"Don Nadie": Mit Tanz Hindernisse überwinden

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Der Mann mit der Aktentasche sitzt an der Haltestelle. Bahnen halten und fahren wieder ab. Der Mann bleibt sitzen. Unbeweglich, den ganzen Tag lang. Maura Morales beobachtet ihn. „Natürlich habe ich mich sofort gefragt, welche Geschichte dahinter steckt“, erklärt die Choreografin. Irgendwann hat sie sich neben den Herrn gesetzt und kam mit ihm ins Gespräch.


„Mir tat sich eine völlig unbekannte Welt auf“, sagt die lebenslustige junge Frau und muss schlucken. Hart sei die Geschichte gewesen, fremd und voller Verzweiflung. Aber sie stillte die Neugier nur unzureichend. Mit ihrem Ehemann, dem Musiker Michio Woirgardt, ging sie auf Obdachlose zu, die bislang an den Rändern ihrer Wahrnehmung existierten. Mit seinem Schicksal hielt eigentlich hinter dem Berg. „Wir hörten von Drogenkarrieren, Missbrauch, Prostitution, totaler Verzweiflung“, erzählt Woirgardt. So tabulos und offen die Gespräche verliefen, so schwierig war es, Hindernisse zu überwinden. „Vertrauen gibt es für uns nicht, das sagten alle“, schildert die gebürtige Kubanerin.
An einem Punkt, der andere abgestoßen auf Distanz hätte gehen lassen, reifte in beiden der Entschluss, sich künstlerisch mit diesen Erlebnissen auseinanderzusetzen. Mit „Don Nadie“ (deutsch: „Herr Niemand“) entstand ein Tanzstück, das zunächst einmal vieles nicht sein will: Sittengemälde, Abbild der Realität auf der Straße, verstörendes Sozio-Drama.
Morales und Michio wollen ihre emotionale Anteilnahme in Bewegung und Musik übersetzen. Sie erzählen keine Geschichte. Dass die Choreografie der vielfach ausgezeichneten Tänzerin und Regisseurin abstrakt bleibt, bedeutet nicht, dass es keine drastischen Momente gäbe. Michio beschreibt seinen Soundtrack als metallisch, hart, urban. „Man hört U-Bahntunnel und leere Flaschen.“ Auch das Bühnenbild von Anne-Kathrin Puchner soll dem Publikum unterschwellig ein Gefühl der Unsicherheit suggerieren.
Das nehmen Morales und Michio von einem Treffen im Linken Zentrum Düsseldorf mit. Der verbale Austausch konnte nur ein erster Schritt der Hinwendung sein. Nur echte Berührung, so die Überzeugung der Künstler, würde eine Ahnung davon vermitteln, wie es sich anfühlt, sein ganzes Leben auf der Straße zu verbringen. „Wir schauten in 200 verzweifelte Gesichter“, erinnert sich Michio. „Diesen komprimierten Eindruck werde ich meinen Lebtag nicht vergessen.“ Auch weil er sich plötzlich in der Rolle des Außenseiters wiederfand.
Sechs Freiwillige fanden sich für einen Workshop, in dem die Choreografin ihrem Körpergefühl nachspürte. „Es war faszinierend, wie sich die Menschen öffneten, wie einfache Berührungen riesige Distanzen überwanden.“ Ihrem Ensemble verlangte Morales vieles ab, natürlich auch Novembertage unter freiem Himmel. „Wir haben uns alle einen Schnupfen geholt. Aber jetzt verstehe ich mich ganz gut mit der Kälte“, resümiert sie und meint sicher sowohl die auf, als auch jene unter der Haut.
„Don Nadie“ wird mit Mitteln des Landesfamilienministeriums, der Kunststiftung NRW sowie des Kulturamts Düsseldorf gefördert und feierte im Zakk Premiere. Die nächsten Vorstellungen finden am 14. und 15. Februar im Düsseldorfer FFT statt. Hier geht es zum Kartenvorverkauf.

Autor:

Henrik Stan aus Düsseldorf

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