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Von hohlen Phrasen und harten Schlägen

Gewaltberatung der Caritas in Westfalen richtet sich an Täter im häuslichen Umfeld. Hilflosigkeit, Verzweiflung und Angst: Was sich wie die Gefühlswelt eines Verbrechensopfers liest, begegnet dem Gewaltberater Rüdiger Jähne in seiner täglichen Arbeit immer wieder. Das Besondere: Der Münsteraner arbeitet mit den Tätern. Tätern, die gegenüber ihrer eigenen Familie gewalttätig geworden sind.

Dieser innovative Weg, häuslicher Gewalt zu begegnen, stößt seit seiner Etablierung im Jahr 2004 immer wieder auf Unverständnis. „Wir müssen doch den Opfern helfen und sie schützen. Nicht die Gewalttäter“, bekommen Rüdiger Jähne oder seine ausschließlich männlichen Caritas-Kollegen in Herten, Hamm und Warendorf zu hören, wenn sie von ihrer Arbeit berichten. Aber: „Die Arbeit mit den Tätern ist auch Opferschutz“, findet Rüdiger Jähne.

Denn das Ziel der Beratungsstellen der Caritas, die auch aus den Glücksspielerträgen von WestLotto unterstützt wird, ist klar: Den Männern sollen durch die regelmäßigen Gespräche mit den Beratern Wege aus der Gewalt aufgezeigt werden. „Die Männer sehen meistens keine andere Möglichkeit, als Konflikten in einer Partnerschaft mit Gewalt zu begegnen“, erzählt Jähne. Zugleich würden sie aber auch merken, wann es eng für sie werde und die Gefahr bestehe, dass sie zuschlügen. Für solche Fälle empfiehlt der Berater seinen Klienten ab und an sogar, einfach den Raum zu verlassen und eine Runde im Freien zu drehen. „Das ist völlig legitim und hilft den Männern, über eine andere Lösung des Konfliktes nachzudenken.“

Gewalttäter aus der Mittelschicht

Gewalttäter, die nachdenken? „Natürlich“, sagt Rüdiger Jähne. Denn an der Intelligenz des Mannes liegt es häufig nicht, wenn er gewalttätig wird. „Häusliche Gewalt ist kein Randgruppenphänomen“, so Jähne. Der arbeitslose und gewalttätige „Trunkenbold“, der seine Familie nach Strich und Faden vermöbelt, ist, auf die Gesamtheit bezogen, ein Mythos. In Münster lässt sich sogar die Hälfte der Klienten der Mittelschicht zuordnen. Vor allem unter denjenigen, die aus eigenem Antrieb in die Beratung kommen, sind viele Männer mit geistig herausfordernden Berufen.

Dennoch seien die Männer über alle gesellschaftlichen Lager hinweg mit ähnlichen Problemen konfrontiert. „Wir gehen davon aus, dass Gewalt erlernt ist“, deutet Rüdiger Jähne an, dass viele Männer in ihrer Vergangenheit häusliche Gewalt erlebt oder selbst erfahren haben. „Da stecken manchmal verzweifelte Lebenssituationen dahinter“, sagt Jähne. Daher könne man die Männer auch nicht ohne ein gewisses Maß an Verständnis und Einfühlungsvermögen beraten.

Dieses Verständnis höre allerdings bei den Taten auf. „Wir konfrontieren die Männer sehr deutlich mit dem, was sie angerichtet haben“, erklärt Jähne. Das wichtigste Mittel sei dabei die Sprache, da die Männer sich darüber von ihren Taten distanzieren oder sie verharmlosen wollten: „Wenn Sie meine Frau kennen würden, dann hätten Sie genauso reagiert“ oder „Da ist mir dann einfach die Hand ausgerutscht“ sind typische Sätze für die Männer.

Solchen hohlen Phrasen begegnet Rüdiger Jähne mit einfachen Mitteln. Er legt einen Teil seiner Handinnenfläche auf die Tischkante und übt von oben leichten Druck aus: Die Hand „rutscht aus“. Dann schaut er den Mann an: „Meinen Sie das?“ Der Hintergrund: „Vielen unserer Klienten fällt es schon schwer, überhaupt das Wort ‚schlagen‘ in den Mund zu nehmen.“ Aber erst wenn die Männer klar benennen, was sie getan haben, findet auch eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihrem gewalttätigen Handeln statt.

Alternativen zu gewalttätigem Verhalten

Dazu gehört auch, dass die Berater den Mann erzählen lassen. Dies sei schon ein kleiner Schritt in Richtung mehr Verantwortungsübernahme. „Erzählen Sie doch mal, wie Ihre Woche gelaufen ist“, schildert Rüdiger Jähne einen möglichen Einstieg. Nicht immer stünden dann im Verlauf die Taten im Vordergrund. „Männer tun sich einfach schwer, über ihr Innenleben zu reden“, erklärt Jähne. Sie hätten den Eindruck, dass ihre Probleme im Job oder im Privatleben niemanden interessierten. Vielen fehlten aber auch Bezugspersonen außerhalb der Familie, mit denen sie derartige Dinge besprechen könnten. „Viele sind trotz eines großen Umfeldes einsam“, bringt es Jähne auf den Punkt.

Damit diese Einsamkeit nicht immer wieder in Wut, Gewalt und letztendlich ein Klima der Angst auf allen Seiten umschlägt, müssen die Männer an sich selbst arbeiten. „Wir zeigen den Männern Alternativen zu ihrem gewalttätigen Verhalten auf. Nutzen müssen sie diese selbst“, sagt Rüdiger Jähne. Wenn die Berater und vor allem die Männer merkten, dass sie und ihr nahes Umfeld von diesen Alternativen profitierten, sei das wichtigste Ziel der Beratung erreicht.

Autor: Julius Schwerdt

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