Gemeinsam statt einsam: Die Demenz-WG in Altenessen ist eine alternative Wohnform

WG-Leiterin Angela Brinkmann (l.) und Angehörige Tamara Frankenberger (2.v.r.) mit zwei Bewohnerinnen aus der Wohngemeinschaft für Demenzkranke.
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  • WG-Leiterin Angela Brinkmann (l.) und Angehörige Tamara Frankenberger (2.v.r.) mit zwei Bewohnerinnen aus der Wohngemeinschaft für Demenzkranke.
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In Deutschland leben etwa 1,4 Millionen Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Rund zwei Drittel werden innerhalb ihrer Familie betreut und versorgt, doch das ist nicht immer möglich.

Bei Menschen, die unter Demenz leiden, kann das Gehirn Informationen nicht mehr richtig verarbeiten- Nervenzellen sterben ab. Im Verlauf der Krankheit nehmen die Symptome zu, es kommt zu Gedächtnisstörungen, die bei fortschreitender Demenz auch das Langzeitgedächtnis betreffen, wodurch erlernte Fähigkeiten nach und nach verloren gehen.

Die Pflege einer an Demenz erkrankten Person ist sehr intensiv. Nicht immer lassen es die Gegebenheiten zu, dass diese durch die Angehörigen im gewohnten Umfeld des Erkrankten erfolgt. Das liegt teilweise an den Lebensumständen der Angehörigen oder an der Schwere der Demenz. Doch welche Alternativen gibt es, eine an Demenz erkrankte Person unterzubringen?

Alternative Versorgungsform für Menschen mit Demenz

Weitläufig bekannt ist die Unterbringung in Einrichtungen der stationären Altenhilfe wie Pflege- oder Seniorenheime. Weniger bekannt hingegen ist eine alternative Versorgungsform für Menschen mit Demenz: die Wohngemeinschaft.
Durch die ambulant betreuten WGs muss der Weg einer erkrankten Person nicht unweigerlich in einem Heim enden. Zwar bieten, aufgrund der immer weiter steigenden Zahl von Erkrankten, viele Altenpflege oder Seniorenheime demenzspezifische Programme an, doch können sich nicht alle derart spezialisieren, da der Großteil der Bewohner nicht demenziell beeinträchtigt ist.
Als Tamara Frankenberger vor der Entscheidung stand, wo ihre an Demenz leidende Mutter künftig wohnen sollte, wusste sie sofort, dass für sie nur eine WG infrage kommt.

Die Wohnform war ihr bereits durch eine Freundin bekannt, deren Mann elf Jahre in der Wohngemeinschaft an der Altenessener Straße gelebt hatte. „Ich kann allen Betroffenen nur raten sich zu informieren, welche Möglichkeiten es gibt. Mein Tipp ist die Demenzberatung der Stadt Essen, die gleichzeitig Informationen über mögliche Wohnformen bereitstellt“, empfiehlt Tamara Frankenberger.

Ein umfassendes Angebot an Hilfestellungen ist auf der Seite www.essen.de unter der Rubrik Gesundheitsamt / Dienstleistungen und Zuständigkeiten: „Demenz - und was Sie darüber wissen sollten“ zusammengestellt.

Eine vertraute Umgebung ist wichtig

Auch die Adresse der Wohngemeinschaft Altenessen ist dort verzeichnet. Trotzdem kam es in der Vergangenheit häufiger vor, dass die acht Plätze, die dort vorhanden sind, nicht ausgenutzt wurden, da diese Art der Unterbringung noch weitgehend unbekannt ist. Im Gegensatz zu einem Heim ist eine Demenz-WG keine stationäre Einrichtung, sondern ein Privathaushalt von Menschen, die sich zusammen mit ihren Angehörigen für den Aufenthalt dort entschieden haben.
Das Haus an der Altenessener Straße beispielsweise bietet auf drei Etagen Platz für acht Personen. Die oberen beiden Etagen dienen als Schlaf- und Wohnräume. Jedes der Zimmer ist so unterschiedlich, wie die Bewohner selbst, denn sämtliches Mobiliar stammt aus deren Privatbesitz. Bekannte Gegenstände und Tagesabläufe machen das Eingewöhnen leichter und gerade bei Demenzkranken ist eine vertraute Umgebung wichtig für das Wohlbefinden. Im Untergeschoss befinden sich die Gemeinschaftsräume.

Betreut werden die Bewohner rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst. „Wir vom Pflegedienst sind nur Gäste hier,“ betont Angela Brinkmann von der Freien Alten- und Krankenpflege e.V. (FAK) und Leiterin der WG. Die Pflegekräfte (drei tagsüber, zwei in der Abendschicht und eine nachts) haben keine eigenen Räumlichkeiten vor Ort, und jeder der Bewohner kann, wenn er denn möchte, sich für einen Kaffee bei den Dienstbesprechungen dazu setzen oder, wenn das Mittagessen vorbereitet wird, selbst den Kochlöffel schwingen.
„Wir versuchen eigentlich, alle alltäglichen Dinge gemeinsam mit den Bewohnern zu erledigen“, bestätigt die WG-Leiterin. „Eine Tagesstruktur bietet Orientierung“, weiß auch Andrea Quast, die das Pflegepersonal als Altentherapeutin verstärkt. In der Wohngemeinschaft ticken die Uhren leiser und langsamer. Stets wird versucht, auf den gewohnten Tagesablauf der einzelnen Bewohner einzugehen. „Hier gibt es keinen Zwang, keinen festgelegten Zeitplan! Hier gilt: Jeder nach seiner Fasson“, so Quast.

Do laachs de disch kapott

Verschiedene Ärzte arbeiten mit der WG zusammen und kommen ins Haus, ebenso die Fußpflege und ein Friseur. Das Pflegepersonal geht mit den Bewohnern spazieren und einkaufen oder setzt sich bei schönem Wetter auch einfach mal mit in den hauseigenen Garten für ein Pläuschchen.

All diese Vorzüge haben wohl Bewohnerin Ingrid bewogen, die Entscheidung zu treffen, hier einzuziehen. „Ingrid ist von sich aus hier eingezogen. Ich glaube, sie hat es nie bereut“, mutmaßt Angela Brinkmann. Und tatsächlich wirkt Ingrid äußerst zufrieden und posiert gern für ein Foto. Etwas peinlich berührt von so viel Aufmerksamkeit scherzt sie herum: „Die Kölner sagen: ‚Do laachs de disch kapott!‘“

Auch Tamara Frankenberger ist sicher, dass sie und ihre Mutter die richtige Entscheidung getroffen haben.

Hintergrund:

> Vor mehr als elf Jahren zogen die ersten Mieter in die WG.

> Die Genossenschaft Essen-Nord unterstützte die WG mit verschiedenen Maßnahmen (Treppenlift, Aufzug...)

>Die Demenz-WG Essen-Altenessen GbR ist Mieter des Hauses, alle Bewohner haben einen Untermietvertrag und somit das Recht, bis zu ihrem Tod dort zu leben.

WG-Leiterin Angela Brinkmann (l.) und Angehörige Tamara Frankenberger (2.v.r.) mit zwei Bewohnerinnen aus der Wohngemeinschaft für Demenzkranke.
Im Zimmer von Tamara Frankenbergers Mutter stehen die eigenen Möbel der über 90-Jährigen und geben ihr das Gefühl von Heimat.
Autor:

Nina Sikora aus Essen

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