Adventskalendergeschichte: Das Lächeln des Rentieres (Tor 23)

Rentiermops Murphy wünscht frohe Weihnachten. | Foto: jape
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Eine Weihnachtsgeschichte in 24 Teilen. Fast so glücklich machend wie Schokolade, aber dafür kalorienarm.

24.12.2013 | 12.00 Uhr
Es ist leicht, Weihnachten nicht zu mögen. Manche nervt es, dass sie noch weniger Parkplätze finden als üblich. Andere stört, dass sie über die Feiertage hinweg ihr Gewicht nahezu verdoppeln. Bei Norman ist die Abneigung recht offensichtlich. Als Weihnachtsmann verkleidet wird er gemocht und beachtet. Kinder schauen ihn erwartungsvoll und mit großen Augen an, während die Erwachsenen ihn freundlich grüßen. Ohne diese Maskerade wäre er ein Niemand; er würde vielleicht sogar stören, weil er eventuell einen Parkplatz besetzt. Als Norman würde er jetzt daheim sitzen und sich selbst bedauern. Warum muss ich Weihnachten alleine verbringen? Liebt mich denn niemand? Bin ich es nicht wert?
Norman kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sein Selbstmitleid verwandelt sich ab einem gewissen Punkt in Aggression, die er meist mit Alkohol ertränkt. Ausleben kann er diesen Zorn nie, aber er verfolgt ihn in seinen Träumen, wenn er beispielsweise von einem Amoklauf im Einkaufszentrum träumt. Dem Einkaufszentrum, in dem er hier und jetzt steht. Mit einer Pistole, die er aus dem Sack zieht und wild um sich schießt. Genau die Pistole, die er heute morgen einsteckte, ehe er zur Arbeit ging.
„Sie würden mich beachten“, denkt er manchmal flüchtig, als er seine übliche „Frohes Fest“ Schallplatte abspielt. Dabei ist es nur der Neid auf all die Menschen, die abends im Kreise ihrer Lieben feiern werden. Die etwas haben, was ihm fehlt. Wärme, Zuspruch und Hoffnung. Das will er auch, doch weiß er nicht, wie.

Lena las einmal in irgendeiner Zeitschrift, dass Glückshormone automatisch ausgeschüttet werden, wenn man lächelt. Das würde bedeuten, dass sie sich selbst auf Knopfdruck glücklich machen könnte. Einfach so. Sie steht vor einem Spiegel in einem kleinen Modegeschäft und trägt ein recht albernes Rehgeweih, welches sie vor einer Stunde kaufte. Niemals hätte Lena gedacht, dass sie nicht flüchtet und sich stattdessen mitten ins Weihnachtsgetümmel stürzt. Es erstaunt sie noch mehr, dass es sich gar nicht so dramatisch anfühlt, wie sie befürchtete. Mit dem Rehgeweih auf dem Haupt übt sie ein zwangloses Lächeln. Gar nicht so einfach für sie, aber sie gibt nicht auf. Eigentlich muss sie mehr über den Versuch lachen.
Sie überlegt, was sie mit dem Rest des Tages anstellen könnte. Was macht man an Weihnachten, wenn man keine Familie zum feiern hat? Man könnte sich selbst beschenken. Diese Idee gefällt ihr so gut, dass sie spontan einen persönlichen Wunschzettel im Kopf zusammen stellt. Der Ort ist doch perfekt; ein Einkaufszentrum und lauter Sonderangebote werden gewiss selbst für sie was in petto haben.
Trotz aller neugewonnenen Zuversicht denkt sie an damalige Feste mit ihren mittlerweile verstorbenen Eltern zurück. Sie fehlen ihr so sehr, dass sie es kaum in Worte fassen kann. Ein Trost ist jedoch, dass sie niemals gewollt hätten, dass Lena den Rest ihres Lebens in Trauer verbringen soll. Mit diesen Worten im Hinterkopf und dem Geweih als Verstärkung grinst sie sich selbst an und flüstert leise: „Happy fucking Christmas, Lena. Zeit zum Shoppen.“

