30 Jahre Freiheit: Lebenskünstler muss Paradies an Heißener Straße räumen

Muss er sein Paradies verlassen? In knapp Jahren 30 Jahren hat Werner Trummer sich an der Heißener Straße ein eigenes Reich aufgebaut. Foto: Müller
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Werner Trummer hatte sein Glück gefunden: Zusammen mit Hündin „Buffy“ und Kater „Lili Hermann“ lebte er fast 28 Jahre in einer kleinen verzweigten Hütte an der Heißener Straße. Doch wie auch den auf dem Gelände beheimateten Tiervereinen flatterte Trummer im Sommer 2014 die Kündigung ins Haus. Ein Leben in einer normalen Wohnung oder Einrichtung ist für den 61-Jährigen unvorstellbar, jetzt droht Trummer und seinen Tieren die Obdachlosigkeit.

Werner Trummer ist nervös, steckt sich aufgeregt die nächste Zigarrette an: „Ich bin Kettenraucher geworden, seit das hier anfing“, berichtet Trummer mit starrem Blick. Freischaffender Lebenskünstler sei er, wie auch seine Nachbarn aus der Hundestagesstätte canis familiaris und der Auffangstation HAST wird er spätestens Ende diesen Jahres sein kleines Reich an der Heißener Straße 999, Parzelle 12, verlassen müssen. Für Trummer der absolute Alptraum: „Ich weiß nicht mehr wohin, in einer Wohnung gehe ich kaputt!“

Leben im Paradies

Als Trummer im Sommer 1988 das Gelände an der Heißener Straße entdeckte, befand sich dort noch so gut wie nichts. Zuvor war er obdachlos, hatte drei Jahre im Garten von Bekannten gewohnt, lange Zeit auch in der Anlage der Eltern. Mit seinem treuen Traktor graste er die Gegend ab, sammelte nach und nach das Material für die inzwischen verzweigten Hütten der Parzelle 12. Auf Floh- und Trödelmärkten organisiert der „Jäger und Sammler“ die Einrichtung für sein Heim – von Modellautos über Schallplatten und Zeitschriften bis hin zu einer gewaltigen Eisenbahnstrecke: „Für mich ist das ein Museum und auch ich bin ein Unikat!“
Schon als kleiner Junge hatte Trummer eine Leidenschaft für LKWs, zeichnete die Fahrzeuge bis ins kleinste Detail frei aus der Hand. Gefördert wurden seine Talente damals nicht, stattdessen besuchte er eine Sonderschule. Mittlerweile weiß der 61-Jährige, dass er anders als die meisten ist: Im Fernsehen hat er eine Sendung über Autismus gesehen, die Symptome stimmen mit seinen eigenen überein. Tagtäglich muss alles zur gleichen Zeit geschehen, Trummer braucht diese Rituale. Um 16 Uhr geht's mit Hündin „Buffy“ raus, immer genau sieben Kerzen sorgen für Stimmung bei der Bibelsendung zwischen 22 und 23 Uhr. Rührend: Jeden Tag besucht der gläubige Christ das Grab von „Lina“, am heutigen Mittwoch wird er die 876. Kerze für die verstorbene Hündin aufstellen.

Seuchengefahr

Ein jähes Ende fand das idyllische Leben im Jahr 2014, als Trummer und den verschiedenen Tiervereinen auf dem Gelände die Kündigung ins Haus flatterte. Die Nutzung des Außenareals sei eigentlich seit Jahren unzulässig, wie ein Schreiben der Stadt Essen erläutert: „Der Flächennutzungsplan stellt das Areal als ,Grünfläche' dar.“ Aufgefallen sei die Heißener Straße aber erst, nachdem Mieter ihre Abwässer den Berg hinunter Richtung Frohnhausen entleert hätten – die kleine Siedlung hat keinen Anschluss ans Kanalsystem. „Ich habe mich immer gut verhalten!“, versichert Trummer fast verängstigt. Er verwendet ein Dixie-Klo, das in regelmäßigen Abständen geleert wird.
Ehrenamtlich unterstützt wird Trummer seit mehreren Jahren von Heinrich-Peter Wallrafen, der in zahllosen Schreiben an Stadt, Vermieter und sogar den Oberbürgermeister versuchte, die Räumung zu verhinden. Ohne Ergebnis: „Auch wenn ich nicht verkenne, dass die Wohnsituation von Herrn Trummer möglicherweise seinen Lebensbedürfnissen entspricht, erlaubt die baurechtliche Situation des vollständig im Außenbereich gelegenen Gebietes keine Wohnnutzung“, antwortet die Stadt. Doch selbst ohne die Kündigung hätten sich die 30 Jahre Freiheit dem Ende zugeneigt: Schon Sturmtief Ela hinterließ katastrophale Verwüstungen an den Hütten der Parzelle 12, zusätzlich wird Trummer die Heizkosten auf Dauer nicht tragen können.

Ohne Alternativen

Seitdem Wallrafen Trummer endlich überzeugen konnte, dass es an der Heißener Straße keine Zukunft gibt, haben die beiden unzählige Alternativen durchgespielt: In Ostdeutschland hätte er für knapp 100 Euro im Monat die Gaststätte „Weiße Elster“ beziehen können. Schwierigkeit dort wäre die Entfernung zur nächsten Ortschaft gewesen. Ein Platz für Dauercamping fiel durchs Raster, weil auf dem Areal keine Registrierung beim Einwohnermeldeamt möglich ist. Die bis dato letzte Idee war ein ehemaliges Bergarbeiterhaus in direkter Nähe: „Ich brauche meine vertraute Umgebung“, erklärt Trummer, „das wäre eine Alternative gewesen.“ Zwar ist der rechte Flügel des Gebäudes an der Heißener Straße 234 bewohnt, im linken hätte der Lebenskünstler aber unterkommen können. Hier scheiterte es schließlich am Mietpreis.
„Die Angstzustände werden immer schlimmer“, verzweifelt der perspektivlose 61-Jährige. „Ich möchte Ruhe und Frieden, wieder Lebensfreude haben.“ Ideen haben aber weder er noch Wallrafen. Bis das Gelände dann Ende des Jahres schließlich geräumt wird, wird Werner Trummer weiter Tag für Tag mit Hündin Buffy rausgehen, noch Dutzende Kerzen für die Verstorbene Lina aufstellen und so einfach Trost in den kleinen Dingen finden, die ihm die letzten 27 Jahre zur schönsten Zeit seines Lebens gemacht haben: „Ich freue mich schon auf meine Bibelsendung“, seufzt Trummer. „Dann bin ich glücklich.“

Autor:

Alexander Müller aus Essen-Borbeck

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