Reinfall Sonnenfinsternis, oder: Wie ich mich nach Island beamte.

Fast wie eine Islandexpedition: Statt Sonne gab es nur Nebel.
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  • Fast wie eine Islandexpedition: Statt Sonne gab es nur Nebel.
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Der große Tag war angebrochen: Der Mond sollte sich vor die Sonne schieben, und in Dorsten hatte man sich um die letzten Schutzbrillen fast geschlagen. Nun waberte dichter Nebel über der Lippestadt, und die Sicht zum Himmel war gleich null. Wie kann man einen solchen Tag noch retten? Unser Redakteur fand einen Weg.

19. März: Der Tag zuvor

Keine Frage: Die letzten Tage waren etwas hektisch gewesen. Auf die Frage, ob die patenten Dorstener Optiker noch Sichtschutzbrillen für die Eclipse hätten, ernte man nur mitleidiges Lächeln. Seit Tagen ausverkauft, natürlich. Schweißerbrillen? Keine Chance. Immerhin kommt beim Rußen von Fensterglas über einer Kerze kaiserzeitliches Flair auf. Zumindestens kann man es sich einreden. Riechen tut es jedenfalls recht antik.

20. März: SoFis Tag

Huch, schon Freitag. Voller Erwartung und mit geschnürtem Kamerarucksack tritt der Redakteur hinaus in die Welt, das gerußte Glas im Gepäck. Doch die Freude trübt sich schnell - passend zum Wetter, denn die Fahrt zum Aussichtspunkt gleicht einem Flug durch die Wolken. Nicht einmal 50 Meter weit reicht die Sicht, so dicht hat sich ein Nebel ausgebreitet, den man selbst in London verfluchen würde. Von der Sonne keine Spur, nur milchige Luft in jeder Himmelsrichtung.

Schon beim Gang auf den Aussichtspunkt kommen dem Redakteur die ersten Sonnenhungrigen entgegen, die entnervt aufgegeben haben. "Man sieht ja gar nichts", zuckt ein Mann mit den Schultern, der eine Schweißerhaube wie einen nutzlos gewordenen Ritterhelm an seiner Seite baumeln lässt. Kurzer Blick nach oben: Nebel. "Rein technisch gesehen befinden wir uns in einer Wolke, die bis zum Boden reicht", erklärt der meteorologisch bewanderte Begleiter. Doch der Stadtspiegel ist nicht hier, um aufzugeben: Weiter nach oben!

Wie Geisterschemen schälen sich Bäume und Steine aus dem Dunst. Auf dem höchsten Punkt der Anhöhe scheint die Welt in Milch gebadet zu sein. Krähen fliegen auf, ansonsten scheint der Ort von allen guten Seelen verlassen zu sein. Und die Sonne? Ist mit dem Mond beschäftigt und hat keine Zeit für Dorsten. Kurzer Anruf bei den Kollegen in der Altstadt: Niemand guckt. Nur Nebel. Soll man den Bericht also abblasen? Nichts da, jetzt wird abgewartet.

Minuten später: Auf dem Display des Astronomiesimulators auf dem Smartphone schiebt sich die Mondscheibe brav vor die Sonne. Unten sieht man davon nichts. Nur noch diffuser scheint die Suppe zu werden. Der Redakteur macht Fotos, ein paar mit der Kamera, einige mit dem Telefon. "Gruß aus Island", tippt der noch immer nicht besiegte Schalk vom Nacken aus in die Tasten. Schließlich sieht das Ödland samt Nebel aus wie ein Vulkan. Ejaflö... wie auch immer die heißen.

Dann passiert es.

"Pling! Pling!" Der Tonerzeuger im Smartphone steht nicht mehr still. "Wahnsinn, wie bist du denn dahin gekommen?" will die Bekannte wissen. "Wir beneiden Dich! Tolle Sache" kommt vom frischgebackenen Ehepaar aus der anderen Himmelsrichtung. "Are you kidding me?" anglisiert eine Freundin aus Bayern. Der Redakteur stutzt... dann grinst er. Ein Foto nach dem anderen wird nun durch den Äther gejagt. Steine, sogar mit Islandmoos. Oder sowas ähnlichem, ein Botaniker ist ja nicht dabei. Ödland. Gestalten im Nebel. Die grelle Jacke des Kollegen - sogar ein paar gefilmte Schritte auf dem "Vulkan": Jetzt wird die Scherzmaschine angeworfen. Ihr wollt Island? Bitte, könnt ihr haben.

So schnell kann es sich wenden: Von der SoFi-Pleite zur Islandexpedition. Plötzlich, und ohne ein weiteres Wort zu sagen, wird der Bilderbericht zum Event im Freundeskreis. "Der Nebel sieht bei Dir viel schöner aus als bei uns in Deutschland", textet die Bekannte aus Düsseldorf. Der erste April scheint um über eine Woche vorgezogen, während über der Wolkendecke die Eclipse unbemerkt von den Dorstenern vorüberzieht. Fünf von sechs Adressaten kaufen die scherzhaft gemeinte Bildunterschrift als Wahrheit ab.

Bis auf den einen, den Experten. "Laut meinen Meteodaten kann das nicht Island sein, da ist Sonne. Ihr seid doch bestimmt auf irgendeiner Halde, oder?"

Verdammt, erwischt. Aber vielleicht ist es besser, das falsche Island gesehen zu haben, als keine richtige Sonnenfinsternis.

Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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