Der Sonnenbunker in Dortmund: Ein Deutschland, das es nicht mehr gibt

Eine Steuerungszelle für die Schleuse. Wenn der Schließmechanismus im Gang ist, macht er auch vor Gliedmaßen keinen Halt. | Foto: Anna Plümacher
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  • Eine Steuerungszelle für die Schleuse. Wenn der Schließmechanismus im Gang ist, macht er auch vor Gliedmaßen keinen Halt.
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Die Pastellfarbe bröckelt an manchen Stellen, blättriges Holzfurnier und Rost, wohin man geht. Es riecht nach Kalk. Die kalten Gänge im Sonnenbunker sind nicht nur alt – als die dreieinhalb Tonnen schwere Schleusentür hinter mir ins Schloss fällt, bin ich plötzlich ein Fremder in einem Deutschland, das es nicht mehr gibt.

Der Sonnenbunker in Dortmund ist in mehrfacher Hinsicht ein Experiment. Als Weltkriegsbunker gebaut, später von Vertriebenen als Notunterkunft genutzt und dann verwaist, wird er Anfang der 1960er Jahre zum ersten ABC-tauglichen Bunker Deutschlands umgebaut. Dabei ist er zunächst als Testballon für ein bundesweites Projekt gedacht. Das Bundesamt für Zivilschutz stuft Ende der '50er Jahre insgesamt rund 2.500 Anlagen als für den Umbau geeignet ein – jede*r Bundesbürger*in, so der Plan, soll im Falle eines Nuklearschlags einen sicheren Platz im Bunker haben. Das sind, als die Arbeiten am Sonnenbunker 1963 fertig sind, immerhin schon 75 Millionen Menschen. Im Bunker an der Zwickauer Straße haben 1.500 Platz, für dreißig Tage. Einen weiteren Umbau leistet sich der Staat noch, in Hamburg, dann zieht er die Reißleine: zu teuer.

"Die Nacht der 144 Stunden"

"Die in Stein gegossene Dummheit", sagt Tim Henrichs. Der Dortmunder Bunker-Enthusiast kennt den Sonnenbunker wie seine Westentasche und weiß genau: Im Ernstfall hätte der Betonklotz nicht viel getaugt, seine 1.500 Insassen nicht schützen können. Umso größer wäre aber die Tortur gewesen, die jede*r Einzelne hätte erdulden müssen. Das weiß man, weil der Moloch aus Beton und Stahl auch in dieser Hinsicht getestet wurde. Am 8. Juni 1964 passieren 144 Männer und Frauen die Schleuse an der Zwickauer Straße, um für eine Woche den Krieg zu proben – darunter auch solche, die dem Krieg keine zwanzig Jahre zuvor entkommen waren. Dank ziviler Proteste ziehen zumindest keine Kinder ein.

Im Bunker hat der Tag nur 18 Stunden. Im Bunker nimmt jede*r am Tag 2.000 Kalorien zu sich, sitzt und schläft in 6-Stunden-Schichten – Schlafen auf einem quietschenden Quadratmeter, Sitzen auf einem Bruchteil. Im Bunker gibt es nichts zu tun, aber kleine Räume. Klein, damit keine Massenpanik ausbricht. Überall sind Pastelltöne verstrichen, das soll die Gemüter ruhig halten. Die Probanden sitzen, schlafen, füllen Fragebögen aus: "Haben Sie gefroren? War der Wäschegeruch angenehm?" Stress ist ein Risikofaktor im Bunker. An den Toiletten gibt es keine Türen, sondern Vorhänge. Das Private nimmt sich der Bunker. Die Belüftung rattert ungedämmt durch die Gänge, es riecht nach Mensch. Körperhygiene ist nicht wichtig genug im Bunker, darum gibt es Wasser nur für die Toilette und zum Trinken. Die Notbeleuchtung könnte an manchen Stellen reichen, um ein Buch zu lesen, an den Wänden ist nachleuchtende Farbe verstrichen, für den noch größeren Notfall. Als das Experiment am 14. Juni endet, haben allen Widrigkeiten zum Trotz nur zwei Menschen den Versuch vorher abgebrochen, der Rest streicht sich die wohlverdiente Prämie von 375 Mark ein – 1964 ein kleines Vermögen.

Ein Bunker und sein Geschmack

Wohin man denn im Ernstfall könne, hat neulich jemand Tim Henrich gefragt. Antwort: nirgends. Im Jahr 2017 gibt es im Falle eines Krieges keinen Schutz für die zivile Bevölkerung. Während Henrichs die Gruppe durch den Betonklotz führt, merkt man ihm immer wieder an, wie dankbar er für den Frieden ist, den er zeit seines Lebens genießen durfte. Als wir im Kontrollraum sind, fällt mein Blick auf eine BILD-Zeitung vom 6. Januar 1992. Auf dem Titel die Schlagzeile "Sophia Loreen und Carlo Ponti: alles aus". Solange die Zeitungen solche Titel drucken, denke ich mir, bin ich in Deutschland sicher. Die BILD erinnert mich nicht daran, dass der Krieg noch keine Hundert Jahre her ist, dass seine Kinder immer noch leben und leiden. Bevor Tim Henrichs uns ans Tageslicht zurückbringt, sagt er: "Jeder von euch nimmt von hier was mit, nämlich ordentlich Bunkermief." Er hat recht, der Mief liegt staubig auf der Zunge. Ich frage mich, ist das ein Vor- oder ein Nachgeschmack?

Alle Beiträge zum Sonnenbunker gibt es hier auf einen Blick.

Autor:

Jens Steinmann aus Herne

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