NOTFÄLLE SIND NICHT PLANBAR

16 Millionen Menschen brauchen inzwischen jährlich die Hilfe der Notfallexperten
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(Düsseldorf Benrath) Tag und Nacht werden in den Notfallaufnahmestellen der Krankenhäuser Patienten mit unterschiedlichsten, teilweise harmlosen, aber oft auch lebensbedrohlichen Krankheitszuständen versorgt. Wie viele Patienten wann kommen werden, welche Krankheiten und Verletzungen zu behandeln sind, kann niemand in einer zentralen Notaufnahme vorhersehen, da Notfälle nicht planbar sind. Deshalb kann es im Ablauf bei nicht akut lebensbedrohlichen Fällen zu verlängerten Wartezeiten kommen.

10 Uhr an einem Mittwochmorgen. Mit Schweißperlen auf der Stirn steht Werner R (62) am Schalter der ambulanten Notaufnahme des Benrather Sana-Krankenhauses. Werner R. ist am Tage zuvor ambulant am Bauch operiert worden, daher sollte er zur Nachsorge um 10 Uhr erscheinen. Seine Schmerzen verhindern, dass er sich setzen kann. Um den Hals trägt er eine Flasche, in der sich Wundwasser und Blut befindet. Die Schwester benötigt etwa eine viertel Stunde, bis sie sich ihm widmen kann. Er solle sich etwas gedulden, man werde ihn gleich rannehmen. Derweil häufen sich im Hintergrund die Aufnahmen von Notfällen, die mit einem Krankenwagen gebracht wurden. Nach etwa 90 Minuten wurde er behandelt.

Freitagabend 18 Uhr. „Ich suche die Notaufnahme nicht freiwillig auf, sondern weil ich in Not bin und starke Schmerzen habe. Nun sitze ich hier bereits seit zwei Stunden und niemand kümmert sich um mich. Als mein Sohn bei der sichtlich überlasteten Schwester nachfragte, wie lange es noch dauern wird, bis sich ein Arzt um mich kümmert, erhielt er die Antwort, das könne sich noch hinziehen, da es einige Notfälle gäbe, die vorrangig behandelt würden und momentan zu wenig Ärzte da seien“, beklagt sich die 70-jährige Else M. Unterdessen reißt der Strom von Akutpatienten mit lebensbedrohlichen Diagnosen, wie zum Beispiel Herzinfarkt oder Kreislaufkollaps, nicht ab. Neu hinzugekommene ambulante „Notfälle“ müssen weiterhin warten, „bis der Arzt kommt.“

Richtige Notfälle gehen vor

Sabrina L. (33) arbeitet seit 10 Jahren in einer Neusser Notaufnahme. Sie meint, dass viele Patienten grundsätzlich das Gefühl hätten, als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden, wenn sie warten müssen. „Viele kommen in die Notaufnahme der Klinik, weil ihnen die Arztpraxen zu voll sind, oder weil sie als Kassenpatienten erst nach Wochen einen Termin erhalten. Sie denken, sie kämen in der Notaufnahme schneller dran. Das ist aber nicht so, denn in allen Krankenhäusern werden lebensbedrohliche Notfälle, wie zum Beispiel Herzinfarkt-Patienten, stets vorrangig behandelt. Es gibt tatsächlich Patienten, die das nicht einsehen wollen oder können“. Auch komme es immer häufiger vor, dass Patienten handgreiflich werden.

Einstellung von weiteren Ärzten ist budgettechnisch nicht machbar

„Grundsätzlich haben wir eine organisatorische und räumliche Trennung der Patientenströme in elektiv zu versorgende Patienten und Notfallpatienten. Die Frage, was ist ein Notfall?, ist vielschichtig und sehr subjektiv geprägt. Im deutschen Gesundheitssystem ist die ambulante Versorgung Aufgabe der niedergelassenen Ärzte und nicht der Krankenhäuser. Zu gewissen Tageszeiten und an manchen Wochentagen sind jedoch die Praxen - allerdings regional unterschiedlich - nur teilweise oder zeitweise geöffnet. Dieses betrifft besonders den Mittwoch und den Freitag ab 13 Uhr. Nachts und an Wochenenden gibt es dazu die KV Notfallpraxis in der Innenstadt an der Kirchfeldstraße, die die Notfallversorgung für Düsseldorf zu übernehmen hat.“
Für Bürger des Südens in Düsseldorf ist der Weg dorthin zu aufwendig oder oft auch nicht zumutbar. So konzentrieren sich die sogenannten Notfälle an diesen Tagen in den Krankenhäusern“, erläutert der Ärztliche Direktor des Sana Krankenhauses Benrath, Prof. Dr. Wolf-Dieter Schoppe. Vor einigen Jahren hat er sich für eine Zweigstelle im Krankenhaus Benrath eingesetzt. „Eine solche Einrichtung hätte nur stundenweise an Wochenenden geöffnet sein müssen. Für den Rest der Nacht und der Wochenendtage wäre das Krankenhaus tätig geblieben. Leider wurde diese Idee aber vom Verein `Notfallpraxis` und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgelehnt.“

