VfL Bochum: Schneesturm und drei Böller - das späteste Spiel der Bundesligageschichte

"Spiele auf Schnee und bei Frost waren damals normal." Sagt Lothar Woelk, hier im Zweikampf mit Bayern-Torwart Sepp Maier. Foto: Stadt Bochum, Referat für Kommunikation
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  • "Spiele auf Schnee und bei Frost waren damals normal." Sagt Lothar Woelk, hier im Zweikampf mit Bayern-Torwart Sepp Maier. Foto: Stadt Bochum, Referat für Kommunikation
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Ende Dezember bereitet man sich zumeist auf die Silvesterfeier vor oder legt schlicht mal die Beine hoch. Selbst an Fußball ist kaum zu denken. Vor fast 40 Jahren war das anders. Am 30. Dezember 1978 musste der VfL Bochum in der Bundesliga um Punkte ran. Kein anderes Nachholspiel in der Eliteklasse fand jemals zu einem so späten Zeitpunkt statt.

Winterjacke statt Winterpause hieß es an jenem Samstag im Rekordwinter 78/79 auf der VfL-Bank. Es war ein eiskalter Nachmittag, an dem Trainer Heinz Höher neben dem damals noch überschaubaren Betreuerstab und den Einwechselspielern seinen Platz fand. Was er und die unerschütterlichen, mitgereisten VfL-Fans erlebten, war aus Bochumer Sicht ein restlos gebrauchter Tag. Ursprünglich war die Partie des 16. Spieltags, an dem Fortuna Düsseldorf übrigens im damaligen Rheinstadion den FC Bayern mit 7:1 wegfegte, für den 9. Dezember angesetzt worden, fiel jedoch aus. Ganze Spieltage blieben damals im Winterwetter hängen. Sage und schreibe 46 Spiele fielen insgesamt aus. Teilweise mehrfach, weil auch an einem komplett angesetzten Nachholspieltag wieder sieben Begegnungen gestrichen werden mussten. Bis in den Mai 1979 hinein wurden Partien nachgeholt.
Der DFB wollte das Match Darmstadt gegen Bochum unbedingt noch vor dem Jahreswechsel über die Bühne bringen, und so kam es zu einem mehr als undankbaren Nachholtermin. Doch zumindest für die Gastgeber, die am Saisonende als Schlusslicht nach nur einem Jahr sofort wieder zurück in die 2. Liga mussten, hatte sich das Nachsitzen dennoch gelohnt. Sie feierten eines ihrer wenigen Erfolgserlebnisse.

Ein Stadion ohne Flutlicht

Damals gingen die Uhren im bezahlten Fußball buchstäblich noch anders. Weil es im Darmstädter Stadion keine Flutlichtanlage gab, pfiff Schiedsrichter Linn aus Altendiez an diesem Samstag bereits um 14 Uhr an. Dass auf Rasen gespielt wurde, konnten die 13.000 Zuschauer nur erahnen. Unaufhörlich fielen Schneeflocken vom Himmel und sorgten für einen weißen Untergrund, über den sich Skilangläufer gefreut hätten. Darmstadt-Trainer Lothar Buchmann war angesichts der Großwetterlage völlig bedient: "An Training ist hier überhaupt nicht mehr zu denken. Wir gehen inzwischen in die Turnhalle."
„Die Bedingungen waren sehr widrig, aber damals war das normal“, dreht VfL-Ikone „Ata“ Lameck die Zeit 38 Jahre zurück und zeigt auf: „Es gab zu der Zeit noch kaum Stadien mit Rasenheizung. Was heute gang und gäbe ist, gab es seinerzeit nur im Frankfurter Waldstadion sowie im Münchner Olympiastadion. Das Wetter war katastrophal, aber wir waren Profis, und so blieb uns nichts anderes übrig, als die Ansetzung des DFB zu akzeptieren.“
Für die Böller waren im Stadion am Böllenfalltor, in dem der heutige Erstbundesligist noch immer seine Heimspiele austrägt, damals die Hausherren zuständig. Drei Stück zündeten sie, und auch der zwischenzeitliche Ausgleich von Dieter Bast (55.) konnte die Niederlage nicht abwenden, die einer echten Schlappe gleichkam.

