125 Jahre SPD Dinslaken: Exil-SPD-Flugblatt für den sozialdemkratischen Untergrund

SPD Wahlkampf 1926. Foto: Stadtarchiv Dinslaken.
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21. Oktober 2015 im Ledigenheim: 125 Jahre SPD in Dinslaken - Anti-Nazi-Infos im Brot-Lieferwagen „Germania“

„Vorsicht vor den Lehrern in der Partei!“ mahnte einst „Arbeiterkaiser“ und SPD-Gründer August Bebel - die jetzt 125jährige Dinslakener SPD aber kann mal stolz auf einen sein: Johannes Niggemeier hat die oft tragische Geschichte seiner Genossen vor Ort aufgeschrieben. Zur Jubiläumsfeier der Dinslakener SPD am Mittwoch, dem 21. Oktober im Lohberger Ledigenheim sind abends ab 19 Uhr alle Bürger bei freiem Eintritt eingeladen.

Bis auf „die wenigen guten Jahre der Weimarer Republik“ schildert Ratsmitglied Niggemeier ab dem Ende der Sozialisten-Verbote 1890 und nach ersten heroischen Aufschwüngen eine fast tragische Ortspartei-Geschichte - der inneren Auseinandersetzungen, der Anpassung („Burgfrieden“, „Reichsbanner“), der nie verwundenen Spaltung und der vergeblichen Kämpfe vor und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der 1928 von einem der ihren einmal als “Industrie-Großstadt Dinslaken“ geplanten Stadt. Seine kleine Historie der Dinslakener Partei soll in gedruckter Form zusammengefasst erscheinen, bei der Jubiläumsfeier wird auch „im Schnelldurchgang“ wichtiger Parteigrößen wie Achenbach, Hantel, Landräte Schluchtmann und Bailly, Bültjes, Drescher, Zimmermann, Böllhoff, Jeanette Wolf und Nachkriegsbürgermeister Lantermann gedacht.

Niggemeiers historisch genauer und parteipolitisch neutral kaum wertender Abriss der örtlichen SPD-Geschichte wird derzeit in einer Artikelfolge der Dinslakener NRZ-Lokalausgabe veröffentlicht, die wie der Niederrhein-Anzeiger bei FUNKE-Medien erscheint. Historische Fotos – die auch in Lohberg zu sehen sein werden - belegen den Weg der örtlichen SPD vom Titel-Faksimile der polizeilichen „Acta Specialia betr. Sozialdemokratie“ bis zum denkwürdigen Brot-Lieferwagen „Germania“, mit dem Flugblätter der Exil-SPD vertraute Genossen illegal im Hitlerreich erreichten.

Für Niggemeier markiert die Reichstagswahl vom Februar 1890 den Beginn seiner Partei in Dinslaken: Dem Königlichen Landrat in Ruhrort war von ganzen sechs SPD-Stimmen „in den ländlichen Bezirken“ zu rapportieren. Lange gab auch nach der Parteizulassung kein Wirt sein Lokal für SPD-Versammlungen her, auch wenn sie als „Knappenverein zur Besprechung bergmännischer Angelegenheiten“ auftraten. Schnell wichtig die Nähe zu entstehenden Gewerkschaften, so trafen sich etwa in der Hiesfelder Schankwirtschaft Gebr. Bollwerk vermutlich Sterkrader GHH-Metallarbeiter schon 1877, die Duisburger SPD war schon als Ortsgruppe des SPD-Vorläufers ADAV 1864 gegründet worden.

Reichstagswahl 1890: 6 Stimmen für die SPD

Thyssens zur Jahrhundertwende als gigantisch geltendes neues Dinslakener Walzwerk und ab 1913 die Zeche Lohberg markierten Industrialisierung, Bevölkerungs- und Arbeiter-Zunahme, Hiesfeld-Eingemeindung, SPD-Streit über die Bewilligung der Kriegskredite und 1918 in Dinslaken die ersten beiden SPD-Stadträte, Parteigliederungen waren in Walsum und Dinslaken nach 1900 entstanden. Mitten im Krieg ereilte die Trennung der Partei auch den heimischen Raum, im sog. „Redaktionskonflikt“ stärkten die eigenen Duisburger Parteizeitungs-Redakteure die USPD, später KPD, während der aus Dinslaken stammende Parteisekretär die Mehrheits-SPD vertrat.

