Fantasievoll und improvisiert - Flüchtlinge lernen Deutsch

Felicitas Kruk übt mit Omorije J. aus Nigeria das Alphabet. Sie ist eine von fünf ehrenamtlichen Lehrerinnen, die Flüchtlingen der Asylbewerberheime in der Harkortstraße die deutsche Sprache beibringen.
  • Felicitas Kruk übt mit Omorije J. aus Nigeria das Alphabet. Sie ist eine von fünf ehrenamtlichen Lehrerinnen, die Flüchtlingen der Asylbewerberheime in der Harkortstraße die deutsche Sprache beibringen.
  • hochgeladen von Silvia Dammer

Flüchtlinge ohne anerkannten Status haben per Gesetz kein Recht, an einem staatlich geförderten Deutschkurs teilzunehmen. In Castrop-Rauxel können sie trotzdem unsere Sprache lernen.

Julia Kruse hält einen Apfel in die Luft. „Apfel“, sagt die ehemalige Lehrerin und betont das „A“.
Eine Babypuppe ist nicht zur Hand, aber das Wort „Baby“ ist international und beginnt auch im Deutschen mit dem zweiten Buchstaben des Alphabets.
„C?“ Ja - „C“ wie Castrop! Das ist seit wenigen Wochen die neue Heimat der circa 20 jungen Männer, die sich einmal wöchentlich mittwochs im Merklinder Jugendheim zum Deutschunterricht treffen.
„Für Asylsuchende ist es wichtig, die deutsche Sprache zu beherrschen. Daher suchen viele von ihnen nach Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben und zu verbessern“, erklärt Brigitte Jasper, Mitglied des Vorstandes des Caritasverbandes Castrop-Rauxel. „Trotzdem ist es ihnen aufgrund ihres noch nicht endgültig geklärten Aufenthaltsstatus nicht möglich, an einem offiziellen Deutsch-Kurs teilzunehmen.“ Aus diesem Grund sei die Idee entstanden, ehrenamtliche Sprachkurse für Flüchtlinge anzubieten.
Jeweils zwei Stunden lernen Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte Harkortstraße in Merklinde im Kleingruppenunterricht die deutsche Sprache vom Alphabet bis hin zu praktischen Sätzen.
Warum nur Männer den Kurs besuchen, vermag Brigitte Jasper nicht zu beantworten. Eingeladen werden auch Frauen, und zu Beginn des Kurses waren zwei dabei.
„Wie komme ich nach Essen?“ Die Worte kommen den Schülern aus Guinea, Syrien, Nicaragua, Nigeria, Afghanistan oder Eritrea nicht leicht über die Lippen. Aber sie mühen sich redlich und wiederholen Buchstaben und Worte, bis ihre Lehrerinnen zufrieden nicken.

"Wir brauchen Lehrbücher"

Elisabeth Sternemann ist eine der Pensionärinnen, die sich in diesem Projekt ehrenamtlich engagieren. Das geht so weit, dass sie sich, wie ihre Kolleginnen Julia Kruse (pensionierte Lehrerin) und Brigitte Jasper, auch zu Hause noch Gedanken um ihren Unterricht und ihre Schützlinge macht. Sorgen bereitet der ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Firma Bayer das fehlende Lehrmaterial. „Wir bräuchten vor allem spezielle Lehrbücher.“ Bisher behelfen sich die Lehrerinnen mit Kopien aus Schulbüchern und Exemplaren eines „Bildwörterbuchs Deutsch“. „Angefangen haben wir mit 30 Kollegblocks und 30 Kugelschreibern“, sagt Brigitte Jasper. Zu Beginn des Kurses habe sie sich auch mit der Frage beschäftigt, wie man sich untereinander anspreche. Das „Du“ schien passabel und der familiären Lernatmosphäre angemessen. Dass sich letztendlich alle siezen, „wird den Kursteilnehmern später im Alltag oder bei Behördengängen einen besseren Eindruck verschaffen“, ist sich Jasper sicher.

Englisch und Französisch als Vermittlersprache

Wichtige Hilfsmittel zur ersten Verständigung sind Englisch und Französisch als vermittelnde Sprachen. Denn wenn die Kursteilnehmer auch großen Ehrgeiz mitbringen, so warten sie mit unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen und Bildungsständen auf. Die Kurse werden deshalb in diese zwei Sprachgruppen aufgeteilt und in verschiedenen Räumen durchgeführt.
„Please tell me your telephon number in German“, fordert Elisabeth Sternemann einen jungen Mann aus Afghanistan auf. Vahid S. besucht den Kurs regelmäßig seit dessen Beginn. Er beweist mit einwandfreier Aussprache und grammatikalisch beinahe perfekten Sätzen, dass die intensive Arbeit der Lehrerinnen sehr effizient ist. Wenngleich immer wieder Kursteilnehmer abspringen und neue dazustoßen. Eine Herausforderung für die Ehrenamtlerinnen.
Dennoch schätzt auch Felicitas Kruk, die 40 Jahre als Kindergärtnerin arbeitete und in ihrem Ruhestand „etwas Nützliches leisten will“, diesen oftmals fantasievoll improvisierten Unterricht in jeder Hinsicht als ein Geben und Nehmen. „Es wird so viel auf Flüchtlinge geschimpft.“, sagt sie. „Ich habe sie als liebenswerte und so herrlich wissbegierige Menschen kennengelernt.“
Der Kurs wird nach der Weihnachtspause im Januar fortgesetzt. Und dann hoffen die Lehrerinnen, wieder einige Frauen unter ihren Schülern begrüßen zu können.

Autor:

Silvia Dammer aus Hagen

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