„Der Stachel saß tief“

„Es war eine ganz bittere Sache“, erinnert sich Lothar Woelk noch gut an jenes außergewöhnliche Nachholspiel und begründet: „Diese Niederlage war frustrierend. Der Stachel saß tief, denn eigentlich war Darmstadt nicht mit uns auf Augenhöhe. Aber wir hatten sie unterschätzt und die zwei Punkte im Vorfeld schon fast auf unserem Konto verbucht.“
Dass der sowieso schon ins Wasser gefallene Weihnachtsurlaub endgültig verhagelt war, setzte der Pleite die Krone auf. Aufgrund des Termins musste der VfL nach dem 17. Spieltag, der am 16. Dezember ausgetragen wurde, durchtrainieren. „Da aber sowieso immer bis kurz vor Weihnachten gespielt wurde, war das an sich kein Problem“, so Woelk: „Auch Spiele auf Schnee und bei Frost waren normal. Als wir den Platz in Darmstadt sahen, haben wir kurzerhand andere Stollen unter die Schuhe geschraubt. So war das damals eben.“

„Geheimwaffe“ Bum Kun Cha

Und dann gab es am 30. Dezember 1978 noch eine weitere Begebenheit. Auch daran kann sich Lothar Woelk noch gut erinnern: „Das war die Sache mit Bum Kun Cha.“ Völlig überraschend hatten die Hessen einen Angreifer aus dem Hut gezaubert, der vorher noch nie in Deutschland zu sehen war und der nach dem Match für ein halbes Jahr auch gleich wieder verschwunden war. Cha hatte damit gerechnet, dass er durch eine Gesetzesänderung in Südkorea vom Wehrdienst befreit werden würde. Als diese Reform ausblieb, drohte ihm der Status des Fahnenflüchtigen und er musste umgehend in seine Heimat zurückkehren, um seinen Wehrdienst abzuleisten.
Immerhin schien der Mann, der bis dato beim Luftwaffensportclub Seoul auf Torejagd gegangen war, einigen Eindruck hinterlassen zu haben, denn im Sommer 1979 sicherte sich Eintracht Frankfurt die Dienste des Südkoreaners, der für ein Spiel den Darmstädtern als „Geheimwaffe“ gedient hatte. Sein Stern freilich ging erst später auf. So gewann Bum Kun Cha sowohl mit Frankfurt als auch mit Bayer Leverkusen den UEFA-Cup.
Zumindest Cha richtete bei seinem einzigen Gastspiel für die Darmstädter „Lilien“ beim VfL keinen Schaden an. Wenn man weiß, wer sein Gegenspieler war, verwundert das hingegen wenig. Woelk verrät: „Ich meine, Bum Kun Cha wurde sofort von Hermann Gerland in Empfang genommen und war dann nicht mehr gesehen.“ Doch damit konnte sich im Bochumer Lager nach einem völlig verkorksten Jahresausklang niemand trösten. Der Trost für den VfL folgte mit der Abschlusstabelle dieser Saison: In der letzten Spielzeit mit Trainer Heinz Höher sprang mit Rang acht die bis dahin beste Bundesliga-Endplatzierung heraus.

Drei Monate ohne Heimspiel

Mit zusätzlichen finanziellen Sorgen plagte sich Anfang 1979 VfL-Geschäftsführer Otto Stratemeyer herum. "Wir haben drei Monate kein Heimspiel", rechnete Stratemeyer hoch, während es bei seinem damaligen TV-Interview so aussieht, als würden im Hintergrund Kinder auf dem Spielfeld des Ruhrstadions eine Schneeballschlacht veranstalten. Selbst in einem geschlossenen Stadion - wie es Bochum bereits damals besaß - sammelte sich die weiße Pracht. In den weitläufigen Leichtathletikarenen, die es seinerzeit in erster Linie gab, sah es noch weitaus dramatischer aus. Im Münchener Olympiastadion etwa türmten sich Schneeverwehungen mannshoch. Die dortige Rasenheizung konnte da nichts ausrichten. In Hamburg hätte man die Auswechselbänke noch nur kriechend erreichen können. In Gelsenkirchen karrten sie den Niederschlag mit Kleinlastern aus dem Parkstadion. Gekickt werden konnte dennoch nicht.

Text von Ralf Rudzynski und Marc Keiterling

Autor:

Marc Keiterling aus Essen

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