Unser Albert Schweitzer

Jürgen (u.l.) mit seinen älteren Geschwistern. Foto: Jürgen Weber.
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Ein Leben für die Lebenshilfe:

Nach 31 Jahren bei der Albert-Schweitzer Einrichtung (ASE) „Lebenshilfe Dinslaken“ ist ihr Chef Jürgen Weber zum 1. Oktober in den Ruhestand gegangen.

1980 fing er dort als mechanischer Meister an und baute die erste Metallgruppe der Werkstatt auf. Bis 1994 war er Werkstattleiter. Nach dem Fachabitur per Abendschule studierte er anschließend Sozialarbeit. Nach dem Studium übernahm er u.a. die pädagogische Leitung der Wohnstätten sowie die Kindergärten und die Frühförderung. Über zwei Jahrzehnte betreute er als Zivildienstler-Beauftragter deren Ausbildung und ist ein großer Verfechter des sozialen Jahres auch für Mädchen. So papieren könnte man Jürgen Webers „Leben für die Lebenshilfe“ zusammenfassen.

Das Gesicht der Lebenshilfe: Jürgen Weber

Aber für fast ein Jahrhundert-Drittel berufliches und privates Leben für und mit gehandicapten Kindern und Erwachsenen braucht man mehr als eine gute fachliche Ausbildung. Hier sind Engagement und Herzensbildung gefragt. Mit diesem nie ermüdenden Einsatz für die Integration seiner Schützlinge ins „normale“ Leben der Stadt ist Jürgen Weber zum Dinslakener Gesicht der „Lebenshilfe“ geworden.
Er hat an vielen kleinen und großen Veränderungen praktischer Natur (Ausbau der Werkstätten und Wohnungen) oder auch an der „besseren Außenwahrnehmung von Gehandicapten“ sehr aktiven Anteil. Vorurteile und Diskriminierung bekämpft er schon immer vehement und kreativ. Und wünscht sich daher natürlich auch die immer weitergehende Integration Behinderter in Schule und Ausbildung, die man heute „Inklusion“ nennt.

Gegen Voruteile und Diskriminierung

„Vorurteile erledigen sich durch persönliche Begegnungen“, so Jürgens Erfahrung. Schon 1989 gelang ihm ehrenamtlich die Gründung eines eigenen Sportvereins, des BSS. Wie in anderen Vereinen auch spielen gemeinsame Fahrten und Ferienfreizeiten eine große Rolle. Auch knüpfte „le Jurgen“ schon früh zu einer - ebenfalls mit behinderten Menschen arbeitenden - Werkstatt in der französischen Partnerstadt Agen Kontakte. Die beide Seiten gern durch Besuche freundschaftlich pflegen. Und die im Kulturhauptstadtjahr 2010 besondere künstlerische Früchte trug. Die deutsch-französische „Zeltkunst“ fand überregional zu Recht große Beachtung! Auch die „Werkstattzeitung“ wird nach seinem offiziellen Ausscheiden natürlich weitergeführt. Jedes Jahr ein Highlight ist auch der Lebenshilfe-Karneval - die „Sitzungen“ unter Jürgen Webers närrischem Vorsitz sind inzwischen legendär – Lachen ohne die übliche Häme und Schadenfreude.

„Die Schwächsten brauchen die stärkste Lobby“

Sein umfassendes Engament kommt von der Überzeugung, dass „die Schwächsten die stärkste Lobby brauchen“. Er war gerade mal viereinhalb, Jüngster von fünf Geschwistern, als die Mutter starb. Als er zehn war, starb auch der Vater und die Geschwister landeten in katholischer Kinderheim-„Erziehung“. (Er erinnert sich noch, dass er seine Schwestern nur durch ein Gitter sehen und berühren durfte!).
Mit 15 heuerte Jürgen auf dem Segelschulschiff „Deutschland“ an. Und er sah die Welt. Die Marine, bis heute keine Hochburg antiautoritärer Erziehung, war nach der harten, unnötig unglücklichen Zeit bei den Nonnen für das Waisenkind Jürgen wie eine Befreiung - und noch heute schwärmt er von seiner Zeit auf den Weltmeeren.
Zurück an Land ließ er sich zum Nähmaschinentechniker ausbilden. Und arbeitete als Mechaniker in der Kinderschuhfabrik Elefanten.

Freundschaften fürs Leben

Persönliche Begegnungen haben Jürgens Leben immer geprägt. So lernte er während der Ausbildung seinen israelischen Freund Amos kennen. Der lud ihm auch einmal mit Familie zum Passahfest in sein Land ein: Amos Schwiegervater, ein KZ-Überlebender, der seine ganze Familie durch den Naziterror verloren hatte, war lange gegen diese Einladung. Zu tief die Wunden. „Wenn dann so ein Mensch, nach all den Jahren des Verdrängens, plötzlich wieder deutsches Jüdisch spricht und mit uns seinen ganz persönlichen Frieden macht - das ist schon etwas, dem man (- auch als humanistisch gesonnener Deutscher) kaum gewachsen ist.“ Und: Es war der Beginn einer bis heute anhaltenden Freundschaft.

„Der Mensch steht im Mittelpunkt“, so Jürgen Webers Credo auch nach über drei Jahrzehnten Lebenshilfe Dinslaken. Den Vorstand wird er künftig „ehrenamtlich beraten“, weiter die Interessen von Menschen mit Behinderung vertreten. Weitere Ehrenamtliche für diese erfüllende Arbeit zu gewinnen, ist sein Ziel. Und: „wenn es brennt, zur Stelle sein“. Dass Jürgen Weber dann da sein wird – es gibt niemanden hier, der daran zweifelt.
Und für ihn brennt es immer. Denn: Das Herz dieses Mannes, der als Junge keine Lobby hatte, brennt danach, zu helfen. Wie sagte es einer seiner „Schützlinge“? Jürgen, das hört sich einfach nicht nach Ruhestand an... Und: „Danke!“. (Erschienen im Niederrheinanzeiger KW 40/11 cd)

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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