Der tiefe Graben der Spaltung der Linken zieht sich auch in Niggemeiers Darstellung bis in die Zeit des Widerstandes unter Hitler durch die gesamte Nachkriegs- und Weimarer Zeit. Es ist auch die Trennung zwischen den gemäßigten Bezirken des einst bürgerlichen Dinslakens, seiner vom SPD-Rückblicker vermutet vorwiegend SPD-treu bleibenden Walzwerk-Arbeiterschaft und der starken Rotfront der damaligen Kommunisten-Hochburg Lohberg: dies spiegelte sich laut Niggemeier auch gewerkschaftlich in der mehrheitlichen Abkehr der Bergleute vom SPD-treuen „Alten Verband“ hin zur Pro-KPD-„Freien Arbeiter Union“.

Er schildert auch die Verschärfung dieser Spaltung unter „Bluthund“ Noske auf Reichsebene, vermerkt aber unter den noch wenigen offiziellen Dinslakener SPD-Funktionsträgern keine USPD-Tendenzen: eher „Festversammlung“ 1919 im Franziskaner und Gründung von Arbeiter-Sänger- und Radsport-Bund.

Nach dem Ruhrkampf 1920 ergab die Wahl in Dinslaken-Stadt 20 SPD, 5 USPD und 26 KPD-Anteile, obwohl diese eben erst gegründet worden war. In Lohberg: 7 SPD, 8 USPD und 65 KPD-Stimmen auf hundert, während die bürgerliche Mitte im Dinslaken der Weimarer Zeit stets 20-30 Prozent erhielt.

Es mag so gewesen sein, dass die häufigen Rotfrontkämpfer-Demonstrationszüge aus dem „Roten Lohberg“ zum Dinslakener Walzwerk schon früh ängstliche Bürger den örtlichen Nationalsozialisten zutrieben. Die bereits am Nikolaus-Vorabend 1926 mit Kundgebung auf dem Neutorplatz und anschließenden antisemitischen Ausschreitungen auf der Neustraße Furore machten.

1933 wählten viele Arbeiter die NSDAP

Niggemeier schildert den tragisch gescheiterten Versuch der SPD auch hier, mit einem „Reichsbanner Schwarz Rot Gold“ im Verbund mit konservativen Kräften die Weimarer Republik auf der Straße gegen die „Extremisten“ zu verteidigen.

Als kurz vor der Machtergreifung die SPDler als Marxisten und „rote Bonzen“ von den Nazis und als „Arbeiterverräter“ von der KPD bezichtigt wurden, hatte ihre Partei in Dinslaken ganze 90 Mitglieder, im Stadtrat saßen ab 1929 ebenso viele SPD-Mandate wie die einer Haus- und Grundeigentümer-Partei: Jeweils ganze vier, noch keine NSDAP. Mit der Reichstagswahl 1930 aber scheint im damaligen Landkreis Dinslaken „alles gelaufen“: Aus dem Stand 21 Prozent für die NSDAP, gleich zweite Kraft hinter der KPD mit über 34 %, SPD mit nur noch 13 Prozent sogar hinter dem Zentrum.

Und SPD-Mann Johannes Niggemeier stellt zur Stadtratswahl 1933 lapidar fest, als der Nazi-Block schon mehr als die Hälfte der Stimmen erhielt: „Es wählten also nicht nur radikalisierte Kleinbürger die Nazis, sondern auch schon viele Arbeiter und deren Familien.“.

Im Juni 33 ließ der Nazi-Landrat führende SPD-Funktionäre in „Schutzhaft“ nehmen: die jüdische Sozialdemokratin Jeanette Wolf war schon zur Reichstagswahl verhaftet worden, überlebte den Holocaust und gehörte bis 1961 dem Deutschen Bundestag an. Das Nazi-„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entfernte laut Niggemeier Sozialdemokraten aus der Stadtverwaltung.

Ein über das Brot-Vertriebssystem der Fabrik „Germania“ mit illegalen Flugblättern noch erreichte Verteilernetz der Untergrund-SPD flog auf, im Großraum wurden 167 Mitglieder verhaftet und des Hochverrates angeklagt, vier Dinslakener gingen ins Gefängnis.

Ganz anders als diese von Johannes Niggemeier auf fünfzehn DIN A4 Seiten zusammengefasste erste Hälfte der Dinslakener SPD-Geschichte der 55 Jahre von 1890 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 verlief die zweite Hälfte ab Währungsreform und Gründung der Bundesrepublik. Doch – das ist wirklich eine ganz andere Geschichte.

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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