So gelingt die „Bewährungsprobe Zuwanderung“

Oberbürgermeister Thomas Eiskirch lobte die Bochumer Willkommenskultur.
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Buß- und Bettagsempfang der Diakonie Ruhr: Begegnungen schaffen, günstige Wohnungen bauen, in Bildung investieren

Nach Europa, Deutschland, Bochum flüchtende Menschen bestimmen seit Monaten Schlagzeilen, Bundespolitik und Ratssitzungen. Großer Hilfsbereitschaft und ehrenamtlichem Engagement stehen Skepsis und Fremdenfeindlichkeit gegenüber. Für die Diakonie Ruhr bedeutet die Zuwanderung eine „Bewährungsprobe“ der Gesellschaft – die sie bis jetzt gut bewältigt hat. Darin waren sich auch alle Diskutanten auf dem Buß- und Bettagsempfang im Foyer der Bochumer Stadtwerke einig.

Diakonie-Geschäftsführer Werner Neveling betonte: „Wir müssen klare Kante gegenüber allen zeigen, die nicht wollen, dass wir geflüchtete Menschen aufnehmen. Dabei geht es um Humanität, keinesfalls um eine Kosten-Nutzen-Rechnung.“

Bochums neuer Oberbürgermeister Thomas Eiskirch gab sich kämpferisch: „Was ich an der Stadt schätze, ist die Willkommenskultur. Wir heißen auch diejenigen willkommen, die nicht aus anerkannten Fluchtgründen kommen, denn auch sie haben nachvollziehbare Motive. Diese Stadt steht zur Zuwanderung und wir werden ihre Willkommenskultur schützen.“

4000 Flüchtlinge im Jahr 2015

Sozialdezernentin Britta Anger erlaubte Einblicke in die Bochumer Planungen zur Unterbringung von Flüchtlingen – und wie sie im Jahresverlauf von der Realität eingeholt wurden. Bis April hatte die Verwaltung für 2015 mit maximal 1700 Neuankömmlingen kalkuliert, am Ende werden es 4000 sein. „Wir schaffen nur noch eine Notsituation zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. Dazu nutzen wir alles, was wir haben“, sagte Britta Anger. Die Stadt müsse den sozialen Wohnungsbau dringend stärken.

Wöchentlich kommen derzeit bis zu 150 Flüchtlinge nach Bochum. Ein Viertel aus Syrien, ein Drittel aber auch aus so genannten sicheren Drittstaaten vom Balkan. „Wir könnten jede Woche einen neuen Sozialarbeiter einstellen“, sagte die Dezernentin. „Die Mitarbeiter gehen am Stock und würden es ohne ehrenamtliche Unterstützung gar nicht mehr schaffen.“

Britta Anger betonte vor allem die menschliche Verpflichtung, Geflüchteten zu helfen, präsentierte aber auch Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die zeigen, wie die Zuwanderung Deutschland und Bochum schon bald wirtschaftlich nutzen könnte. „Wir brauchen junge Menschen, wir brauchen Fachkräfte“, betonte sie. Demnach würde sich die Zuwanderung bei einer pessimistischen Schätzung 2025 positiv bemerkbar machen, ein optimistisches Szenario geht von 2018 aus.

In der folgenden, durch Katja Leistenschneider von Radio Bochum moderierten Podiumsdiskussion erklärte Dieter Groß, stellvertretender Leiter der Bochumer Arbeitsagentur, wie seine Behörde die Neuankömmlinge unterstützt. Das Personal sei aufgestockt und um Kollegen mit entsprechenden Sprachkenntnissen ergänzt worden. Die Fördertöpfe seien ausreichend gefüllt, um neben deutschen Arbeitssuchenden auch Zuwanderer zu fördern. Größtes Hemmnis dabei sei die schleppende Bearbeitung von Asylanträgen, die Menschen erst zur Arbeit berechtigen. Liegt dann ein positiver Bescheid vor, muss die Agentur oft zunächst Grundkenntnisse vermitteln. „Leider bringen 80 Prozent der Flüchtlinge keine formale Qualifikation mit“, sagte Groß.

"Es geht nur über Bildung"

Auch deshalb forderte Medizinstudent Burhan Akinci, der einst selbst als Flüchtling gekommen war und sich nun in der Flüchtlingshilfe engagiert, der Staat müsse deutsche Sprache, Kultur und Regeln schneller und selbstbewusster vermitteln: „Es geht nur über Bildung. Einige, die hier ankommen, wissen wenig über unser Land und haben ganz andere Erwartungen.“

Am besten also Begegnungen zwischen bisherigen und neuen Bewohnern der Stadt schaffen – das ist das Credo des in der Flüchtlingshilfe aktiven Pfarrers Holger Nollmann. Im Westend rund um das Gemeindezentrum Q1 und die Friedenskirche bringt er immer wieder Menschen von hier und dort zusammen. Es hakt auch gelegentlich, aber Nollmanns Fazit fiel klar aus: „Die Ressource Mitgefühl ist in der Gesellschaft vorhanden.“

Das unterstrich auch Jens Fritsch, Fachbereichsleiter der Inneren Mission – Diakonisches Werk Bochum e.V., die im Übergangsmanagement Flüchtlinge in eigene Wohnungen begleitet. „Ohne engagierte Ehrenamtliche wäre wenig möglich.“

Es hat Tradition, dass die Bochumer Kabarettistin Esther Münch den Buß- und Bettagsempfang mit einem lockeren, aber pointierten Auftritt beschließt. Man merkte der langjährigen Sozialarbeiterin an, dass sie das Thema Flüchtlingshilfe berührte. Ihre Botschaft lautete neben harscher Kritik an deutschen Waffenexporten: „Wenn es einem irgendwo schlecht geht, haut man ab. War schon immer so. Würden wir auch so machen.“

Autor:

Felix Ehlert aus Bochum

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