17.00 Uhr Klasse 3. Das sollte machbar sein. Doch ob beim Arzt, auf dem Bahnhof oder in der Schule, ein Plan blieb immer nur ein Plan und je mehr man plante, desto gründlicher schlug einem die Wirklichkeit die Planung um die Ohren…

Als erstes also HUSCH zu Frau B. in Klasse 1. Sie lag im oberen Seitentrakt. Die Klasse. Wenn ich sonst schon nie die Pünktlichste war und auch die Kinder immer auf den letzten Drücker kamen, wollte ich zumindest heute mal für einen guten Eindruck sorgen. Deshalb war ich ausnahmsweise pünktlich von zu Hause losgegangen. Doch beim Schwenk um die obere Stockwerksecke bot sich meinen glühenden Sohlen der Eindruck kläglichen Scheiterns. Hier wartete man schon zu zweien vor der Tür. Da ich rechnen konnte und zwei Personen mal 10 Minuten Sprechzeit mindestens 20 Minuten... Nix wie ab zu Klasse 3. Höchste Eisenbahn, das Haupthaus zu entern.

Vor der Klassentür von Frau A. herrschte gähnende Leere! Wenn das mal keine Falle war. Während die Zeiger der Uhr beharrlich die Minuten zählten, die mir peu a peu verloren gingen, wurde ich auf dem von mir besetzten Stuhl nervös. Dennoch nahm ich mir ein Beispiel an der Beharrlichkeit der Uhr und blieb zum ersten Mal in meiner Schulzeit - sitzen Die endlosen Minuten absoluter Einsamkeit nutzte ich, um abzuschätzen, was für meinen Ruf wohl schlimmer war: wenn Frau A. oder Frau B. einen schlechten Eindruck von mir kriegte? Ob ich da wohl noch die Wahl hatte?

Um 17.15 Uhr schlug das Schicksal zu: Frau B. von Klasse 1 im oberen Seitentrakt der Schule würde meine Unpünktlichkeit ins Klassenbuch eintragen, während mir Frau A. nett die Hand drückte. Mit leichten Bauchschmerzen schlug ich auf dem niedrigen Stühlchen Falten, um konzentriert den herabrieselnden Worten zu lauschen. Nach erstaunlich wenigen Minuten dufte ich mich sorgsam wieder auseinanderfalten und mir eine passende Entschuldigung für Frau B. von Klasse 1 im oberen Seitentrakt usw. aus den inzwischen leicht verkrampften Fingern saugen.

Was folgte, war der Endspurt zum Seitentrakt, wo inzwischen eine ganze Horde Eltern im verstopften Flur Kontakte knüpfte und längst vertrauensvoll zum „Du“ gewechselt war. Der Zeitplan von Frau B. war auch ohne mein Zutun hoffnungslos aus dem Ruder. Meine Kräfte rissen sich ein letztes Mal zusammen, um nicht bereits bei dem Versuch jämmerlich zu scheitern, all jene, mit denen ich aus unverschuldeten Gründen noch nicht per Du war, davon zu überzeugen, dass ich schon vor ihnen dran gewesen wäre.
Am Ende blieb nur noch ein letzter Gang: Der Weg zum Hausarzt, die Kur beantragen. Denn Baldrian allein half längst nicht mehr. Nicht zur Behandlung des Themas Schule…

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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