Hedwig und die Wasservögel

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Hedwig ist in einem Alter angelangt, wo es Freude machen würde, eine Katze oder einen Hund zu haben. Etwas, wofür man verantwortlich ist – ein Tier, das einen erfreut mit seiner liebevollen Hingabe, wenn es was zu fressen und zu schmusen gibt. In ihrem Bauernhaus, in dem sie aufwuchs, waren immer Tiere. Die trugen alle Namen. Die Kühe hießen Frida, Bertha, et Bleeimer, Agathe oder auch einfach nur Liss. Mit den Kühen „fuhr sie im Sommer täglich aus“. Das heißt, sie brachte sie auf die Weide, damit sie dort grasen konnten.

Und im Schlepptau waren viele Kinder, die mitgingen auf die Weide, weil sie dort allerhand Quatsch machten. Blumenkränze winden, Kartoffeln ins offene Feuer werfen oder auch mal hin und wieder Doktorspiele – aber letzteres eher selten. Vielleicht weil die Kinder trotz ihrer natürlichen Neugierde am eigenen Körper oder an dem des anderen ahnten, das das eine Sünde war.

Nicht umsonst fragte der Pastor samstags in der Kirche beim Aufsagen der Gebote, wenn das sechste Gebot an die Reihe kam „Du sollst nicht Unschamhaftes treiben“, genau nach. „Ich habe unschamhaftiges getrieben“, sagte das arme Kind dem Pfarrer hinter den kleinen Löchlein im Beichtstuhl. Und der Pfarrer fragte barsch: „Allein oder mit anderen ?“ Wenn es denn mit anderen war, so war die Buße ziemlich hart.

Mit sieben „Gegrüßet seist Du Maria“ und sieben „Vater unser“ war es dann nicht getan ! Nein das arme Kind mußte den ganzen Rosenkranz beten. Und jeder sah ihm beim Beten des Rosenkranzes an, das es Unschamhaftes getrieben hatte mit anderen. Daher hielten sich die Doktorspiele beim Kühe ausfahren in Grenzen.

Hedwig war es also gewohnt, nicht nur Kühe in ihrem Umfeld zu haben, sondern auch Schweine, Hühner, Hunde und natürlich auch jede Menge Katzen. Wenn Mausi oder Pussy mal wieder Junge bekamen, legten sie sie gerne ab in einer bestimmten Stelle im Schrank und es war für Hedwig jedesmal ein kleines Wunder, wenn die Oma sagte „Kuck mol an de Schaaf – do leien se“. Und dann lagen dort wunderschöne kleine Kätzchen mit geschlossenen Äuglein, die in den kommenden Wochen heranwuchsen zu kleinen verspielten Rackern, an denen sie immer wieder ihre helle Freude hatte. Wenn die Kätzchen dann verschenkt wurden, trat sie jedesmal dafür ein, das wenigstes eines bleiben durfte und so waren im Bauernhof immer viele Katzen, mit denen sie schmusen und spielen konnte.

Und wenn eine mal auf Nimmerwiedersehen verschwunden war, war das immer für die gesamte Familie ein Trauerspiel.

Heute ist Hedwig eine Frau, die mit ihren 66 Jahren auf die 70 zugehend (was sie seit ihrem Geburtstag gerne betont) nichts mehr liebt als ihre Freiheit.

In all den Jahren ihrer Bürotätigkeit und ihrer vielen Reisen rund um den Globus gab es nie Tiere. Sie wollte immer frei sein. Wenn sie mal in Rente sei, dann, ja dann würde sie einen Hund und zwei Katzen haben – das war ihr Lebensziel.

Aber – im hohen Alter angelangt, stellte sie fest, das sie keinem Hund und keiner Katze eine Stadtwohnung zumuten wollte. Nie und nimmer. Und dann die vielen Reisen – wo sollte dann das arme Tier verweilen ? Absolut ausgeschlossen !

Hedwig, die Tierliebende war traurig ob dieser Erkenntnis und immer wenn sie kleine Videos von Katzen oder Hunden sich im YouTube anschaute, streichelte sie den Bildschirm und machte sich klar, das alles Denken doch nur ein Konstrukt sei und das alleine die Vorstellung, die kleine Mieze vom Video zu streicheln, doch schon genügen könne, ihrer Tierliebe gerecht zu werden. Aber es funktionierte nicht. Man kann ja virtuell auch keinen Mann lieben. Oder gar eine ganze Gruppe in Form eines Internetforums. Also ist das virtuelle Lieben doch Quatsch, wenn man das Fell nicht spürt, den Atem nicht riecht, die Augen nicht sieht, die einen anschauen.