In der Notfallambulanz in Benrath werden die Patienten von einem Internisten, einem Allgemeinchirurgen sowie einem Unfallchirurgen behandelt. Diese müssen aber nicht nur in der Ambulanz arbeiten, sondern auch entsprechend ihrer Qualifikation an anderen Stellen des Hauses. „Ich denke, dass das medizinische Fachpersonal den Schweregrad einer Erkrankung schon einschätzen kann. Oft kommt der Notarzt mit wirklichen Akutfällen, die eine bevorzugte Versorgung notwendig machen. Dieses ist nie planbar und führt natürlich auch zu Wartezeiten anderer Patienten. Eine zusätzliche Einstellung von weiteren Ärzten ist budgettechnisch nicht machbar. Hinzu kommt, dass es für solche Tätigkeiten immer weniger Interessenten gibt“, teilte Prof. Dr. Schoppe abschließend mit. In diesem Zusammenhang beklagte der Ärztliche Direktor, dass es immer häufiger zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten gegen das Personal komme. So berichtete er von einem erst kürzlich zugetragenen Vorfall, wo sich eine Patientin um Mitternacht mit Brennen und Jucken im Genitalbereich vorgestellt hat, welches sie seit drei Wochen hat und damit bereits beim Frauenarzt war. Sie habe nicht einmal auf die Laborbefunde warten wollen und habe die diensthabende Ärztin verbal und tätlich angegriffen.

Rufe nach einer Reorganisation deutscher Notfallaufnahmen werden lauter

Die Anforderungen an die Notfallaufnahmen in Deutschland werden immer größer. Steigende Patientenzahlen, höheres Alter der Patienten und die sinkende Zahl der niedergelassenen Ärzte sind ein Teil der Ursachen dafür. „Innerhalb kürzester Zeit müssen Ärzte und Pflegepersonal in einer Notaufnahme wichtige Entscheidungen zur weiteren Behandlung fällen. Dazu gehört ein umfassendes Wissen und viel Erfahrung“, erläutert Raik Schäfer, leitender Oberarzt der Notfallaufnahme des Universitätsklinikums Jena und Kongresspräsident. Meist wird die Tätigkeit in einer Notaufnahme als unattraktiv eingestuft. Die Rufe nach einer effizienten und patientenorientierten Reorganisation der deutschen Notfallaufnahmen werden zu Recht lauter, gerade auch, weil in den vergangenen Jahren das Wissen um die effektive und effiziente Behandlung von medizinischen Notfällen stark angestiegen ist.

Sechzig Prozent der Notfälle sind Bagatellfälle

Auf der 5. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfallaufnahme (DGINA e.V.), berichtete Dr. Barbara Hogan, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfallaufnahme: „Die Zahl der Patienten, die als Notfälle in die Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser kommen, steigt dramatisch und wird weiter steigen. Insgesamt 16 Millionen Menschen brauchen inzwischen jährlich die Hilfe der Notfallexperten. Noch vor fünf Jahren waren dies lediglich 13,5 Millionen, womit die Notaufnahmen eine Steigerung der Patientenzahlen um 16,6 Prozent erleben. Allein die Zahl der stationär aufgenommenen Patienten erhöhte sich nach Daten des Statistischen Bundesamtes 2008 auf 6,32 Millionen um fast 1 Million im Vergleich zu 2005 mit damals noch 5,42 Millionen Patienten. Gleichzeitig steigt mit dem Durchschnittsalter der Bevölkerung auch das Alter der Notfallpatienten weiter an.“

„Wir stehen so vor der Herausforderung, immer mehr Patienten versorgen zu müssen, die neben dem Notfall immer häufiger mehrere Erkrankungen mitbringen.“ Neben der Zunahme komplizierter Fälle hätten es die Notfallexperten gleichzeitig aber auch immer mehr mit sogenannten Bagatellfällen zu tun. „Das sind kleine Verletzungen oder leichtere Erkrankungen, die eigentlich keiner Krankenhausbehandlung bedürfen und sogar am nächsten Tag durch den Hausarzt versorgt werden können, denn zu den etwa 40 Prozent Patienten einer Notaufnahme, die stationär weiterbehandelt werden müssen, kommen 60 Prozent ambulante Notfälle, die nach einer Erstversorgung wieder nach Hause gehen können“, hieß es weiter.

Info:

Die Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfallaufnahme e.V. (DGINA) ist ein Zusammenschluss der in deutschen Notfallaufnahmen tätigen Ärzte und Pflegefachkräfte. Ziel der 2005 gegründeten Fachgesellschaft ist die Sicherung und Weiterentwicklung der hohen Qualität der notfallmedizinischen Versorgung in Deutschland und eine weitere Angleichung an modernste internationale Standards.

Für Prof. Dr. Schoppe, wäre es in Anbetracht der Nord- Südausrichtung sinvoll, stundenweise im Süden der Stadt und z. B. in Kaiserswerth eine Zweigstelle der KV Notfallpraxis einzurichten. Diese könnten dann für Bagatellfälle eine Anlaufstelle sein. Dadurch würden Wartezeiten reduziert und die zentrale Notfallpraxis in der Innenstadt entlastet. Von Januar bis Oktober wurden in der Notfallambulanz Benrath 9.858 Behandlungen durchgeführt. Das bedeutet pro Jahr ca. 12.000- und pro Tag zwischen 33 und 40 Patientenversorgungen.

16 Millionen Menschen brauchen inzwischen jährlich die Hilfe der Notfallexperten
Ärztlicher Direktor des Sana Krankenhauses Benrath, Prof. Dr. Wolf-Dieter Schoppe
Autor:

Peter Ries aus Düsseldorf

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