Literatur als Brücke der Verständigung „Lesung mit Musik gegen das Vergessen“

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Eine Nachbetrachtung von Raoul M. Kisselbach (bearbeitet und ergänzt von Karlheinz Freudenberg)

Am 29.11.14 organisierte Ida Daut, Autorin und Ensemblemitglied der Ruhrpott-Revue im gleichnamigen Theater an der Heßlerstr. 23 eine deutsch-russische Kulturveranstaltung. Hier stand die Sehnsucht nach der weiten russischen Landschaft neben einem Loblied auf die „Bude an der Ecke“, wie sie im Ruhrgebiet so typisch ist. Und Mozarts „Kleine Nachtmusik“ erklang neben zahlreichen deutschen, wie russischen Volksliedern. Der literarisch-musikalische Nachmittag „Literatur als Brücke der Verständigung“ offenbarte damit eine enorme Bandbreite und war für die erste Lesung in den originell dekorierten Räumlichkeiten mit ca. 100 Gästen sehr gut besucht. „Ich möchte den Menschen im Ruhrgebiet die Kultur der Wolgadeutschen näherbringen“, erklärt Ida Daut, die das Bühnenprogramm entwickelt hat und auch die Moderation übernahm.

Sie ist selbst Tochter eines aus Russland stammenden deutschen Ehepaars und lebt seit 1994 in Essen. Hier war sie zunächst als Bürokauffrau tätig, inzwischen ist sie Rentnerin und gehört dem Ensemble des Ruhrpott-Revue-Theaters an. Und ihr Programm passt hier ganz hervorragend, ist es doch der Zweck dieses Theaters, die Kulturen verschiedener Länder und Völker bekanntzumachen.
„Das Schöne bewahren wir in unseren Herzen“, sagte Ida Daut bei ihrer Begrüßung und übergab das Wort dann an Brigitte Böcker von der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Brigitte Böcker moderiert für die AWO-Essen seit 2011 in zahlreichen Seniorengruppen sogenannte „Erzählcafe´s“. Sie erinnerte in ihrem Beitrag an die Leistungen der Menschen, die sich in der AWO engagierten – insbesondere der Frauen: „Sie waren es, die das Leben in der Familie organisiert haben und in der Arbeiterwohlfahrt Gemeinschaften gründeten, die die unmittelbare Not zu lindern halfen und Bewusstsein für Solidarität und Toleranz schufen“. Danach reichte sie das Mikrofon an die Bonner Schauspielerin Martina Leon weiter, die den Gästen einen Einblick in die Literatur der Wolgadeutschen vermittelte. Die ersten Generationen der aus Russland eingewanderten Deutschstämmigen erzählen in ihren Romanen und Gedichten noch von der Vertreibung aus der angestammten Heimat, die das Sowjetregime im 20. Jahrhundert befohlen hatte. Doch bei den Jüngeren geht es längst um ganz andere Themen – und das sind dieselben, über die auch die hier geborenen Schriftsteller schreiben.
Wie lesenswert die Werke wolgadeutscher Autoren sind, beweist das Gedicht „Aus feinem Gewebe geformt“, mit dem der literarische Überblick endete. Hier ging es um die Sprache selbst, für die die Autorin eine Reihe einprägsamer Bilder fand: sie ist selbst wie ein Gewebe, das der Schreibende zusammenflicht. Verständlich, dass der Literaturkreis deutsch-russischer Schriftsteller dieses Werk mit einem Preis belohnte.
Ella Schwarzkopf aus Mainz, ebenfalls eine russlanddeutsche Schauspielerin, stellte den Gästen die Frau vor, ohne die es die Wolgadeutschen nie gegeben hätte: Russlands Zarin Katharina, die Große. Sie hat im 18. Jahrhundert zahlreiche Deutsche, aber auch Franzosen und Niederländer in ihr Reich geholt, um das weite Land zu besiedeln und zu bewirtschaften. In ihrem recht langen Vortrag zeigte Ella Schwarzkopf Bewunderung für diese Entscheidung der Monarchin, ließ aber auch nachdenkliche Töne anklingen – schließlich sind die meisten Wolgadeutschen im letzten Jahrhundert nach Deutschland zurückgekehrt. „Ich liebe Russland – aber nur hier fühle ich mich zu Hause“ bekannte sie.
Die Vorträge wechselten sich mit vielen musikalischen Einlagen ab. Ganz am Anfang sorgte der Sänger und Gitarrist Karlheinz Freudenberg für Stimmung. Er sang gemeinsam mit den Besuchern das bekannte Lied „Glückauf, der Steiger kommt“ – aber diesmal ganz ungewohnt in einer Art „Liedermacherversion“ - zur Gitarre! Auch der Tenor Wolfgang Hirz beeindruckte das Publikum mit seiner raumfüllenden Stimme. Er hat sich für diesen Abend drei Lieder ausgewählt, eines natürlich aus Russland, ein Singspielklassiker und eine sogenannte italienische „Canzone“. Anfangs wirkte sein Gesang noch etwas distanziert, aber dann füllte sich seine Stimme doch mit der Wehmut, die so oft in russischen Melodien zu finden ist, mit der Eleganz, die so typisch ist für die Musik Englands und nicht zuletzt auch mit der Leidenschaft der Italiener.
Für den humorvollsten Beitrag sorgte allerdings der deutsch-russische Chor „Nadeshda“. Auf das bekannte Thema aus Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ sangen die Sängerinnen und Sänger von der Freude an der Musik: „Wir alle lieben sie, die kleine Melodie“, hieß es da. Und abschließend bekannten sie: „Wolfgang Amadeus macht uns froh“. Das Publikum dankte allen Künstlern und der Organisatorin für einen erkenntnisreichen, vielfältigen und unterhaltsamen Nachmittag mit herzlichem Applaus. Es wurden auch noch zahlreiche Bücher signiert und wer mochte, konnte sich für den freien Eintritt incl. Getränke und kleiner Appetithäppchen mit einer Spende revanchieren. Wir hoffen auf eine Fortsetzung im nächsten Jahr an gleichem Ort.

Raoul M. Kisselbach / Karlheinz Freudenberg (Essen, 29.Nov./ 17. Dez. 2014)

Autor:

Karlheinz Freudenberg aus Essen-Nord

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