"NRW ist ein Fliegengewicht" - FDP-Chef Christian Lindner im Lokalkompass-Interview

Will den Wechsel in NRW, dann zieht es ihn weiter nach Berlin: FDP-Chef Christian Lindner (re.), hier im Gespräch mit stv. Redaktionsleiter Martin Dubois. Alle Fotos: Oleksandr Voskresenskyi
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  • Will den Wechsel in NRW, dann zieht es ihn weiter nach Berlin: FDP-Chef Christian Lindner (re.), hier im Gespräch mit stv. Redaktionsleiter Martin Dubois. Alle Fotos: Oleksandr Voskresenskyi
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Die FDP könnte bei der Landtagswahl drittstärkste Kraft werden. Ihr „Gesicht“, Spitzenkandidat Christian Lindner, will danach nach Berlin weiterziehen. Ein Problem? Nein, meint Lindner im Lokalkompass-Interview.

Man kennt die FDP als Fürsprecher für Markt und Mittelstand. Jetzt treten sie auch als Kümmerer zum Beispiel für Arbeitslose auf und sagen, dass es in Deutschland gerechter zugehen müsse. Was genau verstehen Sie unter Gerechtigkeit?

Lindner: Dazu zählen Bildungsgerechtigkeit, weil eine gute Ausbildung die beste Voraussetzung für ein erfolgreiches, selbstbestimmtes Leben ist. Leistungsgerechtigkeit, weil die Menschen von den Ergebnissen ihrer Schaffungskraft etwas behalten müssen. Es muss sich auch für den Hartz IV-Empfänger lohnen, wenn er neben der Sozialleistung etwas arbeitet. Generationengerechtigkeit: Der Staat darf nicht so viele Schulden machen, es muss auch investiert werden, damit auch die Generation der Enkel über eine handlungsfähige Staatsorganisation verfügen kann. Was ich nicht unter Gerechtigkeit verstehe ist Gleichheit, denn ich glaube, dass Unterschiede bei Fleiß, bei Talent und Risikobereitschaft einen Unterschied machen müssen.

Neuen Umfragen zufolge könnte die FDP drittstärkste Kraft in NRW werden. Damit stellt sich die Frage: Wer regiert und mit wem? In der Koalitionsfrage haben Sie bisher unterschiedliche Antworten gegeben. Die Ampel haben Sie zum Beispiel früh ausgeschlossen. Dann haben Sie gesagt: „Das gilt bis zur Wahl und auch am Tag danach.“ Was gilt denn an Tag zwei nach der Wahl?

"Fürchte, dass eine Große Koalition wahrscheinlich ist"

Lindner: Das gilt bis zur Wahl und das gilt auch danach. Da gibt es kein Hintertürchen: Die Ampel ist völlig ausgeschlossen. Darüber hinaus bin ich bereit, mit allen über eine mögliche Regierung zu sprechen. Aber klar ist, wir treten nur in eine Regierung ein, wenn wir hinreichend viele liberale Projekte umsetzen können. Zum Beispiel: Wir wollen das Land von Bürokratie entfesseln, damit es wirtschaftlich vorankommt. Wir wollen die grün-ideologische Schulpolitik gegen Gymnasien und die Förderschulen beenden. Wir wollen investieren in Straßen und Glasfaser und wir wollen einen wehrhaften Rechtsstaat, der landesweit und zu jeder Zeit wieder Sicherheit garantiert. Wer das mit uns umsetzen will, den unterstützen wir. Wenn ein Politikwechsel nicht möglich ist, gehen wir in die Opposition. Ich fürchte, dass die wahrscheinlichste Regierung eine große Koalition ist, weshalb wir ja auch dritte Kraft werden wollen, damit die Opposition gegen diese Regierung aus der Mitte des Landtags angeführt wird, und nicht von den Rändern.

Ende November haben Sie gesagt, dass Sie Frau Kraft auf keinen Fall zu einer weiteren Amtszeit verhelfen wollen. Danach haben Sie angedeutet, dass Sozial-Liberal doch eine Chance hat, wenn die SPD nach vorne denkt. Jetzt sagen Sie, dass Hannelore Kraft die CDU billiger einkaufen könne, als die FDP. Das ist insgesamt einigermaßen unklar.

