Die Mittagsruhe ist heilig...

Heute habe ich etwas sehr Sonderbares erlebt. Ich sitze im gleißenden Sonnenschein auf der stillen Terrasse der Eisfabrik Nordmann in Düsseldorf und genieße den Spätsommer. Friedlich klettern die Wespen auf den kleinen Tischblumen nach oben, ein Schmetterling flattert dicht an meinem Gesicht vorbei, streift meine Wange ein wenig und ich fühle mich geliebt.

In meiner kleinen Sprechmaschine befinden sich e-mails von lieben Menschen aus fernen Ländern und ich erfreue mich an den fein formulierten Worten. Die täglichen Kriegsnachrichten kann ich nicht mehr hören – ich stehe kurz vor dem Erbrechen, wenn bestimmte Reizwörter an meine Ohren dringen. Da kommt mir die Ruhe auf der sonnigen, voll besetzten Terrasse doch sehr entgegen. Es ist die Terrasse, auf der auch manchmal der schöne Philosoph Precht verweilt.

Plötzlich fängt der Hund zweier weiblicher Gäste an zu kläffen, laut und aggressiv. Niemand fühlt sich bemüßigt, sich um den Hund zu kümmern. Er bellt lauthals in die Mittagsstille hinein, so laut, das es von den umliegenden Hauswänden zurück schallt „wau, wau, wau, wau, wau, wau, wau, wau, wau....“.

Das geht ungefähr eine halbe Stunde so. Am Nebentisch sitzt eine sehr elegante Dame mit einer grauen Hochsteckfrisur. Sie liest über den Brillenrand hinweg „Die Zeit“, zieht an einer langen Zigarettenspitze dabei und nuckelt hin und wieder an einem Campari-Orange mit Eis. Das dunkelblaue Schneiderkostüm betont ihre athletische Figur und die hochhakigen Schuhe lassen darauf schließen, das es sich wirklich um eine elegante Dame handelt.

Plötzlich schreit diese Dame ganz laut den Hund an ! „SEI STILL, DU HUND !!!“, schallte es aus ihrem Mund laut und barsch im militärischen Befehlston, Richtung Hund gewandt.

Alle Blicke wenden sich empört der Dame zu. Schuldbewußt senkt sie ein wenig den Blick, verbleibt aber in ihrer stolzen Haltung und lächelt auch niemanden zu. Dafür lächele ich sie freundlich und solidarisch an mit einem Blick, der sagen soll „Das haben Sie toll gemacht ! Jemand, der so mutig auf einer Terrasse eine Töle zur Raison bringen möchte, der macht bestimmt auch anderswo den Mund auf !“ Ja, das lag in meinem Blick – aber sie erwiderte ihn nicht, schaute schon wieder in ihre "Zeit" und genoß es offensichtlich, das der Hund nun schwieg.

Die Starre währte nur wenige Minuten. Langsam entfalteten sich die Menschen auf der Terrasse wieder, plauderten weiter, lasen, aßen ihr Eis, tranken ihren Kaffee – und der Hund fing wieder an zu bellen. Laut und beharrlich und ohne Pause. Die Dame im feinen Schneiderkostüm sagte nun nichts mehr. Sie hatte ihren Job getan. Mehr konnte sie nicht machen.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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