Wenn das Internet zur Sucht wird

Seit zweieinhalb Jahren behandelt Oberarzt Dr. Bert te Wildt in der Medienambulanz der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Erwachsene mit einer Internet- und Computerspielabhängigkeit. | Foto: Gerhäußer
  • Seit zweieinhalb Jahren behandelt Oberarzt Dr. Bert te Wildt in der Medienambulanz der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Erwachsene mit einer Internet- und Computerspielabhängigkeit.
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Die Digitalsierung unserer Welt schreitet immer weiter voran. Wenngleich das Internet, Smartphones, E-Mail-Schriftverkehr und Unmengen an Apps unser Leben erleichtern, gibt es auch einen Teil der Bevölkerung, dem diese Entwicklung zum Verhängnis wurde: Sie sind süchtig danach. Der Stadtspiegel sprach mit dem Psychiater und Arzt Dr. Bert te Wildt über dieses Phänomen.

Schon vor 13 Jahren gründeten Sie in Hannover eine Sprechstunde für Menschen mit medienassoziierten psychischen Erkrankungen. Das war zu einem Zeitpunkt, als das Internet die Wohnzimmer der breiten Bevölkerung gerade erobert hatte. Was bewog Sie zu diesem Zeitpunkt dazu?
Bert te Wildt: In den USA und Südkorea war das längst schon ein Thema. Das sind Länder, in denen das Internet schon deutlich früher auf dem Vormarsch war als hierzulande. Dort gab es zu dem Zeitpunkt schon erste Kliniken. Insofern war es nicht so exotisch. In Deutschland war deswegen längst abzusehen, was da kommen würde. Mir war klar, dass eine Revolution auf uns zurollt, die ich mit Begeisterung miterlebe, die aber aus der Sicht eines Psychotherapeuten und Arztes durchaus mit kritischem Verstand zu beobachten ist. Da habe ich vielleicht den richtigen Riecher gehabt.

In Ihrem Buch sagen Sie, dass es naiv ist, nur von der glorreichen Zukunft der „Digital Natives“ zu sprechen. Sie halten das sogar für verantwortungslos und bequem von der Erwachsenengeneration. Warum?
Wenn man streng bei dem Begriff „Digital Natives“ – also „digitale Eingeborene“ bleibt, dann würde das bedeuten, wir werden in das Internet hineingeboren. Das werden wir aber nicht. Denn wir werden in eine reale Welt und in einen realen Körper hineingeboren. Dieser ist völlig auf eine Zuwendung angewiesen, die man nicht digitalisieren kann: Kinder brauchen Nahrung, Trost und körperliche Nähe immer und sofort. Das sind genau die Dinge, die über das Internet ein Stück weit verloren gegangen sind: Nämlich der von Medien unverstellte Austausch mit anderen Menschen und die reine Körperlichkeit – beide lassen sich auch nicht digitalisieren. Deswegen ist es ganz wichtig, dass Kinder zunächst in die reale Welt hineinfinden. Sie sollten zunächst den eigenen Körper sowie die reale Welt bespielen lernen – mit allen Sinnen, körperlichem Einsatz und mit unmittelbaren Beziehungen. Wenn sie die analogen Medien erlernt haben – wie etwa mit der Hand zu schreiben, mit dem Kopf zu rechnen, sich Geschichten auszudenken und weiterzuerzählen – dann sind sie auch so weit, um an diese viel komplexeren digitalen Medien herangeführt zu werden. Denn die können nun mal leider abhängig machen. Je früher Menschen mit einem Suchtmittel in Kontakt gebracht werden, desto größer ist die Gefahr, dass sie davon abhängig werden. Deswegen dürfen Kinder nicht rauchen und auch keine Glücksspiele spielen. In Sachen Mediengebrauch sieht es derzeit aber so aus, dass teilweise mit Fördermitteln der Bundesregierung Computer, Tablets, Breitbandnetze in Schulen und sogar in Kindertagesstätten gebracht werden. Man meint, man müsse die „Digital Natives“ so früh wie möglich in die virtuelle Welt „hineinkarnieren“ lassen. Das halte ich nicht nur für naiv, sondern für grob fahrlässig.

Was genau macht denn süchtig am Mediengebrauch oder Internet?
Es gibt zwar auch Kollegen die sagen, es gebe so etwas wie eine allgemeine Internetabhängigkeit. Das beobachten wir aber hier in der Medienambulanz in Bochum kaum. Sondern bestimmte Dinge im Internet machen abhängig. Vor allem Spiele, Cybersex und soziale Netzwerke. Letzteres scheint zuzunehmen, vor allem weil die digitalen mobilen Endgeräte – sprich Smartphones und Tablets – eine immer größere Rolle spielen. Das sind die Bereiche, die im Moment besonders abhängig machen. Es kann aber auch sein, dass es in fünf oder zehn Jahren noch ganz andere Dinge sein werden.