"CDU hat sich auf Juniorpartner-Rolle vorbereitet"

Lindner: Seinerzeit ging es auch um die Ampel, weil eine sozialliberale Koalition gar nicht im Gespräch war. Und wie gesagt gilt auch heute und ohne Einschränkung: Die Ampel ist ausgeschlossen, aber bei der sozial-liberalen Option habe ich große Skepsis, denn Frau Kraft hätte ja schon seit 2012 mit uns regieren können. Und wir sehen ja, dass die CDU sich schon auf eine Rolle als Juniorpartner in der großen Koalition vorbereitet und aus ihrem Programm alle Ecken weggeschliffen hat.

Wenn Sie sagen, dass die CDU sich auf die Rolle als Juniorpartner vorbereitet hat, dann heißt das, dass die CDU heute nicht mehr Ihr Wunschpartner ist?

Lindner: Die FDP ist eine eigenständige Partei. Die CDU steht uns in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik sicher noch am nächsten, aber aus einer schwarz-gelben Mehrheit würde nicht automatisch ganz zwingend eine schwarz-gelbe Regierung werden. Wir sind so selbstbewusst zu sagen, dass wir gewählt werden wollen wegen unserer eigenen Projekte, Personen und Programme und nicht, weil wir Hilfstruppen für andere sind.

Eine Ein-Mann-Partei?

Da fragt man sich, wer das macht. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die FDP eine Ein-Mann-Partei. Aber Sie haben klar gesagt, dass Sie ab einer bestimmten Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen werden und nach Berlin gehen.

Lindner: Das ist bei den anderen Parteien doch nicht anders. Wir haben ein starkes Team, beispielsweise meinen Kollegen Dr. Joachim Stamp auf Platz zwei unserer Liste. Aber klar ist, dass in einer Mediengesellschaft immer einzelne Leute im Vordergrund stehen. Auch die CDU plakatiert nur Herrn Laschet und die SPD nur Frau Kraft. Und die FDP eben meine Person. Das heißt aber nicht, dass dahinter nicht viele andere stehen würden.

Herr Laschet und Frau Kraft werden nach der Wahl aber auch dem Landtag angehören, Sie nicht. Oder gibt es da doch einen Plan B?

Lindner: Man kann das Comeback einer Partei von außerhalb des Bundestages nur aus den Ländern organisieren. Wer die FDP wählt, stärkt den Politikwechsel in NRW und sendet ein Signal an die ganze Republik.

Glauben Sie, dass es Ihren Wählern wirklich bewusst ist, dass Sie nicht im Landtag sitzen werden?

Lindner: Das glaube ich schon, weil ich bei jeder Gelegenheit sage. Ich werde mein Mandat in der Phase der Regierungsbildung wahrnehmen, um danach in Berlin meine politische Arbeit fortzusetzen. Nebenbei kann man damit ja auch das Gewicht Nordrhein-Westfalens in Berlin erhöhen, das Frau Kraft auf das Niveau eines Fliegengewichts reduziert hat, weil sie selbst mit dem Berliner Politikgeschäft fremdelt.

"Schulz-Effekt nutzt sich ab"

Apropos Berlin: Welchen Einfluss hat der sogenannte Schulz-Effekt auf die NRW-Wahl?

Lindner: Den gab es, der nutzt sich aber auch ab. Das kennt man aus dem Fußball: Wenn man da den Trainer wechselt, hat das sofort einen Effekt, der aber auch schnell verpufft. Das hat sich jetzt bei der SPD wieder normalisiert.

Die AfD hat hohen Zulauf von Menschen, die sich abgehängt und von den etablierten Parteien, und damit auch von der FDP, nicht verstanden fühlen. Was haben Sie diesen Menschen zu sagen?

Lindner: Dass die AfD keines ihrer Probleme lösen will, weil die AfD Zerstörung zum Programm gemacht hat. Der interne Umgang miteinander zeigt ja den Charakter dieser Partei und wie sie die Gesellschaft organisieren will. Ich empfehle, sich nicht an der AfD zu orientieren, sondern stattdessen an konkreten Problemen zu arbeiten.

"In Flüchtlingsfragen die Kontrolle verloren"

Zum Beispiel?

