Dinslaken-Lohberg: Der Roman einer Integration

Eyyüphan Duy beim NA-Talk in seinem Café im Obergeschoss der Neutor-Galerie.
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Aus der Wolfsschlucht ins gelobte Almanya - wenn auch unter Tage:

Dinslakens Außenwirkung ist derzeit (vorsichtig formuliert) „suboptimal“. Die niederrheinische Mittelstadt mit ihren rund 70.000 Einwohnern an der Grenze zum Revier hat ein Salafistenproblem: „Euro-Dschihad von Paris bis Dinslaken“ schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo. Und im SPIEGEL auszugsweiser Vorabdruck des Buches „Zum Töten bereit“ von Lamya Kaddor, hier Lehrerin für Islam-Schulunterricht. Fünf ihrer einstigen Lohberger Schüler hatten sich in Syrien den IS-Truppen angeschlossen, einst nach der Schule radikalisiert im Dinslakener Ex-Arbeiterviertel.

Den Bürgern selbst ist das schlimme „bad image“ ihrer Stadt gar nicht so bewusst. Schon komisch, wenn der Shop-Leerstand in der City größer wird, der bundesweite Verkauf von Luxuswohnungen, auch im Lohberger „Kreativ.Quartier“ neben der bewussten Zechen-Siedlung eher schleppend anläuft, Investoren ausbleiben... aber, ob das wirklich „daran“ liegt?

Und die Lohberger selbst im nördlichen Ex-Kumpel-Stadtteil? Ob mit oder ohne Migrations-Hintergrund, sind sie es „vor allem leid, sich vor jedem Mikro erst einmal von jeglicher Art extremistischer Gewalt distanzieren zu müssen.“. Wer wäre denn schon ernsthaft für Terrorismus und Mord?

Und so sind viele nach gedruckten und gesendeten Erfahrungen nicht mehr bereit, überhaupt noch mit „den Medien“ zu reden. So ist es ein kleines Wunder, wenn man nach hartnäckigster Suche Menschen findet, die trotz aussichtsloser Start-Voraussetzung wie später die „Lohberger Brigade“ von dort aus ihren Weg gemacht haben, einen anderen Weg, einen erfolgreichen. Hier ist einer, mit einem Leben wie aus einem Roman.

Und: Es ist auch ein Roman! Das Leben und er haben ihn selbst geschrieben. Er geht so:

Eyyüphan Duy wurde in einem winzigen türkischen Dorf geboren. Sein Vater ging Anfang der 60er gegen den Willen des Großvater-Familienoberhauptes nach Almanya, weil er sich hier Arbeit versprach. Und eine Zukunft für seine Kinder:
Seine kurdischsprachige Frau folgte mit den vier Jüngsten, „Ephans“ ältere zwei Schwestern wurden zuvor durch arrangierte Ehen versorgt.
Der Kulturschock konnte für den winzigen Jungen kaum größer sein: Die entbehrungsreiche Kindheit im Dorf war trotz allem schön. Zumindest in Ephans Erinnerung zwischen Lämmern, Lieblingshund, streng-gütigen Großeltern, Schwestern und Tanten. Das Gefährlichste überhaupt war die Wolfsschlucht. Die war absolut verboten: Nachts heulten die Wölfe. Einmal entkam er nur ganz knapp. Wie später, da waren es andere Kreaturen.

Im kalten und smogbelasteten Duisburg-Hamborn der 70er, in einer kleinen billigen Wohnung, wo die Familie zunächst unterkam, verstanden sie kein Wort Deutsch. Und waren auch nicht willkommen. Als der Vater dann im nahen Lohberg ein Zechenhäuschen ergattern konnte, war das eine Verbesserung.

Mutter, kurdisch aufgewachsen und nicht einmal so recht des Türkischen mächtig, war mit vier Kindern in der Fremde so überfordert, dass sie kein Deutsch lernen konnte. Niemand half den Kleinen bei den Hausaufgaben, bei Ephan stellte man prompt „Legasthenie“ fest. Das „Elterngespräch“, das er selbst dolmetschen musste, weiß er fast noch Wort für Wort: Vater hielt ihn für zu dumm, jemals Schreiben lernen zu können. Es folgten Prügel und Bestrafungen. Und eben keine „Förderung“, wie von hilflosen Lehrern wohlmeinend empfohlen. Wer hätte Nachhilfe bezahlen sollen?

Die älteren Brüder folgten dem Vater „auf Zeche“, die Lohntüten kassierte der Vater. Als die Brüder heirateten, oblag den Schwiegertöchtern, wie im Dorf zuhause üblich, der Haushalt für die ganze Groß-Familie, von den Schwiegereltern wie Aschenputtel behandelt: Die Brüder zogen dann mit ihren Frauen aus, damit entfiel deren Lohn.

