Jamaika - in den Dunns River Falls

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Dienstags, am 10.Februar 2009, legten wir morgens um halb acht Uhr in Kingston auf Jamaika an.
Hier waren wir vor drei Jahren auch schon einmal gewesen. Wir schnupperten nach vertrauten Düften und Klängen. Die Insel Bob Marleys, des Reggaes, der Steelbands, die Insel der Träume.
Doch der Himmel war bedeckt. Kein flirrender Staub in der gleißenden Sonne, keine Musik in der Luft. Einfach nur eine Insel. Eine Insel im Alltag.

Ich freute mich wahnsinnig auf die Tour zu den Dunns River Falls in Ocho Rios. Damals hatten wir die Insel per Taxi auf eigene Faust erkundigt und waren auch hier an den begehbaren Wasserfällen gewesen. Nur hatten wir kein Badezeug und keine Wasserschuhe dabei gehabt. Also waren wir Zaungäste gewesen und hatten zusehen müssen, wie andere laut lachend und kreischend den Wasserfall hoch gekrabbelt waren. Zu gerne hätte ich damals mitgemacht. Genau, wie bei der Äquatortaufe. Aber diesmal, so hatte ich mir geschworen, diesmal werde ich dabei sein. Und wenn ich die Einzige von uns bin. Die Dschungel-Seilbahn und die Wasserfälle, das waren die beiden Ausflüge, auf die ich mich am meisten gefreut hatte.
Zwei Stunden Fahrt im Bus vom Hafen bis ans andere Ende der Insel. Die frühere Insel-Hauptstadt Spanish Town noch genauso elendig arm wie damals, die Townships unverändert: Hütten im Staub, zusammengewürfelt aus Wellblech und Pappe, Zeit im Überfluss.
Wir fuhren durch die Berge, wahnsinnig enge Haarnadelkurven, die mich schon damals in Angst und Schrecken versetzt hatten, und erkannten die Insel wieder.
„Guck mal! Da in der Biegung stand damals der geschmückte Esel! – Und da der Blumenmann!“ Begeistert reckten wir den Hals in alle Himmels-richtungen.
Irgendwann kamen wir raus aus den dunklen Bergen, und vor uns erstreckte sich das türkisfarbene Meer.
Ich fieberte.
Columbus war damals wahrscheinlich ebenfalls schwer beeindruckt, allerdings vom Meer aus. Er dachte, er hätte acht Flüsse entdeckt und nannte die Gegend Ocho Rios – acht Flüsse.
Dunns River Falls: Hier fällt der Fluss aus 190 Metern Höhe über viele flache Felsstufen hinab und mündet in das Karibische Meer.

Nachdem wir uns in der qualvollen Enge des Busses umgezogen hatten, ging es los.
Unten am Strand sammelten wir uns um unseren jamaikanischen Führer. Es war nicht gerade warm unten im smaragd-grünen Wasser. Und oben ballten sich dunkle Wolken. Der Wind rollte unsere nackte Haut zu einer dicken Gänsehaut auf, und dann fing es an zu regnen. Aber da wir eh nass wurden, war das auch schon egal.
Der Wasserfall war nicht in Stimmung für uns. Er brauste und schüttelte sich. Er tobte und wirbelte. Das war vor drei Jahren aber wesentlich anders gewesen.

Mein lieber Mann und ich nahmen unsere schwäbische Freundin Ilse, eine passionierte Schwimmerin, ihrem Mann zuliebe in die Mitte. Er, der allein schon bei der Vorstellung, was alles passieren könnte, schlaflose Nächte hinter sich hatte, lief den Weg oben auf dem Trockenen mit, bewaffnet mit Digicam und Fotoapparat. Unsere und seinen. Das würde ihn hoffentlich etwas ablenken von seinen Sorgen.

Die ersten zwei, drei Etappen waren noch relativ einfach. Ich fand es zwar schwierig, durch das Gewirbel des Wassers zu gehen, denn man konnte nie den Boden sehen, keine Löcher, keine Felsen, eigentlich gar nichts. Man tastete sich immer auf Verdacht weiter, schäumendes, brausendes Wasser von vorne, oben und unten.
Zweimal verlor mein Mann seinen Wasserschuh im Strudel. Weg. Aber ohne Schuhe kann man unmöglich durch den Wasserfall. Der Guide winkte ab: „No Problem, der Schuh kommt zurück.“
Und das kam er wirklich. Jedes Mal. Immer per Hand, aufwärts geworfen.

Je weiter wir uns vortasteten mit Händen und Füßen, desto schwieriger wurde es. Die Strömung war echt heftig. Und wir waren noch lange nicht oben. Wenn ich die steile Wand vor uns betrachtete, wurde mir doch schon etwas sehr mulmig.
Wir bückten uns durch eine niedrige Grotte – voller Wasser, ich musste tauchen- Panik! - und schwups, weg war ich! Glatt untergegangen im Irgendwo. Helfende Hände zogen mich wieder ans Regenlicht. Autsch. Ich hatte mich dort unten auch noch an einem unsichtbaren Fels gestoßen. Aber weiter ging es.
Vor der steilen Steigerung mit dem heftigen Gegenwasser stieg Ilse aus. Ihrem Mann zuliebe. Wahrscheinlich, um ihn vor einem Herzklabaster zu schützen.

Irgendwann dachte ich, das war’s, ich schaff es nicht. Ich stürze ab. Gleich hier mitten im nächsten Strudel, und kein Mensch merkt, dass ich weg bin.
Mein Mann kraxelte vor mir, ich konnte ihn noch so eben durch die dichte Gischt sehen. Seine Hand hatte ich ausgeschlagen, weil ich meine beiden Hände selber zum Klettern und Festkrallen brauchte. Mir war schwindlig von den Wassermassen, die auf und über mich hinweg fluteten und mich ertränken wollten.
Ich dachte nur noch: entweder - oder.
Als ich durchs Ziel kam, war ich echt stolz auf mich. Ich, die Anti-Wasserratte, hatte es geschafft. Und zwar an einem Tag, der besonders war. Besonders wild.

Abends an Bord war Piratenabend. Die Kellner im Piratenlook, wir provisorisch auch. Geschirr und Besteck lagen kreuz und quer auf dem Tisch, das Essen wurde mitsamt Haube auf den Tisch geknallt… es war ein sehr lustiger, feuchtfröhlicher Abend.
Später haben wir noch barfuß an Deck getanzt zu den heißen Rhythmen einer einheimischen Steelband. Die Luft war wieder warm und trug den weichen Duft von Rum und Tabak mit sich.
Traumhaftes Jamaika.
Das Jamaika der Träume.
Über uns dehnte sich in unendlicher Unendlichkeit der Himmel wie eine schwarze Samtglocke voller Diamanten.

Auszug aus meinem Buch "Emmerich in Übersee"

Die Fotos zeigen Impressionen der Insel 2006 und 2009

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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