Erlebt der Internetsüchtige einen Rausch oder Entzugserscheinungen? Ist das gleichzusetzen mit stoffgebundenen Süchten?
Ich konnte es vorher nicht glauben, wie ähnlich die Süchte sind. Aber ich habe Entzugserscheinungen von Patienten miterlebt, die denen von Alkoholikern gleichen. Menschen wurden panisch, haben Ängste ausgestanden, wurden depressiv, wollten sich sogar das Leben nehmen. Sie hatten das Gefühl, nicht mehr ohne das Internet leben zu können. Umgekehrt berichten die Patienten auch davon, dass ihre Online-Aktivität manchmal rauschhaft sei. Wobei sie interessanterweise auch sagen, dass es nur am Anfang so gewesen sei und sie später dem Rauschzustand nur noch hinterherjagten. Genau das sagen Alkoholabhängige auch.

Und um wieder an ein Glücksgefühl zu kommen, wird die Dosis gesteigert wie beim Rauchen und Trinken?
Genau. Das ist bei Internetabhängigkeit wie bei anderen Suchterkrankungen. Dosissteigerungen, Kontrollverlust, Entzugserscheinungen gehören dazu und ein Lebensbereich wird nachhaltig durch die Sucht beeinträchtigt. Etwa der Bereich Schule, Studium, Ausbildung, Beruf, in dem dann die Leistungen nachlassen. Freundschaften und Beziehungen werden vernachlässigt, die Menschen vereinsamen völlig vor ihren Computern und manche verwahrlosen sogar. Sie kümmern sich überhaupt nicht mehr um Ernährung, Licht und Bewegung. Es gibt sogar Todesfälle – zumindest in Asien. Diese Menschen haben über 24, 48, 72 Stunden hinweg nichts anderes gemacht, als ein Computerspiel gespielt und sind dann tot zusammengebrochen. Sie haben während des Spielens das Trinken vergessen.

Wie läuft ein Entzug bei einer Medienabhängigkeit ab, wenn man bedenkt, dass ein völliger Verzicht auf das Internet gar nicht mehr möglich ist?
Das Gute ist, dass nur bestimmte Bereiche im Internet süchtig machen. Man identifiziert dann, was es bei der Personen ist. Diese Aktivität sollte zukünftig möglichst komplett gemieden werden. Man kann ohne Computerspiele leben. Man kann auch ohne Cybersex leben. Ohne soziale Netzwerke ist es schon schwieriger. Sie werden auch in beruflichen Zusammenhängen genutzt. In dem Fall kann aber eine kontrollierte Nutzung das Ziel sein. Gleichzeitig wird man in einer Therapie nicht nur schauen, was man nicht mehr machen soll, sondern auch wie man sich anderweitig einen Kick gibt. Wie kann ich Freundschaften reaktivieren, wie kann ich Beziehungen und Sexualität erleben. Wie kann ich wieder Leistung bringen, damit ich mich wieder positiv wahrnehme und wertgeschätzt werde. Kurz gesagt, wie kann das Belohnungssystem von positiven Dingen angeregt werden, die nicht abhängig machen.

Was können Eltern, Großeltern und Lehrer präventiv tun?
Jede Revolution löst Angst aus. Die einen haben Angst davor, dass alles ganz schlimm wird. Sie meiden das Neue. Das ist kein guter Weg. Es ist aber auch kein guter Weg, aus Angst, man selbst oder die Kinder könnten etwas verpassen, alles mitzumachen und unkritisch auf jeden Trend aufzuspringen. Ein Mittelweg ist meines Erachtens der beste Weg. Den kann man im Alltag durchaus hinbekommen. Man kann Zeiten festlegen, in denen analoge Tätigkeiten im Vordergrund stehen. Gemeinsam etwas spielen oder etwas mit körperlichem Einsatz unternehmen. Damit erschafft man Räume, in denen digitale Medien keinen Platz haben. Wenn man kleine Kinder zuhause hat, macht es Sinn, nur in den Gemeinschaftsräumen einen Computer, ein Tablet oder eine Spielekonsole zu haben. Man sollte auch gemeinsam Computerspiele spielen. Dann bekommt man die Wirkung der Spiele auf die Kinder mit. Stück für Stück kann man sie mehr alleine lassen. Man muss irgendwann auch das Vertrauen haben, dass sie das alleine können. Denn als Teenager sollten sie dann irgendwann auch mit einem eigenen Computer im eigenen Zimmer zurechtkommen. Wobei ich einen völlig freien Internetzugang vor dem 16. Lebensjahr für problematisch erachte. Die Inhalte an Sex und Kriminalität, die man dort sehen kann, sind viel zu heftig. Sie sind problematisch für die Entwicklung der Jugendlichen. Allerdings können Filter helfen. Sie begrenzen den Internetkonsum zeitlich und inhaltlich. Das sehe ich ganz klar als die Aufgabe der Eltern an, ihre Kinder und Jugendlichen vor den Gefahren der digitalen Welt in Schutz zu nehmen.

Lesetipp:
Digital Junkies - Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder
Hardcover, Droemer HC
02.03.2015, 384 S.
ISBN: 978-3-426-27656-3

Autor:

Harald Gerhäußer aus Bochum

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