Anerkennung als Breakdancer

Klein-Eyyüphan fiel auf dem Pausenhof und in Freizeit-Heimen der Region durch seine Breakdance-Fähigkeiten positiv auf und gewann auch Wettbewerbe, ergatterte gar heimlich bezahlte Disco-Auftritte, vom Vater erwischt: Männlicher Nachwuchs, der „mit Tanzen Geld verdient“, eine Schande für die ganze Familie.
Runter von der Schule, ohne Abschluss sofort „ab unter Tage“. Die Tüte aus der Zechen-Lohnhalle kassierte wieder der Vater. Es sollten zehn harte Jahre werden.
Ephan breakdancte insgeheim weiter, verliebte sich - in ein deutsches Mädchen !

Kein Entkommen aus der arrangierten Ehe

Im Sommer drauf in der Türkei wurde er in eine arrangierte Ehe gedrängt. Es gab kein Entkommen, weder für ihn noch für sie. Mütterlicher Rat vor der Hochzeit: „Tritt ihr fest auf den Fuß, dann stehst Du niemals unter ihrem Pantoffel.“. Auch die neue Schwiegertochter wurde in Deutschland von Eyyüphans Eltern streng kontrolliert: Nicht noch einmal sollte eine Angeheiratete Sohn und Lohn aus dem Elternhaus locken. Beide litten jeder für sich, lebten nebeneinander her, bekamen zwei Söhne...

Unter Tage und nachts Breakdancen

Um die Arbeit vor Kohle und das Breakdancen nach der Untertageschicht „auf die Reihe zu kriegen“, nahm er Aufputschmittel. Und irgendwann in der Disco härtere Drogen, zur Finanzierung begann er zu dealen, wurde prompt erwischt, verurteilt und inhaftiert. Im Gefängnis: Entzug, Therapie, Ausbildung. Ein deutscher Ausbilder dort wusch ihm den wirren Kopf: „Du bist doch ein schlaues Kerlchen. Das ist hier Deine letzte Chance! Also, krieg die Kurve!“.

Sage Keiner, das gibt es nicht: Eyyüphan Duy hat die Kurve gekriegt. Er kam nach seiner Entlassung in der Gastronomie unter: Als Restaurant-Spülhilfe im damals neuen Centro Oberhausen. Die suchten willige, vor allem billige Leute und sie fragten nicht viel. Er hat dann Tag und Nacht geschuftet, fiel durch gute Ideen und Fleiß auf.
Das kam an: Eyyüphan wurde Geschäftsführer, hatte irgendwann sein erstes eigenes Restaurant. Und endlich den Erfolg, den er sich seit der Wolfsschlucht und der Zechenschlucht in Lohberg immer gewünscht hatte.

Vom Tellerwäscher zum ersten eigenen Restaurant

Auch überregional, mit weiteren großen Event-Restaurants (u.a. „Efendy“ Duisburger Innenhafen, Oberhausen Centro, Düsseldorf oder „Cubar“ DU-Innenhafen, Recklinghausen, Düsseldorf, ebenfalls im Centro, die Duy inzwischen verkauft hat). Promis kamen und kommen gern, mit eigener Filmproduktionsfirma ließ er mit Uwe Ochsenknecht und anderen auch in Lohberg drehen.

In Dinslakens neuer Einkaufs-Mall, der Neutor-Galerie hat der „Lohberger Junge“ das „dein.KULT-Café“ eröffnet. Die Leute sagen: Das mit den bunten Hunden. Weil er auch ein „bunter Hund“ ist, wie er selber sagt und Hunde über alles liebt: „Denn sie sind treu und zuverlässig.“. Und weil er weiß, wie schnell man abrutschen kann in die Wolfsschlucht, unterstützt er mit seinem Verein „dein.KULT-Jugendhilfe“ heute Jugendliche, die „auch die Kurve kriegen sollen“.

Auch in Lohberg, seiner Heimat, will er helfen. Denn in Eyyüphans Augen sind auch die späteren Lohberger IS-Kämpfer auch mal Jungs gewesen, Jungs mit großen Hoffnungen und Sehnsucht nach Anerkennung. Er entschuldigt nichts, weiß aber, wie unmöglich es ist, einen Ausbildungsplatz zu finden, wenn man schlechte Zeugnisse hat. Und erst wenn sogar die Zeche längst geschlossen, der Förderturm als Ausweg abgebaut ist. Und falscheste Anerkennung lockt.

Eyyüphan hatte doppelt Glück, er traf stattdessen auf Neslihan, seine ganz große Liebe und heutige Frau. Und weil er ihr und all seinen Kindern sein Leben erklären wollte, und weil es nicht einfach ist, über so eine Lebensgeschichte zu reden, da hat er sie aufgeschrieben. Seinen Roman „Am Tropf der Anerkennung“ will er bald der Öffentlichkeit vorstellen. Er ließ mich das Buch vorab lesen, für Dinslaken sozusagen. Es ist der Roman einer Integration. Von Einem, der auszog, sich von falscher Anerkennung verführen zu lassen. Es dann aber letztlich doch nicht tat.

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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