Steven fand Mut und zurück ins Leben

Er kann wieder lachen: Der 22-jährige Steven Braun  (r.) mit Dr. Jens-Peter Stahl, Direktor der Unfallklinik im Klinikum. | Foto: Klinikum Dortmund
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Ein schwerer Unfall brachte Steven Braun in die Unfallklinik Dortmund. Steve ist dem Tode näher als dem Leben. Zehn Monate mit 16 OP liegen hinter ihm. Nach zwei Beinamputationen will der 22-Jährige anderen Patienten mit gleichem Schicksal wieder Mut machen.

Sorgsam zieht er eine Socke über den Kunststofffuß, als müsse er warm gehalten werden. Dann kommt der Schuh darüber, Steven Braun schnürt ihn auf seinem Oberschenkel. „Meine beiden Schwestern haben mir neulich sogar die Fußnägel hier auf dem Teil lackiert, weglaufen ging ja nicht“, scherzt der 22-Jährige aus Halver bei Lüdenscheid und stemmt seinen Beinstumpf in die Prothese. Er spürt sie noch, seine beiden Beine. Doch seit einigen Monaten lebt er ohne sie. Ein junger Mann, der mitten im Leben stand, im Februar 2013 dann einiges verlor, aber nach 16 Operationen und vielen Menschen, die ihm Gutes taten, vieles wiederfand: Mut, Hoffnung und Lebenswillen. – Eine Geschichte darüber, niemals aufzugeben.

Nach 16 Operationen Mut wieder gefunden

Die erste Not-OP dauert elfStunden, Knochen und Wirbel sind gebrochen, die Lunge zu-sammengefallen. Dann folgen drei Wochen Koma, seine Erinnerungen spielen in der Zeit verrückt. „Im Koma habe ich regelrechte Horrortrips durchlebt, das war alles so real und hat mich richtig fertig gemacht“, erzählt Steven.
Auf der Intensivstation im Klinikum Nord hält ihm Schwester Jenny zehn Stunden am Stück die Hand, weil sie merkt, dass er im Koma massive Ängste durchleidet. Auch Claudia Beuster, Oberärztin der Anästhesie, steht ihm bei, beruhigt vor allem auch die Eltern von Steven, die ihren Jungen an den vielen Apparaten sehen müssen. Er werde nicht sterben, nein, er nicht, habe sie ihnen immer wieder gesagt. Die Eltern glauben es. Es fühlt sich so gut an.

Als er aufwacht, ist er verzweifelt

Als Steven Braun aufwacht, registriert er, dass sein linkes Bein in Oberschenkelhöhe amputiert wurde. An seinem anderen Bein trägt er einen Fixateur, es ist schwer verletzt. Aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung kommen Lähmungserscheinungen hinzu. Wird er damit je wieder Boxen oder Fußball spielen können? Der 22-Jährige weint viel in dieser Zeit, ist verzweifelt.
Andreas Bäppler, Seelsorger im Klinikum Dortmund, nimmt sich seiner an. Er redet viel mit Steven, weniger über Gott als mehr über die Welt. Bäppler vermittelt den Kontakt zu Sven Leppler, einem Familienvater, der ebenfalls durch einen Verkehrsunfall sein rechtes Bein verloren hatte, aber inzwischen eine computergestützte Prothese trägt und damit nahezu alles wieder machen kann: klettern, biken, Fußball spielen. Steven telefoniert mit Sven. Die beiden verstehen sich sofort.

"Er wusste genau, wie es mir geht"

„Da war endlich jemand, der genau wusste, wie es mir geht. Wie es sich anfühlt, Phantomschmerzen zu haben in einem Bein, das ja eigentlich nicht mehr da ist“, sagt Steven, der neuen Lebensmut schöpft und geradezu von einem Eifer gepackt wird: Was Sven kann, schaffe ich auch – und sogar noch besser. Und richtig: Steven macht in Windeseile Fortschritte, später in der Reha wird er gerade mal vier Wochen zum Gehenlernen mit den Prothesen brauchen, wofür andere bis zu anderthalb Jahre benötigen.