Lindner: Beispielsweise haben viele Menschen wie ich selbst bemängelt, dass der Staat in der Flüchtlingsfrage regelrecht die Kontrolle verloren hat. Bis heute haben wir kein Einwanderungsgesetz, das hier klare Regeln definiert. Der Status als Flüchtling darf nicht automatisch zum dauerhaften Aufenthalt führen, Menschen müssen dereinst in die alte Heimat zurück, und die Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben sollen, müssen wir uns aussuchen können.

Das von den Grünen vorgeschlagene Wahlkampf-Fairnessabkommen ist nicht zustande gekommen. Bedauern Sie das?

Lindner: Inzwischen lächle ich darüber, weil die Grünen als Erfinder eines Fairnessabkommens eine Wahlkampagne machen, die sich häufig darauf konzentriert, mich als Person mies zu machen. Da hat sich dieser Vorschlag im Nachhinein als PR-Gag entpuppt.

Und wie bewerten Sie dann zum Beispiel den FDP-Claim, der der Landesregierung rät, sie solle besser früher aufstehen?

"Zeichen von Verzweiflung"

Lindner: Natürlich formuliere ich hart, aber wir arbeiten uns an Problemen ab. Zum Beispiel: Nur weil Kinder gerne im Dreck spielen, müssen die Schulen nicht so aussehen. Das ist geländegängig formuliert und natürlich arbeiten wir dafür, dass Frau Löhrmann ihre katastrophale Schulpolitik in NRW nicht fortsetzt. Aber es ist ein Unterschied, ob man die charakterliche Integrität oder die Kompetenz in Frage stellt. Das machen die Grünen permanent und das finde ich ein bisschen eklig. Aber ich kann damit umgehen, das ist ja auch ein Zeichen von Verzweiflung.

Wäre ein Fairnessabkommen also doch sinnvoll gewesen, auch mit Blick auf die AfD, die als einzige Partei zum Beispiel Social Bots im Wahlkampf einsetzen will?

Lindner: Ja, ich hätte auch gerne ein Fairnessabkommen gehabt. Fairnessabkommen bedeutet ja nicht Verzicht auf Klarheit in der Auseinandersetzung, des Herausarbeitens von Unterschieden oder auch zugespitzten Formulierungen. Sondern eben nur, dass Social Bots oder andere illegitime, manipulative Mittel ausgeschlossen sind oder dass man versucht, auf Angriffe unter der Gürtellinie zu verzichten.

Sie würden also einen Vertrag mit der AfD unterzeichnen?

Lindner: Nein, das kann ja nicht ernst gemeint sein, weil der ganze Wahlkampf der AfD beruht ja auf der Denunziation unseres Systems und der anderen Parteien.

Zurück zum Slogan „Kinder, die gerne im Dreck spielen…“ Das dazugehörige Bild auf dem Wahlplakat zeigt keine Schule.

Lindner: Das Foto ist hier in Düsseldorf am Rhein entstanden. Was anderes haben wir auch nie behauptet. Ein Fotograf hat mich über einige Tage begleitet und da fotografiert, wo ich gerade so war - und die Bilder nutzen wir für Filme, Social Media und so weiter.

"Nichts bringt mich davon ab, dass ich die FDP in den Bundestag führen will"

Noch einmal zum Thema Düsseldorf oder Berlin. Würde Sie das Amt des stv. Ministerpräsidenten reizen?

Lindner: Es gibt keine Aufgabe, kein Amt, keinen Ministerposten in NRW, der mich von meiner 2013 gegebenen Zusage abbringen könnte, dass ich die FDP wieder in den Bundestag führen will.

Was machen Sie, wenn das nicht klappen sollte?

Lindner: Ich bin noch nicht so alt, aber eine lang gelebte Weisheit von mir lautet, wenn man was erreichen will, soll man sich nicht mit dem Scheitern beschäftigen und alle Energie darauf konzentrieren, auf den Plan A, dass der gelingt. Es wird klappen. Wir spüren täglich, dass der Zuspruch wächst.

Das Gespräch mit Christian Lindner führte der stv. NRW-Redaktionsleiter Martin Dubois.

Autor:

Martin Dubois aus Essen-Süd

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