Entweder alle oder keiner

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Jupp Breitbach aus Essen war ein Platzwart mit Ecken und Kanten.

Willkommen auf dem Erinnerungspfad! Raupenbahn-König Herbert Kreft bespaßte mit seinem Fahrgeschäft das Jungvolk an Rhein und Ruhr. Viereckig hölzerne Torbalken waren Standard. In der gefürchteten Westkurve des Georg-Melches-Stadions wurde ein starkes Kapitel Essener Fangeschichte geschrieben. „Ente“ Lippens spielte einen gewissen Hans-Hubert Vogts schwindelig. Fußball war noch Leitsportart ohne Retortenteams und kam prima ohne VIP-Logen mit Sektbars sowie Hummer-Langusten-Nischen aus. Das war auch seine Zeit, die von Jupp Breitbach.

Zum 31. Januar 1996 war Rot-Weiß Essen um ein weiteres Original ärmer. Platzwart Jupp Breitbach ging mit 60 Jahren in den Ruhestand. Bereut habe er es keineswegs, aber noch einmal den Platzwart-Job an der Hafenstraße ausüben – nein, das müsse nun wirklich nicht sein. Jupp Breitbach, seit 1960 in dieser Funktion (die später in städtischer Stadionverwalter umgetauft wurde) beim Traditionsverein aus Bergeborbeck tätig, hatte dafür eine simple Erklärung parat: „Frei gibt es bis auf den Urlaub normalerweise gar nicht!” Überhaupt sah er den Stellenwert seines Berufs viel zu niedrig angesiedelt. „Es ist noch nicht einmal ein Platzwart gelobt worden!”

Sein Arbeitstag fing um 8 Uhr mit dem Herrichten der Plätze an und dauerte bis gegen 22 Uhr. Wenn Flutlichtspiele anstanden, wurde es locker nach Mitternacht. Als RWE noch über sportliche Substanz verfügte und auf der Bundesliga-Landkarte eingezeichnet war, war's mitunter noch heftiger. Da waren dann unzählige Schüppen Sand und Helfer, die „nachts um 12” den Platz traten, notwendig, damit auch am Samstag um 15.30 Uhr angepfiffen werden konnte.

Breitbach wurde im Rot-Weiß-Stadion geboren und ist durch seinen Vater Heinrich, der Platzwart war, quasi reingewachsen. Schon als Dreikäsehoch musste er erst das Stadion saubermachen, „damit der Vater einen Ball zum Spielen herausrückte”. Der gelernte Autoschlosser, der auch ein ganz passabler Fußballer war, verfügte über ein enormes Insiderwissen, das sicherlich Stoff für ein interessantes Buch hergegeben hätte. Eine Fülle erinnerungswürdiger Geschehnisse, mit Trainern, unvergessenen Spielern und Funktionären. So er denn gut aufgelegt war, plauderte er ganz gerne ein wenig aus dem Nähkästchen und kam vom hundertsten ins tausendste. Etwa über die Hitzeschlachten in den Aufstiegsrunden. Oder über den jungen, seinerzeit technisch völlig unfertigen Horst Hrubesch, der schüchtern im Ostfriesen-Nerz in der Ecke stand und dem er prompt die Bezeichnung „Ungeheuer” verpasste. Gerne auch über Otto Rehhagel, der „fast alle drei Wochen” anrief. Über den großen FC Bayern, der die Umkleidekabine stets in einem Pikobello-Zustand verließ. Und über die besondere Beziehung zum ehemaligen Essener Spieler Dirk „Putsche” Helmig, der als Kind bei Jupp Breitbach und seiner Frau Sonja ein und aus ging und daher als „Ziehsohn” galt. Dirk Helmig blickt zurück: „1972 wurde ich Mitglied bei Rot-Weiß Essen. Meine Eltern wohnten fünf Minuten von der Hafenstraße entfernt. So war ich jeden Tag auf der Anlage, schaute mir das Training der ersten Mannschaft an, trainierte selbst auch und lernte dabei Herrn Breitbach kennen. Ich habe nur die schönsten Erinnerungen. Wir hatten eine tolle Zeit. Zu Sonja Breitbach besteht immer noch ein sehr enger Kontakt.“

Die Platzwart-Legende hatte einen rauen, herzlichen Charme. Er war beileibe kein einfacher Mensch und bei etlichen Zeitgenossen auch nicht sonderlich beliebt. Seine gerade Linie nach der Devise „Entweder alle oder keiner” behagte vielen nicht. Damit konnte er aber gut leben, denn billige Sympathiepunkte waren ohnehin nicht sein Ding. Auch Kritik und Vorschläge, die er dem Verein unterbreitete, gefielen den Entscheidungsträgern häufig ganz und gar nicht. Nach einer gewissen Zeit mussten sie aber eingestehen: Verdammt noch mal, der hat ja schon wieder Recht gehabt! Dann war's jedoch meistens zu spät...

Das unnachahmliche Faktotum gab seine Wohnung im Haupttribünen-Komplex auf, zog in den Essener Stadtteil Schönebeck. Und er freute sich, dass er als Pensionär seinen Tagesablauf selbst bestimmen und künftig Spitzenspiele der kleineren Vereine verfolgen kann. Viel Zeit war ihm nicht vergönnt. Jupp Breitbach starb viel zu früh, am 25. Juni 1996, 60-jährig. RWE war der Inhalt seines Lebens.

Autor:

Frank Kaisler aus Moers

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