Verwaltungsgericht vereitelt Abwahlbegehren gegen Oberbürgermeisterin

Weihnachtsmarkt = demokratiefreie Zone? | Foto: Ramessos, Wikipedia
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Unter Berücksichtigung der örtlichen Situation und des bekannten Verkehrsgeschehens an einem Marktsamstag sprachen für die Antragstellerin durchaus ihr Interesse an möglichst großer Publikumswirkung auf einem belebten Marktplatz, dagegen aber möglicherweise Gründe der Verkehrssicherheit und das Interesse der Marktteilnehmer und der Marktbesucher am ungestörten Marktgeschehen. Freilich kann dabei nicht berücksichtigt werden, ob sich Passanten durch die politische Werbung als solche gestört fühlen. Dass politische Information einer Partei von Passanten mit anderer politischer Haltung als Störung empfunden werden könnte, ist unbeachtlich. Ein plurales Gemeinwesen lebt von der Vielfalt der vertretenen Auffassungen.

So hatte das VG Augsburg bei fast identischer Sachlage 2009 entschieden (AZ Au 6 E 09.927). Das VG Gelsenkirchen sah jedoch die Rechtslage in seinem Beschluss über das Abwahlbegehren der OBin von Donnerstag grundsätzlich anders (AZ 14 L 1602/13). Mit der vom Bürgerbegehren in das Verfahren eingeführten Argumentation des VG Augsburg mochten sich die Gelsenkirchener Richter denn auch nicht auseinandersetzen und erwähnten den Beschluss aus Bayern in ihrer Begründung mit keinem Wort.

“Ein Interesse an möglichst großer Publikumswirkung“ wird den Bochumer Bürgern, die ein Bürgerbegehren organisieren vom Gericht in Gelsenkirchen abgesprochen. Lediglich das Recht auf „die Möglichkeit der Kontaktaufnahme nach außen“ billigten die Richter dem Bürgerbegehren zu.

Diese sei auch am Rande der Innenstadt mit deutlichem Abstand zum Weihnachtsmarkt möglich, auch wenn dort diejenigen Besucher der Innenstadt nicht erreicht werden, die mit dem Auto oder Bus und Bahn kommen und von denen, die zu Fuß kommen, nur ein kleinen Teil erreicht werden kann, wie das Bürgerbegehren eingeführt hatte. Ein Anspruch auf unmittelbaren Kontakt zu allen Besuchern des Weihnachtsmarktes bestünde nicht. Das bedeutet, die Initiatoren eines Bürgerbegehrens müssen sich damit zufrieden geben, an den Alternativstandorten (siehe Karte) nur 10-20% der Besucher der Innenstadt im Dezember zu erreichen, selbst wenn dadurch eine erfolgreiche Durchführung des Abwahlbegehrens, also die Sammlung von 43.000 Unterschriften in 4 Monaten objektiv unmöglich wird.

Erstaunlich auch, dass das VG Gelsenkirchen die wirtschaftlichen Interessen des Weihnachtsmarktbetreibers höher einstufte als die Grundrechte der Bürger auf Meinungsfreiheit und politische Willensbildung und das, obwohl es durchaus anerkannte, dass den Bürgern bei der Durchführung von Bürgerbegehren dieselben Privilegien einzuräumen sind wie politischen Parteien vor Wahlen.

Anders als das VG Augsburg hielt das Gericht in Gelsenkirchen die Möglichkeit, dass Marktbesucher mit anderer politischer Haltung die Unterschriftensammlung und die Information darüber als Störung empfinden könnten für so beachtlich, dass diese auf einem Weihnachtsmarkt nicht geduldet werden müsse. Dass ein plurales Gemeinwesen von der Vielfalt der vertretenen Auffassungen lebt, zog das VG Gelsenkirchen in seiner Begründung hingegen nicht in Betracht.

Ein weiteres Ärgernis: Am 06.11.13 war in der WAZ zu lesen: „Wie beim Musikzentrum will die Initiative ab Dezember"… "Unterschriften sammeln. BO-Marketing sagt nein. „Das Sondernutzungsrecht besagt, dass die Fläche allein für den Weihnachtsmarkt zur Verfügung steht“, so Weckermann. Der Festmarkt sei kein Platz für politische Agitation. „Auch die Händler würden das nicht gutheißen.“

Trotz dieser dem Gericht bekannten Aussage des Prokuristen von Bochum-Marketing, kam das Gericht zu dem Schluss, es fehle an einem Anordnungsgrund, da für eine Be- oder Verhinderung der Unterschriftensammlung auf dem Weihnachtsmarkt von Bochum-Marketing derzeit nichts ersichtlich sei. Diese Aussage steht im offensichtlich Widerspruch zu den dem Gericht bekannten Realitäten. Da das Gericht sich für seine Entscheidung fast zwei Wochen Zeit genommen hat, ist kaum zu glauben, dass dieser Fehler passieren konnte, weil das Gericht den Sachverhalt nicht sorgfältig genug studieren konnte.

Da sich das Gericht mit seiner Entscheidung bis zum letzten Tag Zeit gelassen hat, macht auch eine Beschwerde beim OVG jetzt keinen Sinn mehr. Diese müsste noch an diesem Freitag gefertigt und am gleichen Tag vom OVG entscheiden werden. Die Erfahrung etwa vom Bürgerbegehren „Musikzentrum“* zeigt aber, dass eine adäquate gerichtliche Entscheidung innerhalb von 2-3 Stunden kaum möglich ist. In dieser Zeit ist das Beschwerdegericht bereits rein praktisch nicht in der Lage sich in den gesamten Sachverhalt, samt Argumentation beider Seiten und zu beachtender Rechtsprechung so einzuarbeiten. Dass es zu einer ausgereiften Entscheidung kommen kann, ist daher kaum möglich.

Unabhängig von der anspruchsvollen Aufgabe der Initiatoren des Bürgerbegehrens 40-50 engagierte Bürger zu gewinnen, die Unterschriften für das Abwahlbegehren sammeln, haben es die Stadt und das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen letztlich unmöglich gemacht, die erforderlichen 43.000 Unterschriften zu sammeln. Ohne dass im Dezember in der Innenstadt gesammelt und über das Begehren informiert werden darf, ist ein solches Unterfangen gänzlich unmöglich.

Leider ist letztlich festzuhalten, dass in NRW der Ausübung der direkt-demokratischen Entscheidungsrechte der Bürger nicht der gleiche Stellenwert eingeräumt wird wie etwa in Bayern. Die Bochumer Innenstadt ist zur Weihnachtszeit demokratiefreie Zone, die Durchführung von Aktivitäten der Bürger zur Wahrnehmung ihrer direktdemokratischen Entscheidungsrechte wird verboten.

Ein schwarzer Tag für Bochum und die demokratischen Rechte seiner Bürger.

* Einstweiliges Verfahren gg. Abholzung Platanen, Hauptsacheverfahren läuft noch.

BÄH – Bochum ändern mit Herz im Internet: http://baeh-buerger.de/
BÄH – Bochum ändern mit Herz auf facebook: https://www.facebook.com/baehbuerger

Weihnachtsmarkt = demokratiefreie Zone? | Foto: Ramessos, Wikipedia
An den angegebenen Alternativstandorten ist die für das Abwahlbegehren erforderliche Publikumswirkung nicht annähernd zu erzielen.
Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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