Wohin mit den alten Pornos?

Nett, einen Bekanntenkreis zu haben. Man erweiterte gerne seinen Horizont durch den Kontakt zu außergewöhnlichen Menschen.
So auch zu Rolf. Seitdem ihn seine Freundin verlassen hatte, was aber nun schon drei Jahre her war, trauerte er. Trauerte um sie, trauerte um sich, eigentlich um sein ganzes Leben. Es gab nichts, was in ihm nicht einen Gedanken an sein großes Leid hervorrief. Er beschäftigte sich ausschließlich mit seinem Leid, angefangen mit der Kindheit, Berufsversuchen, Beziehungsversuchen und überhaupt mit allen Versuchen, im Leben zu recht zu kommen. Und immer wieder kam er zu dem Entschluss: Er kam nicht zurecht!
Als er gestern vorbeikam, hatte ich Suppe gekocht. „Nimm dir schon mal was, ich muss noch die Wäsche aufhängen.“ - „Hast du nicht ein Brötchen dazu?“ fragte er. „Nein, aber ich kann dir ein Brot toasten.“ – „Ach nein, ein Brot…. das möchte ich nicht.“ sagte er naserümpfend. „Möchtest du Nachschlag?“ – „Hab ich mir schon genommen.“
Er sackte in sich zusammen: „Meine Ärztin sagt nichts, aber ich glaube, ich habe eine schwere Krankheit und sie sagt mir das nicht.“ Ich maß meinen Blutdruck und er wollte es bei sich auch. „Dein Puls ist aber tief“ Er sah mich erschrocken an. Schnell fügte ich hinzu: „Ein richtiger Sportlerpuls.“ – „Ach, weißt du, wenn ich im Bett liege, dann wird mein Rücken so heiß. Entweder hab ich was an der Wirbelsäule oder an der Lunge. Der Zahnarzt sagte auch, ich sei so kurzatmig.“ Nach einigem Hinterfragen stellte sich heraus, dass er nachts seine Fußbodenheizung auf voller Leistung angelassen hatte.
Heute erschien er noch leidender und noch verzweifelter: „ Ach, weißt du, wenn ich Frust hatte, hab ich mir immer ein Video gekauft. Die X wusste nichts davon. Das war schon eine richtige Sucht. Nicht, dass ich dann was gemacht hätte… aber… Und jetzt hab ich so viele DVDs. Ich will endlich Schluss damit machen. Ich wollte sie in einer Videothek verkaufen, aber die wollten nur 0,60€ pro Stück zahlen. Wenn ich aber die DVDs in den Container schmeiße, sehen mich nachher die Leute ….“
Er hatte eine riesige Sporttasche mitgebracht: „Könntest du die Pornos nicht hier bei dir lagern?“
Das war doch wohl die Höhe! Ich sollte SEINE Pornos in meiner Wohnung deponieren, so für alle Fälle? Falls er sich die ganze Sache noch mal anders überlegte? Eine private Porno Videothek! Obwohl, ich könnte sie ja in meinem männlichen Bekanntenkreis gewinnträchtig verleihen.
„Blödsinn“ sagte ich „Nimm sie wieder mit!“ Er guckte eingeschnappt auf den Boden. „Bring sie doch ins Krankenhaus für anatomische Lehrzwecke.“
Jetzt war er völlig beleidigt. Ich drückte ihm die Tasche in die Hand und gab ihm gute Ratschläge für nächtliche Müllcontaineraktionen und gut zahlende Videotheken.

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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