Kolumne „Blick ins Leben“ von Heidi Prochaska

Gänzlich ungeeignet

Letztens sagte ein gewichtiger Freund zu mir: „Ich glaube, du warst früher eine lausige Ernährungsberaterin!“ Ich war schockiert. Ich war zehn Jahre in diesem Beruf tätig und habe die Arbeit mit meinen Kunden geliebt. Sie waren zufrieden und ich auch. Wieso um Gottes Willen sollte ich einen schlechten Job gemacht haben?

Rank und schlank, Kleidergröße 38, freundlich und kompetent – so warb ich als vorzeigbare Mitarbeiterin einer Rehaklinik für gesunde und diätetisch sinnvolle Nahrung. Klar, gab es auch bei mir den einen oder anderen Ausrutscher, aber übergewichtig war ich nie.

„Genau deswegen“, fiel er mir ins Wort, „bist du gänzlich ungeeignet. Du kannst überhaupt nicht nachvollziehen, wie es Menschen geht, die ständig Sorge haben zu verhungern und deshalb ihren gut gefüllten Teller niemals aus den Augen lassen. Du sitzt hier beim Frühstück und erzählst mir von gestern und deinen Plänen, während ich die ganze darüber nachdenke, warum du dein Ei noch nicht gegessen hast. Es könnte sogar passieren, dass du aufstehst und das Ei stehen lässt, es gar nicht isst. Mir würde so etwas nie passieren. Verstehst du, was ich sagen will?“

Ich nickte zögerlich und ließ mein gesamtes Essverhalten an meinem geistigen Auge vorüberziehen. Es stimmte. Ich war nicht versessen aufs Essen. Es machte mir kaum etwas aus, wenn ich einige Stunden nichts bekam. Ich aß gerne, aber wenn andere Dinge spannender waren, konnte ich das Essen fast vergessen. Dieses Verhalten zog sich durch mein Leben und jede Veränderung meines Essverhaltens war zwar unangenehm, aber nicht bedrohlich. Eine interessante Perspektive - auf meine berufliche Vergangenheit.

Veränderungen, die nah an dem sind, was wir gewohnt sind, fallen in die Kategorie machbar. Doch was für mich einfach ist, kann bei anderen, Verweigerung, Ängste und Ablehnung hervorrufen. Ich bedankte mich bei ihm für eine Sichtweise auf Dinge, die Menschen mit anderen Körpermaßen maximal denken, aber nicht aussprechen. So ergänzen eigene, manchmal nur kleine, Begebenheiten die Sicht und die Arbeit an meinem großen Thema der persönlichen Änderung.

Das Ei aß ich tatsächlich nicht. Stattdessen öffnete ich den Kühlschrank und verputzte den Schokopudding mit Sahne, den ich bereits gestern Abend dort entdeckt hatte.

Autor:

Heidi Prochaska aus Essen-Borbeck

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