Autorenlesung mit Sabine Bode

Sabine Bode lebt als freie Journalistin in Köln, schreibt Sachbücher und arbeitet für die Kulturredaktionen des Hörfunks von WDR und NDR. Am Donnerstagabend, den 5. Februar las die Autorin im Pfaarsaal St. Ursula in Grafenberg aus ihren Büchern »Kriegskinder« und »Kriegsenkel vor«. Mit rund 100 Besuchern war die Lesung gut besucht.

Kriegskinder

Vor zehn Jahren, mit den Feierlichkeiten zu 60 Jahre Kriegsende, traten mit den vielen Dokumentationen zum Jahrestag die Schicksale der Kriegskindergeneration erstmals ins öffentliche Bewusstsein, erklärte Sabine Bode eingangs. Die Journalistin beschäftigte sich Mitte der 1990er-Jahre mit den Auswirkungen der Kriegsfolgen auf die Menschen, erst im Bosnienkrieg, dann mit der deutschen Vergangenheit. Sie berichtete, dass ihre Eltern auf Fragen nach Auschwitz mit Schweigen und Ärger regagierten. Diese Ablehnung habe sie ebenfalls bei den Recherchen zum Buch »Kriegskinder« erfahren. Fragen nach den Kriegsfolgen seien nicht beantwortet oder als aufdringlich empfunden worden.

Ein Drittel der Deutschen leidet auch heute noch unter den Kriegserlebnissen. Bei diesen Menschen zeigten sich körperliche und seelische Auswirkungen der Kriegstraumata, Angst vor Veränderungen sowie ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit. Bei den in den 1940er-Jahren Geborenen zeigten sich die stärksten Beeinträchtigungen. Aus vielen E-Mails habe sie erfahren, dass diese Generation beruflich gut durchs Leben gekommen sei, beziehungsmäßig eher nicht. »Das Leben sei erfolgreich, aber anstrengend gewesen«, so Bode. Die frühen Traumata aus dem Krieg seien häufig auch ein Grund für eine Altersdepression. Diese Menschen mussten in ihrer Kindheit mit Selbstbetäubung leben. Ein oft gehörter Satz: »Ein Indianer kennt keinen Schmerz.« Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter spricht von einer »verschwiegenen, unentdeckten Welt«. Mit den Holocaust-Opfern habe man sich eingehend beschäftigt, mit der Kriegskindergeneration nie. So wurde eine ganze Generation geprägt: Man funktionierte, baute auf, fragte wenig, jammerte nie, wollte vom Krieg nichts hören - und man konnte kein Brot wegwerfen.

Kriegsenkel

Weitere zehn Jahre habe es dann gedauert, bis auch die Generation der Kriegsenkel Beachtung fand. Sie sind in den Zeiten des Wohlstands aufgewachsen. Noch ist es ein völlig neuer Gedanke, sich vorzustellen, ihre tief sitzende Verunsicherung könnte von den Eltern stammen, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeitet haben. Die in den 1960er-Jahren Geborenen klagen über mangelnde Wärme in der Familie. Gerade die Enkel von Vertriebenen machten sich existentielle Sorgen, auch wenn es ihnen gut gehe. Ängste und Blockaden prägten ihre Kindheit. Sabine Bode erklärte: »Sie fühlten sich so dumm, weil sie nicht wussten woher ihre Ängste kamen. Aber der Nebel aus der Vergangenheit lichtet sich und damit werden die Gespenster aus der Vergangenheit weniger.« Vielen sei es erst spät gelungen, sich von den Eltern abzunabeln, weil unterschwellig das Gefühl vorhanden war, die Eltern im Stich zu lassen. Außerdem hätten sie die Empfindung gehabt, alle Kraft ihren Eltern geben zu müssen. Viele seien kinderlos geblieben. Eine diffuse Angst vor der Zukunft prägt ihr Leben. Dr. Claus Otto Scharmer, Dozent und Mitbegründer des Leadership Lab am höchst renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, bezeichnet die Kriegsenkelgeneration als eine »geschwächte Generation«.

In der anschließenden Diskussion zeigte sich, wie emotional die Lesung das Publikum ansprach. Die Zuhörer berichteten von persönlichen Erlebnissen. Beim Lesen der Bücher und der dort geschilderten Erlebnisse hätten sie Zugang zu sich selbst gefunden und ihre Familiengeschichte besser verstanden. Ich kann hier noch beisteuern, dass meine Eltern Marmelade kochten oder Obst ein weckten. Auf meine Frage, warum man nicht einfach Konserven kaufte, hieß es: »Im Krieg wären wir froh gewesen, so einen Vorrat zu haben.« Und natürlich durfte man altes Brot nicht wegwerfen.

Autor:

Norbert Opfermann aus Düsseldorf

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