Ich kann nicht tanzen

Mein erster und einziger Tanzkursus war ein Kurs für Ehepaare und fand vor ca. 25 Jahren statt. In meiner frühen Jugend- bzw. Schulzeit war ich nie in den „Genuss“ eines Tanzkurses gekommen. Meine Mutter konnte sehr gut tanzen und hatte nie einen Kurs besucht. Tanzen ergibt sich von selbst, da übt man miteinander und bringt sich das gegenseitig bei, war ihr Motto.

Leider ist dieses Talent nicht auf die Tochter übergegangen. Eigentlich halte ich mich für einen musikalischen Menschen. Ich mag Musik sehr gern, auch, aber nicht nur, wenn sie laut ist. Wir gehen in die Oper, haben ein Sinfoniekonzert-Abonnement und ich höre sogar fast jeden falschen Ton. In meiner Kindheit habe ich nicht gut, aber gern Blockflöte gespielt. Ich liebe die Stücke von Santana, Joe Cocker und das letzte Phil Collins-Konzert war super. Bei Liedern, die mir gefallen, machen meine Arme und Hände Bewegungen, meine Füße meinen, den Takt zu klopfen und oft fällt es mir auch schwer, auf meinem Stuhl sitzen zu bleiben, wenn gewisse mir angenehme Töne an mein Ohr dringen.

Leider ergibt sich jedoch das Problem, dass mein gesamter Körper irgendwie wohl nicht fähig ist, das Gehörte in passende Bewegungen umzusetzen. Das heißt, a) höre ich gar nicht, um welchen Takt es sich da gerade handelt und weiß somit auch nicht, was die Füße beim Tanz nun machen sollen, b) die Füße machen etwas, aber so verkehrt, dass es nicht mit einem Partner harmoniert, und c) der übrige Körper verkrampft sich, so dass jegliche weitere Bewegung nur disharmonisch ist.
Diese Probleme hatten also damals zur Folge, dass ich um jegliche Tanzfläche einen großen Bogen schlug, Schützenfeste, Karnevalsveranstaltungen und Festzelte (ich bin auf dem „Dorf“ aufgewachsen) jeglicher Art möglichst mied (zum völligen Unverständnis meiner Mutter) und wenn sich eine Teilnahme nun wirklich nicht verhindern ließ, verbrachte ich meistens mehr Zeit auf der Toilette als an der Bar. Der Schweiß brach mir aus allen Poren aus, wenn die Musik anhob und etwas Männliches in meine Richtung stochte.

Der Horror waren die Betriebsfeste in den ersten Jahren meiner Berufstätigkeit (mit Tischordnung, Life-Band und Pflichttanz mit dem Abteilungsleiter). Ich war um die 20 Jahre jung, schlank, blond und wahrscheinlich knackig, was irgendwie dazu führte, dass alles, was je im Leben sein goldenes Tanzabzeichen gemacht hatte, in mir eine passende Tanzpartnerin vermutete. Trotz meiner stets ausgesprochenen Warnungen ließ sich niemand davon abhalten, mich zu diesen komischen Drehfiguren und Wiegeschritten zu überreden. Allerdings blieb es meist bei diesem einen Tanz, die meisten versuchten es nicht ein zweites Mal.

Es liege wohl daran, dass ich mich nicht führen lassen wolle, meinte meine Mutter, womit sie vermutlich Recht hat.
So kam es dann also später, dass mein Mann und ich uns entschlossen, das Verpasste nachzuholen und wir meldeten uns (obwohl nicht verheiratet, was aber kein Problem war) zum Tanzkurs für Ehepaare an. Mein Mann hatte in seiner Jugendzeit alle Pflichtkurse absolviert und hielt sich für einen passablen Tänzer. Aber auch ihm habe ich die Illusion genommen, dass „frau“ sich eigentlich nur den Schritten des Mannes anschließen muss, und dann klappt alles wie von selbst. In dieser Zeit stand unsere bislang friedlich verlaufene Beziehung ständig auf der Kippe, so gezankt haben wir uns weder vorher noch jemals danach. Gegenseitige Schuldzuweisungen, wer denn wohl wem auf die Füße getreten hat und wer zuerst aus dem Takt gekommen war, setzten sich auch zu Hause fort, da wir die perfekten Drehungen ja auch im Wohnzimmer auf dem Teppichboden beherrschen wollten. Der Tanzlehrer fand es auch besonders lehrreich, zumindest bei einem Tanz am Abend einen Partnerwechsel vorzunehmen. Als bei der Polka (hacke, spitze, eins, zwei, drei) bei drei die etwa 30 Jahre ältere „Wechselpartnerin“ meines Mannes mit ihren Händen anstatt seine Hände zu treffen ihm die Brille von der Nase schlug, war auch bei ihm die Flucht auf die Toilette angesagt. Dort traf er dann den Ehemann besagter Tanzpartnerin, der ihn hämisch angrinste und sagte: „Na, hat deine Alte dich auch hierhin geschleift?“ Da war dann der Zeitpunkt gekommen, dass wir den Kurs abgebrochen haben.

Wir haben uns unserem Schicksal gefügt und einen Weg gefunden, mit einigen 08/15-Schritten gemeinsam einige Runden auf dem Parkett zu überstehen.

Neulich waren wir sogar auf dem Theaterball in Mönchengladbach und haben die ganze Nacht geschwoft. Nach anfänglichen Schwierigkeiten (es klappte noch nicht einmal mehr der langsame Walzer, den wir nach meinem Lieblingstitel „Mull of Kyntire“ von Paul McCartney damals schon mal hingekriegt hatten) fanden wir nach dem zweiten Glas Wein unseren persönlichen Rhythmus wieder und vielleicht habe ich mich tatsächlich auch ein kleines bisschen führen lassen (aber nur ganz wenig).

Zu Hause angekommen habe ich schon im Hausflur die Schuhe ausgezogen, so weh taten die Füße, und mein Mann sagte: „Was meinst du, sollen wir es nicht doch noch mal mit einem Tanzkurs versuchen?“

Autor:

Birgit Schild aus Düsseldorf

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