Riesenrad-Impressionen - oder: einfach mal abschalten auf einer kleinen Reise...

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Versuche nicht, dem Leben mehr Tage zu geben - gib dem Tag mehr Leben !

Ich gehe langsam durch die Stadt...

So heisst eine Rubrik in der Rheinischen Post – ich weiss gar nicht, ob es sie immer noch gibt. Aber ich war manchmal überrascht, was der Lambätes da alles so aufgegriffen hatte.

Heute habe ich aufgegriffen ! Nichts ist so wie es sein soll ! Ich habe frei – eine lange lange Zeit nur für mich. Ich fange an, die Stunden aufzufangen, wie Seifenblasen. Die Zeit pustet mir die Seifenblasen zu – und ich nehme sie, nehme den „Unsinn“ wahr, den man nur wahr nehmen kann, wenn man endlich „frei“ ist.

Nein, ich habe heute nicht die Weihnachtspost erledigt, wie beabsichtigt ! Nein, ich habe auch nicht aufgeräumt, wie beabsichtigt – nein, ich habe noch nicht mal den Bio-Blumenkohl gekocht, wie beabsichtigt.

Nichts von all dem habe ich gemacht ! Aber ganz was anderes habe ich gemacht ! Wir haben doch in Düsseldorf am Burgplatz ein Riesenrad stehen ! Und das fährt uns geradewegs in die Sonne, die heute so schön schien !

Und ich sage Euch: Ich war dabei ! Ich bin einfach aus dem Haus gelaufen, so ganz spontan, und bin in der hellen Mittagssonne raufgegangen auf das Riesenrad !

Das war völlig unerlaubt wegen der vielen Verpflichtungen, die ich einfach außer Acht ließ.

Heute war ein guter Nachmittag für das Riesenrad – wer weiß wie viele Menschen am Wochenende dort Schlange stehen.

Und ich sass dort in der Kabine – und neben uns in der Kabine war das Fernsehen – das hatte den Vorteil, das wir viermal rundfahren durften ! Ein kleiner holländischer Junge wiederholte meine glücklichen Worte „Und nochmal !“ Viermal durfte ich den Rhein von oben sehen, den Schloßturm, die Stadt im Sonnenlicht mit ihren Dachterrassen und Baukränen von oben !

Viermal durfte ich mich erinnern, mich erinnern an den „Garden“, das erste Internetcafe in Düsseldorf, an der Rheinuferpromenade gelegen, wo es eine unendliche Freude machte, mal zu surfen ohne abzustürzen, wie seinerzeit auf dem kleinen PC zu Hause, wo wir noch eingeloggt waren über Modem und immer wieder in das BIOS gingen bis tief in die Nacht. Kaffee und Kuchen konnte man dort haben zu zivilen Preisen und es war einfach nur schön, am Wochenende dort mit dem Liebsten am Fenster zu sitzen und über den Arbeitsstreß der vergangenen Woche zu jammern.

Viermal durfte ich von oben erahnen, WO denn meine Lieblingsplätze in Düsseldorf sind – und ich sah sie alle, den Hafen vor seiner Gentrifizierung, wie es dort war, wenn man mit dem Fahrrad vorbei fuhr an den großen Lagerhallen, den Landtag, vor dessen Haus auf einer Wiese die Bläck Föss ein Konzert umsonst und draussen gaben anlässlich soundsoviel Jahre NRW.

Die kultige Ratinger Straße, die ich gar nicht erkannt hätte, hätte mein Freund mich nicht aufmerksam darauf gemacht - „da wo der rote Kran steht, da ist das „Einhorn“ - ja davor stand nichts mehr – abgerissene Häuser, Kahlfläche...“Das ist ja furchtbar...“ hauche ich in der Gondel...

Die Lambertuskirche mit ihrem schiefen Turm weckt in mir Erinnerungen an die „Cäcilienmesse“ von Gounod. Zweimal habe ich sie DORT gehört. Niemals woanders. Sie ist ein Kleinod diese Messe. Ja, geben Sie das gerne mal ein im You tube – sie werden staunen, welche Gefühle diese Musik in Ihnen auslöst ! Gute alte Lambertuskirche – von oben gesehen.