Ein kleiner Junge tippt Norman an.
„Ich glaube zwar nicht an dich, aber das Kostüm ist nicht schlecht“, sagt der kleine Malte.
Norman guckt dumm aus der Wäsche.
„Was ich schon immer mal fragen wollte … Lebst du wirklich am Nordpol?“
„Ho ho ho, Kleiner.“
„Ich bin Malte. Nenn' mich nicht 'Kleiner'. Ich bin schon acht!“
Norman wirkt überfordert. Er hat sicherlich hier und da Smalltalk führen müssen, doch ging es meist um Geschenke. Oft musste er nur an den nächsten Apple-Store verweisen oder Schokolade raus rücken.
„Wo sind denn deine Eltern, Malte?“
„Mama liegt im Krankenhaus.“
„Was? Und dein Vater?“
„Der ist schon lange weg.“
„Aber aber … Du bist doch nicht alleine hier, oder?“
„Boar, Weihnachtsmann. Natürlich nicht. Siehst Du den da vorne? Mit den vielen Tüten und dem Plastikweihnachtsbaum unterm Arm? Das ist mein Onkel.“
Malte zeigt auf Peter, der nicht weit entfernt sichtlich angestrengt mehrere Taschen und Tüten schleppt. Den besagten Baum aus Plastik hat er auch im Gepäck.
„Malte! Du sollst doch nicht einfach wegrennen!“ ruft Peter und nähert sich den beiden.
„Aber ich wollte den Weihnachtsmann begrüßen“, verteidigt sich Malte.
„Hallo, ich bin der Weihnachtsmann“, stellt sich Norman vor und merkt beim Aussprechen, dass er sich das auch hätte sparen können.
„Angenehm, ich bin Peter. Malte kennst Du ja bereits. War er denn auch artig?“
„Mein Gott, Peter. Das ist ein Mann in Verkleidung. Der echte Weihnachtsmann hängt bestimmt nicht hier im Einkaufszentrum rum“, wirft Malte ein und verdreht die Augen.
Die drei müssen lachen.
„Du bist echt ein cleverer Bursche, Malte“, sagt Norman.
„Das ist er wirklich. Aber wir müssen nun auch weiter. Sonst haut mich meine Schwester, wenn wir sie noch länger warten lassen. Außerdem haben wir noch einiges vor“, sagt Peter und nickt seinen Tragetaschen zu.
„Frohe Weihnachten, gut verkleideter Weihnachtsmann“, sagt Malte.
„Euch auch. Grüß deine Mutter von ihr und wünsche ihr eine gute Besserung.“
Malte verschwindet direkt mit dem schnaufenden Peter im Getümmel, während Norman noch hinterher winkt. In diesem Moment vergisst er seine schlechten Träume und denkt an seine eigene Kindheit; an all die süßen Augenblicke, die er Heiligabend erleben durfte. An den Weihnachtsmann hatte er auch recht früh nicht mehr geglaubt, auch wenn ihm seine Eltern das Gegenteil weismachen wollten. Das waren magische Jahre.

Gustav nimmt einen Umweg. Eigentlich wollte er das Einkaufszentrum schon verlassen haben, doch er wollte sich beim Weihnachtsmann bedanken. Er hatte ihm einen guten Tipp gegeben, wo er ein Geschenk für seinen Sohn Konstantin auftreiben könnte. Ein kleiner Junge geht an ihm vorbei, neben ihm ein Mann, der eine Menge Zeug eingekauft hat. Sogar ein Weihnachtsbaum aus Plastik ist dabei. „Bestimmt Vater und Sohn“, denkt sich Gustav und freut sich umso mehr auf den Abend mit Konstantin.
Wie konnte er nur jemals die Hoffnung verlieren? Sicherlich hat das Weihnachtsfest einen Beigeschmack von Konsumschlacht, viel zu vielen Kalorien und einem öden TV-Programm. Doch führt das Fest wenigstens einmal im Jahr alle zusammen. Weckt etwas oft Vergessenes in uns. Wenn man es zulässt. Man kann es als Kitsch abtun, oder sich einfach von der Magie anstecken lassen.

Es wird langsam leerer im Kaufhaus. Norman schaut auf die Uhr.
Bald Feierabend.

Fortsetzung folgt.

Autor:

Oliver Peters aus Dinslaken

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