Während die Hedwig nun im nahe gelegenen Park am Teich saß mit diesen tiefgründigen Erkenntnisssen, kam ein kleines Wasserhühnchen auf sie zu gewatschelt mit riesigen gelben Füßen und schaute sie von unten nach oben heischend an. Es war klar – das Hühnchen wollte was zu fressen. Brot, wie von allen Teichbesuchern achtlos verabreicht. Ohne Kenntnis, das Brot doch den Wasservögeln schadet.

Es gesellte sich alsbald zum kleinen Hühnchen ein stolzes Schwanenpaar und schubste die Hedwig am Knie. „Hey, ich bin nicht Leda !“, schrie sie dem Schwanenpapa zu und hatte Angst, das er sie möglicherweise, wie seinerzeit Zeus die arme Leda in der griechischen Mythologie, befruchten könne. Einen kleinen Gott zu gebären, wäre das letzte, was sie jetzt im Rentenalter noch gebrauchen könne.

„Blödes Wasservieh“, schnaubte sie und ging weg. „Blödes Vogelvieh, blöde seelenlose Brotfresser...“

Beim nächsten Besuch am Teich beobachtete sie, wie die Schwäne elegant zu Wassser gleiten nach ihrem Flug und wie die Enten es ihnen gleich tun. Und wie noch weitere Wasserhühnchen dort wateten mit riesigen gelben und roten Füßchen.

Sie versuchte, einen Apfel mit ihnen zu teilen. Das funktionierte – innerhalb weniger Sekunden war sie umringt von Emil und Emilia, wie sie das Schwanenpaar taufte, von Wasserhühnchen, Enten und Tauben.

Und dann sah sie in die Augen der sie umringenden Vögel. Die schauten selbstbewußt und höchst intelligent sie an – so sehr, das sie noch am gleichen Tag den Kölner Zoo anrief um zu erfahren, womit man diese Tiere am besten füttere. „Gar nicht !“, lautete die garstige Antwort. „Gar nicht !“ - die finden ihr Fressen selbst, meinte der Zoo.

Die tiereinsame Hedwig schritt wieder zum Teich mit einem Kopf Salat in der Tüte. Damit könne man ja nichts falsch machen, dachte sie. Salat hat null Kalorien und ist den Algen ähnlich – so beruhigte sie ihr Gewissen und pflückte Blättchen für Blättchen ab für den Emil, für Emilie und alle anderen, die da so gierig vor ihr standen.

Welche Freude durchzog ihr Herz, als ein älterer Herr auf sie zukam und meinte, er beobachte sie schon lange und sie solle doch einfach nur Haferflocken streuen. Die beiden kamen ins Gespräch und der Herr erzählte ihr ein wenig aus seinem Leben. Das er verwitwet sei, das er alleine lebe und jeden Tag in den Park komme, weil er hier seine Freunde sehe, die Wasservögel. Und am besten sei es, man lasse sie in Ruhe, würde sie nicht füttern, sondern genieße einfach nur den wunderschönen Anblick, wie sie anmutig zu Wasser gleiten, an Land watscheln und wenn man einsam sei, könne man doch auch mal ein Gespräch beginnen mit einem der Menschen, die hier sitzen.

Das gab Hedwig zu denken. Fort an ging sie zum Teich ohne „Leckerchen“, betrachtete die Schwäne bei ihrem Gleitflug über das Wasser, wurde eins mit den Enten und den Wasserhühnchen. Im Frühling, im Sommer, im Herbst und manchmal auch im milden Winter, wenn sie alle noch dort waren. Manchen hatte sie Namen verliehen, so wie das alle dort taten, die die Vögel verbotenerweise fütterten. Aber Hedwig scherte sich nicht drum. Sie griff nicht ein, sagte den Fütternden nicht, das das Füttern der Wasservögel zum Kippen des Teiches beitrage. Sie hielt sich an den alten Mann, mit dem sie täglich ein wenig sprach. DAS genießen, was IST, loslassen von allem, was Widerstände erzeugt.

Und was soll die Autorin dieses Artikels sagen: Hedwigs Haltung wurde belohnt. Das kleine Wasserhühnchen mit den großen gelben Füßen präsentierte ihr im Frühling stolz ihre kleine Nachkommenschaft und duldete es gar, das Hedwig die kleinen Federbüschlein streichelte und gab sich gar selbst zu einer kleinen Streicheleinheit hin.

War es Magie ? War es Tierliebe ? War es die Liebe des Wasservögelchens zum Menschen ?

Natur, es ist alles Natur – und letztlich geht nach dem buddhistischen Prinzip doch alles zum Guten !

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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