Von Hui zu Pfui! Die alte VHS in Essen
„Alles hat seine Zeit.“ Das gilt besonders für Bauwerke: Materialien, Geschmäcker und Ansichten ändern sich. Doch kann man den Ruf eines Objektes auch dadurch ruinieren, indem man es einfach verkommen lässt. Trauriges Beispiel: die ehemalige Volkshochschule in Essen.
Historie
Grundsteinlegung für das „Haus der Erwachsenenbildung“ an der Hollestraße war 1969, zwei Jahre später der erste Bauabschnitt fertiggestellt. 1971 feierte man die Eröffnung, – mit vier 75-Liter-Fässern Freibier und großem Bahnhof. Rund 30 Jahre galt Wilhelm Seidenstickers Schulbau als ein „Musterbeispiel moderner und funktionsgerechter Architektur“.
Dann das Aus: Anfang der 90er Jahre wurde die Belastung durch krebserregendes PCB festgestellt, die Frage nach der Zukunft des Hauses stand im Raum. Die von der VHS selbst favorisierte Komplett-Sanierung hätte mehr als 7 Millionen Euro gekostet. Im Jahr 2000 beschloss der Rat endlich den Umzug in ein neues Gebäude. Unter Einbezug des Lichtburg-Kinos entstand von 2002 bis 2004 die neue VHS auf dem Essener Burgplatz.
Jahrelang vergammelte das knapp 7000 m² groß Areal an der Hollestraße. 1,8 Millionen Euro wurden 2008 für den Abriss veranschlagt. 2011 gab die Essener Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft, die das Grundstück vermarktet, bekannt, mit den Düsseldorfer Projektentwicklern „Die Developer“ über eine Neubebauung zu verhandeln. In der Landeshauptstadt hat man ehrgeizige Ziele: „Die Planung sieht ein sechs- bzw. siebengeschossiges Bürogebäude entlang der Hollestraße und der Steeler Straße vor. Insgesamt sollen rund 12.000 m² effizient und flexibel auf die Nutzerbedürfnisse ausgerichtete Büromietflächen und 250 Stellplätze entstehen. Das geplante Gebäude soll durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) als nachhaltiges und energieeffizientes ‚Green Building‘ zertifiziert werden.“
Die verstrichene Zeit gereichte dem Haus nicht zum Vorteil, seinen Ruf als „Schandfleck“ hat es weg. Darüber hinaus erscheint der eher gedrungene Bau im Gesamtbild der umgebenden Bebauung, die in die Höhe strebt, nicht mehr zeitgemäß. Ob Anwohner oder Projektentwickler: eine Träne wird ihm keiner nachweinen.
Charakteristik
Das sechsgeschossige Gebäude erstreckt sich längs der Hollestraße. Da die einzelnen Baukörper zur Straßenseite hin abwechselnd vor und zurück treten, ergibt sich keine einheitliche Flucht. Die Fassade zeigt sich um Auflösung bemüht : in der unteren Geschosszone öffnet sich der teilweise von Pfeilern gestützte Bau in Art einer Vorhalle, breite Fenster kennzeichnen die oberen Geschosse. Gegen die Rückseite fällt die stufenartige und aufgelockerte Anordnung der Massen ins Auge, „Aufstieg durch Bildung“, wie Martin Spletter in der WAZ mutmaßte. Das Motiv der Stufen wird denn auch am ganzen Komplex variiert.
Interessant ist die Waschbetonverkleidung in Höhe der Bushaltestelle: scharfkantige Einschnitte und Wölbungen formen sich hier zu einem expressiven Relief. Was sich weiter an „Kunst am Bau“ findet, war gewiss nicht im Sinne des Erfinders: Graffiti und Parolen haben dem Leerstand ihren eigenen Stempel aufgedrückt. Ärger machen sich jedoch die weiteren Begleiterscheinungen der Verwahrlosung bemerkbar: das Ansammeln von Müll, Gestank, die Heimsuchung durch Ratten. Im Garten steht eine schön gewachsene Zeder, der Rest fällt eher unter die Kategorie „Kraut und Rüben“ …
Aussicht
Der Abriss ist noch für 2013 angepeilt. Wer kann, schaue sich diese gut gemeinte Architektur einmal an, bevor sie bald nur noch Episode im Gedächtnis der Stadtgeschichte sein wird.
Tip: Karte der alten VHS auf Google Maps
Autor:Axel Weiß aus Duisburg |
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