Steven ruft Sven auch an, als ihm die Ärzte eröffnen, dass aufgrund der Schwere der Verletzungen auch am zweiten Bein eine Amputation erfolgen muss. Sven macht Steven Mut. „Die zweite Amputation war für ihn das Beste, was man machen konnte“, sagt Stevens Mutter Andrea Braun (52). „Cool war es, die Entscheidung selbst in der Hand zu haben“, sagt Steven. „Das ist nämlich scheiße, wenn Du da so machtlos herumliegst und nicht weißt, wie viele OPs noch kommen werden.“

Die Kasse will zunächst nicht zahlen

In dieser Zeit ist Dr. Jens-Peter Stahl, Direktor der Unfallklinik, ein wichtiger Impulsgeber für Steven. Über den Orthopädietechniker Dr. Karl Zieger vermittelt der Mediziner Kontakt zu weiteren Prothesenträgern. Sie haben ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf Steven, weil sie aus erster Hand erzählen können. Und mehr noch: Nach einer ersten Reha, in der die neurologischen Beschwerden therapiert wurden, vermittelt Dr. Stahl den 22-Jährigen in eine weitere Reha nach Bad Sassendorf. Hier geht es um die orthopädische Nachsorge, die Dr. Stahl für absolut notwendig hält. Als die Kasse zunächst nicht die Kosten übernehmen will, ist es Orthopädietechniker Dr. Karl Zieger, der sagt, dass er im Zweifel sogar aus eigener Tasche eine Woche für Steven bezahlen werde. Letztlich übernimmt die Kasse dann aber doch die Kosten für die gesamte Behandlungsdauer.

Als diese Reha beendet ist und Steven in seinen Alltag zurückkehrt, bleibt Dr. Stahl am Ball und vermittelt den Kontakt zum weltweit größten Prothesenhersteller Otto Bock in Duderstadt. Von dort bekommt Steven nicht nur seine High-Tech-Prothesen; allein die für sein linkes Bein kostet etwa 50 000 Euro, weshalb eine solche computergestützte Prothese selbst bei jungen Patienten keineswegs prob-lemlos von den Kostenträgern übernommen wird.
Der 22-Jährige wird kurzerhand auch für Präsentationszwecke angefragt. Künftig soll er auf Messen und Vorträgen auftreten, die High-Tech-Prothese vorführen und mit seinen Erfahrungen zur Entwicklung beitragen. „Wäre Dr. Stahl nicht da, hätte ich nicht diese super Reha und das Angebot des Prothesenherstellers bekommen. Ich bin sehr, sehr dankbar und habe großen Respekt davor, was Dr. Stahl und sein Team leisten.“

Damit meint Steven auch einen der Wirbelsäulenspezialisten in der Unfallklinik, Dr. Philippus Schöttes. Die OP an der Wirbelsäule war der einzige Eingriff, vor dem Steven Angst hatte. Derartige Operationen sind schließlich hochkomplex. Der Chirurg verschiebt sogar seine geplante Anreise zu einem Kongress für den jungen Mann, erkundigt sich am Wochenende nach dem Eingriff vom Kongress aus, wie es ihm geht. Das hat Steven sehr beeindruckt. Ebenso wie das Engagement des Orthopädietechnikers Jörg Leckebusch, der Steven unkompliziert bei den Prothesen hilft.

"Habe einen anderen BLick auf die Dinge"

„Ich habe sehr an Lebensqualität gewonnen, weil man nun einen ganz anderen Blick auf die Dinge hat. Ich genieße es sehr zu wissen, dass ich die Leute, die ich nun an meiner Seite habe, auch tatsächlich Freunde sind“, sagt Steven rückblickend. Inzwischen kann er fast schon wieder ohne Krücken gehen, will bald schon wieder Auto fahren, ganz normal Automatik. „Was ist jetzt nicht kann, ist, mir die Kleider vom Leibe reißen und in den See sprinten. Da müsste ich mir erst meine Badeprothesen anziehen, die ich noch nicht habe.“ Aber Steven hat z.B. kein Problem, in kurzer Hose zu laufen. „Das sieht schon cool aus, wie eine Art Cyborg“, sagt er. Seine ganze Familie unterstützt ihn, gibt ihm Halt. „Das, was hier in knapp zehn Monaten geschehen ist, ist eine echte Teamleistung. Alleine schafft das niemand.“

Steven hat u.a. Krankenhausseelsorger Andreas Bäppler nun auch angeboten zu kommen, wenn künftig jemand in der Unfallklinik in Nord liegt, der eine Amputation hinter sich hat. Steven: „Wenn jemand ein Bein verliert, dann kann man sagen: Hey, das ist gar kein Problem, das Leben geht weiter.“

Autor:

Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City

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