Hüttenzauber

Ich steh‘ auf sowas.
Ich nenne ein gewisses schauspielerisches Talent mein eigen. Es hilft einerseits dem zarten, elenden Häuflein Mensch, das in mir wohnt. Andererseits will es ab und zu einfach nur mal ausgelebt werden.

Auch der dritte Glühwein vermag nicht, die ausgekühlten Gliedmaßen zu erwärmen, also begeben wir uns ins Festzelt auf dem Weihnachtsmarkt. Man braucht nicht lange, um hier warm zu werden: Die Stimmung kocht. Ein erster taxierender Gang durch schwofende Menschenreihen führt uns an einen Tisch inmitten des Geschehens. Hier nimmt das Spiel mit den Eitelkeiten seinen Lauf.

Willi, dessen Mütze ihn als Fortuna-Fan outet, tut pikiert, als ich ihm seinen Schatz vom Kopf ziehe. Es ist der Auftakt einer wunderbaren Freundschaft für den Rest des Abends. Sein Kumpel steht nicht nur dümmlich dabei. Er ist es auch.
Als ich das merke, vergesse ich einen Moment lang mein schauspielerisches Talent und das Häuflein Mensch will sich Bahn brechen. Schnell halte ich nach Vincent Ausschau. Ihn habe ich bereits am Eingang in mein Herz geschlossen, weil er meinen Namen spontan fehlerfrei nachsprechen konnte. Mein Retter ist nah: Wir zwinkern und winken uns über die schwofenden Leute hinweg zu. Alles gut.

Micha erinnert mich an Carsten, den ich zu Schulzeiten toll fand. Nur dass ich bei Micha, zumindest heute, anders als bei Carsten damals eine Chance hätte. Ein rassiger Italiener hat mein Interesse. Er tanzt auf dem Tisch. Er hat es offenbar nötig. Später in der Polonaise reicht er nämlich nicht höher als an meine Oberschenkel. Ok, ich fordere es auch heraus, die Polonaise gehört eindeutig in den Karneval und ist wenig weihnachtlich. Wo ist Vincent? Er zwinkert mir über ein paar Tische hinweg freundlich zu.

Um Punkt zwölf ist leider schon Schluss. Als das Licht angeht, wird in Windeseile klar gemacht, wer mit wem noch wohin geht. Micha streckt mir zur Bekundung meiner Chancen seine belegte Zunge aus und sogar der kumpelhafte Willi lässt es sich nicht nehmen, mich zu fragen, ob zwischen uns nicht vielleicht doch noch was ginge. Vincent ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich hätte jetzt gerne noch einen Glühwein, aber der ist aus. Die drei leeren Becher zu je zwei Euro Pfand kassiert der Kellner ohne Bezahlung ein. Pfand nur gegen Chips. Ja, die hätte ich gerne, aber es gibt sie nicht. Der Zauber ist vorbei.

„Auf zum nächsten Hüttenzauber, denke ich etwas dumpf am nächsten Morgen. Noch knapp eine Woche bis Weihnachten.“ So unterhaltsam ich das Schauspiel im Partyzelt finde, so sehr graut mir zunehmend vor dem Schauspiel, das alle Jahre wieder um die Hütte dort in Betlehem inszeniert wird. Ich habe mir den selbst auferlegten Stress total abgewöhnt, um festzustellen, dass ich damit auch die positiv kribbelnde Erwartungshaltung weitgehend verbannt habe.
Ich begehe es recht ernüchtert, dieses Fest der Liebe, aber der Zauber ist größer denn je, wenn ich es zulasse und ihm begegne, diesem unendlich zarten, elenden Häuflein Mensch.

Gesegnete Weihnachten!

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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