Der Schlossturm – ein Relikt aus der höfischen Zeit Jan Wellems, der dieser Stadt so viel Kultur schenkte und der bekannt ist für seine Bodenständigkeit. Pflegte er doch die Geselligkeit mit dem einfachen Volk ! „Trinkst de äne mit ?“ mag er gesagt haben, wenn er so ganz inkognito mal abends um sein Schloss schlich.

Es kommen einem so viel Gedanken da oben auf dem Riesenrad. Wieso sprechen unsere Mitreisenden miteinander holländisch und mit dem kleinen Kind englisch und mit uns deutsch ? Das ist Europa ! Wir leben in Europa. Schön fand ich es, wenn ich bei nochmaligen Hochfahren „Nochmal'“ rief, das der kleine Junge auch rief „Und nochmal, und nochmal ''! Dann sprach er wieder englisch mit der Oma und dem Papa und die wiederum sprachen holländisch miteinander. Na gut, bei so viel Umdrehungen auf kleinstem Raum kann man über so was schon mal sinnieren.

Ob die das Kind entführt haben ? Quatsch, wir sind auf dem Riesenrad und alles ist seriös.

Ich sehe auf dem Zenit angekommen unter mir kleine Autos, kleine Menschen – und: eine Zigarettenkippe auf dem Boden. Das glaube ich nun wirklich nicht ! Das ist bestimmt eine Pommes.

Sie sehen, ich sinniere über Unsäglichkeiten - das heisst, wenn du mal ganz oben bist, verändert sich die Perspektive und du sinnierst über ganz andere Dinge nach. So war mir plötzlich wichtig, ob man von da ganz oben den Kölner Dom sieht.

An wen ich noch Weihnachtskarten schreiben sollte und die üblichen Alltagsquengeleien, war mir spätestens nach dem dritten Hochgehen wirklich total egal. „Nochmal, nochmal“, jauchzte ich und er kleine Junge jauchzte mit „Nochmal, nochmal“ und wir sassen zu sieben Personen in der kleinen beheizten Kabine vom Riesenrad und die Sonne funkelte und ich war auch nicht mehr bös, weil im Mannesmannhochhaus-, pardon Vodafonhochhaus kein Tannenbaum mehr angedeutet war über die Hochhausfenster – konnte ja nicht, weil: Vodafone ist da auch ausgezogen zum Seestern, fiel mir ein und schon war mir wieder mal klar, das nichts so bleiben kann, wie es ist. Ich werde nicht die einzige sein, die vom Mannesmannhochhaus den Tannenbaum vermißt, aber zumindest fiel mir auf dem Riesenrad eine Erklärung dafür ein.

Wissen Sie, auf einem Riesenrad zu sitzen und in die Höhen zu gehen, das ist ganz was anderes als eine Achterbahnfahrt. Achterbahnfahrten sind orgiastische Lieben, sind tage-, wochenlang die gleichen Songs in überdimensionaler Lautstärke hören, sind kurz vor dem Ausrasten.

Aber Riesenradfahrten sind gemütlich – du schaust dir die Welt von oben an, freust dich, das die Kabinentür nicht plötzlich aufgeht, fühlst dich sicher und du bist danach geerdet, wenn du wieder unten ankommst. Gehst hin und trinkst dir am Weißweinglüh-Weinstand, wo alle hingehen, einen Weißweinglühwein und danach ißt du einen Reibekuchen und bist mit dir und der Welt eins.

Du warst weit weit oben, bist wieder unten und der Narr, der vor dem Cafe Madrid seine Spässe macht bis hin zu der Verbalattacke an einen Mann der dort mit drei Frauen sitzt nach dem Motto: „Er ist die Sexmachine von Düsseldorf, er macht mit drei Frauen bum-bum-bum“ , ja dieser Narr, der die ganze Strasse zum lachen bringt, der bringt auch dich zum lachen. Ist es das Riesenrad, ist es der Glühwein – oder ist es einfach das spontane hingegangen sein in die Stadt, mal einfach so, trotz aller vieler Verpflichtungen. Es ist so einfach, den Spruch zu zitieren: „Wir sollten dem Leben nicht mehr Tage geben, aber dem Tag mehr Leben !“ Aber wenn man es dann mal macht, ist's schon gut !

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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