Doku "Obdachlos": Vier Tage ein "Penner"

Für sein Doku-Projekt "Obdachlos" verwandelte sich Hüdaverdi Güngör in einen Stadtstreicher und lebte vier Tage auf der Straße. Foto: privat
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Eiskalte Nächte, abwertende Blicke, Hunger, Schmutz, Angst vor Gewalt: Obdachlose leben in einer Parallelwelt, von der viele bürgerliche Menschen kaum etwas wissen oder wissen wollen. Hüdaverdi Güngör hat sich vier Tage lang dieser Welt gestellt. Sein Dokumentarfilm "Obdachlos - Vier Tage ein 'Penner'" feiert am kommenden Samstag in Bottrop Premiere.

Stoppeliger Bart, eine alte Jacke, die dunkle Mütze tief ins Gesicht gezogen: Wer Hüdaverdi Güngör im Dezember in Köln begegnet wäre, hätte ihn vermutlich schnell als einen der vielen wohnungslosen Menschen abgetan, von denen es in der Domstadt viele gibt. "Wieder ein Penner", dachte vielleicht mancher. Würde er betteln oder vielleicht sogar klauen? "Lieber schnell weitergehen", mochte der beherrschende Impuls in vielen Köpfen gewesen sein. Tatsächlich reichten ein paar Tage ohne Rasur und eine abgetragene Garderobe, um einen eloquenten und engagierten 21-Jährigen in einen deutlich älter wirkenden Stadtstreicher zu verwandeln - einen, dem man lieber aus dem Weg geht.

Dabei ist der tatsächliche Hüdaverdi Güngör zumindest in Bottrop kein Unbekannter: Der Sohn eines türkischstämmigen Schauspielers, der selbst schon als Jugendlicher für Serien wie "Alarm für Cobra 11", "Ladykracher" oder "Hausmeister Krause" vor der Kamera stand, setzt sich seit einigen Jahren für sozialpolitische Belange und gegen Diskriminierung ein. Für sein Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit wurde er 2014 mit dem Hermann-Hölter-Preis ausgezeichnet.

"Ich wollte ganz unten anfangen"

"Ich bin seit längerem sozialpolitisch aktiv. Natürlich hätte ich mich auch zum Beispiel damit befassen können, dass nur wenige Superreiche einen Großteil allen Vermögens kontrollieren. Ich wollte aber diesmal ganz unten anfangen", erläutert Güngör den Leitgedanken für das Projekt.

Auslöser sei vor rund drei Jahren die Begegnung mit einem eher ungepflegt wirkenden älteren Mann gewesen. "Ich habe ihn öfter am ZOB getroffen und politisch nicht gerade korrekt als Penner abgetan", erinnert sich Güngör. "Plötzlich erlebte ich den selben Mann, wie er auf einer Veranstaltung eine brilliante Rede gehalten hat, wie ein Professor. Ich war auf einmal geschockt und zutiefst betroffen von meinen eigenen Vorurteilen." Dieser Schlüsselmoment habe in ihm das Verlangen geweckt, mehr über die Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft zu erfahren. Ein erster Versuch, diesem Ziel näher zu kommen, scheiterte jedoch. "Ich hatte mich schlecht vorbereitet", gibt der junge Mann zu. "Ich hatte trotz Winterzeit keine Isomatte zum Schlafen dabei und habe aus jedem dargereichten Becher getrunken. Das hat mein Magen nicht vertragen und ich musste ins Krankenhaus".

Neubeginn ohne Drehbuch

"Versuch macht klug", heißt es, und so startete Hüdaverdi Güngör vor einigen Wochen seinen neuen und diesmal erfolgreichen Versuch. "Ich habe es bewusst im Winter gemacht", sagt er, "im Sommer wäre es mir eher wie Abenteuercamping vorgekommen. Damit wäre ich der Sache nicht gerecht geworden." Die Millionenmetropole Köln war Güngörs Ziel: Zum einen war sie ihm aus früheren Besuchen gut bekannt, und außerdem verfügt sie über eine umfangreiche Obdachlosenszene. "Hier war die Gefahr auch kleiner, dass mich jemand erkennt", so Güngör.

Den Wohnungslosen gegenüber machte der junge Aktivist keinen Hehl aus seinen Absichten. Dennoch begegneten sie ihm erstaunlich offen. "Die meisten hatten nichts dagegen, sich vor der Kamera zu äußern. Im Gegenteil hatte ich das Gefühl, dass die Menschen sich freuten, dass man sich für ihre Anliegen interessiert." Da es für ein solches Projekt ja keinerlei Drehbuch geben könne, habe er sich immer wieder neu auf die Situationen vor Ort einstellen müssen - und auf die Menschen.

"Unter den Obdachlosen gibt es ganz verschiedene Menschen. Einige haben alles verloren, andere haben sich bewusst für ein Leben ausserhalb des Systems entschieden", erzählt Güngor. So unterschiedlich wie die Stadtstreicher seien auch die Reaktionen der Passanten gewesen. Güngor begegnete Gleichgültigkeit, Ablehnung, offener Aggression. "Ich wünschte mir, dass man die Obdachlosen mit der gleichen Würde behandeln würde, wie jeden anderen Menschen", betont er daher.

Am Samstag (7.1.) kann man sich den fertigen Film ab 18.30 Uhr im Kulturzentrum an der Blumenstraße 12 ansehen. Der Eintritt ist frei.

Für sein Doku-Projekt "Obdachlos" verwandelte sich Hüdaverdi Güngör in einen Stadtstreicher und lebte vier Tage auf der Straße. Foto: privat
Im richtigen Leben setzt sich der junge Bottroper erfolgreich für sozialpolitische Ziele ein und wurde dafür bereits ausgezeichnet. Foto: privat
Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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