Nach Flucht aus Afghanistan – im Gestrüpp des kapitalistischen Gesundheitssystems verfangen

Sahra Khodja vor dem Essener Klinikum, zwischen 2006 und 2009
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„Die Krankheit hat mir mein Leben genommen.
Ich brauche Spenden für eine embryonale Stammzellentherapie im Ausland“ (Sahra Khodja)

Nein, hier geht es nicht um einen „Neuankömmling“ aus einem aktuellen Krisenherd. Hier geht es um eine junge Frau, die schon vor 16 Jahren als Kind aus Afghanistan flüchten musste. Die sich auf ihrer mehr als ein Jahr dauernden Irrfahrt in Richtung Europa aller Wahrscheinlichkeit nach durch einen Zeckenbiss mit dem Borreliose-Virus infiziert. Und die schließlich im Gestrüpp des kapitalistischen Gesundheitswesens buchstäblich hängen bleibt.

Kindheit

Sahra wird 1985 südöstlich von Kabul in Logar geboren. Seit 1979 ist das durch jahrzehntelange Kriege ohnehin zermürbte Land von sowjetischen Armeeeinheiten besetzt; die Sowjetunion gibt sich in dieser Zeit zwar immer noch als „sozialistischer“ Staat aus, ist aber schon vor über 20 Jahren in ein kapitalistisches Land verwandelt worden und hat sich inzwischen in einen imperialistischen Räuber verwandelt; sie benutzt Afghanistan als strategische Plattform für den Kampf gegen westliche Rivalen um die Ölstaaten am Persischen Golf. Die afghanische Bevölkerung wird von ihr mit einer Unmenschlichkeit unterdrückt, die der der US-Besatzer im Vietnam-Krieg in nichts nachsteht. Zugleich werden die Menschen in Afghanistan zunehmend auch von reaktionären islamistischen Mudschaheddin-Milizen drangsaliert; die erhalten massive Unterstützung von der CIA, um das Land ihren russischen Rivalen wieder abzujagen.
So ist Sahra als kleines Mädchen mit ihrer Großmutter dauernd auf der Flucht, mal nach Pakistan, dann wieder zurück in ihr „Heimatland“ Afghanistan, nachdem der Großvater von den russischen Besatzern in einem Massengrab bei lebendigem Leib begraben worden war.

1989 bricht die sozial-imperialistische Sowjetunion und mit ihr der ganze Ostblock zusammen, und die US-Imperialisten scheinen ihr Ziel erreicht zu haben: ein Staat scheint zu entstehen, der an die USA gebunden ist. Sahra besucht in Afghanistan ab 1991 die Schule, wenn auch unregelmäßig. Mit der Zeit dominieren aber die religiös-faschistischen Taliban, die die USA für den Kampf gegen die So­wjetunion mit Waffen und Milliarden-Summen selbst aufgepäppelt hatten, das Land immer mehr, erobern schließlich 1997 die politische Macht im Land und errichten eine brutale islamistisch-faschistische Terrorherrschaft. U.a. ist Mädchen der Schulbesuch verboten.
Ihre Familie kommt im Bürgerkrieg ums Leben, nur Sahra und ihre Großmutter überleben. Sie entschließen sich, nach Europa zu flüchten.
Flucht
Sie kratzen alles Geld zusammen, verkaufen ihre Habe und machen sich auf den Weg. Es folgt eine von diversen Schleusern organisierte, schier endlose Odyssee. Hier nur einige Stationen ihrer „Reise“:
● nach Pakistan zu Pferd über die Berge nach Peschawar und weiter nach Karachi
● nach Kasachstan, teilweise in einem Boot, und durch Usbekistan
● in Turkmenistan 20 Tage in Wohnung eingesperrt, danach in einer großen Nomadenhütte mit 50-60 weiteren Flüchtlingen, ohne Toilette und ohne Essen, nur Tee
● weiter Richtung Moskau, in geschlossenen Viehtransportern, oft auch zu Fuß.
● in Moskau und der Ukraine jeweils einen Monat in Wohnungen versteckt
● von Moskau u.a. stundenlanger Marsch durch knietiefen Schnee Richtung Ukraine; zwischenzeitlich haben sie sämtliche wichtigen Unterlagen verloren
● LKW-Transport durch die Ukraine, dann Zugfahrt in einem Waggon ohne Licht und Luft
● Unterbringung in der Türkei in riesiger Wohnung, wo es nur Wasser und Alkohol gibt und Besoffene sich an der Großmutter zu vergreifen versuchen
● Marsch durch einen Wald. Die Schleuser merken, dass Polizei sich nähert, und hauen mit allen Wertsachen ab. Eine Woche Versteck im Wald (es ist Frühling und nachts noch sehr kalt). In dieser Zeit wird Sahra aller Wahrscheinlichkeit nach durch Zecken mit Borreliose infiziert.
● LKW-Transport bis nach Chemnitz, dort einfach irgendwo abgesetzt. Von Polizei 4 Tage inhaftiert (in Handschellen)
● Per Bahn zu Verwandten nach Westdeutschland getürmt

Schule und Ausbildung in Deutschland

Sahra besucht in Essen – als „Geduldete“ ständig von Abschiebung bedroht – eine Hauptschule und schließt mit der Fachoberschulreife ab. Sie würde gerne das Abitur machen, um Medizin zu studieren, zieht aber eine Ausbildung als Arzthelferin vor, weil sie nur so eine Arbeitserlaubnis erlangen kann, und immerhin auch das Fachabitur. 2004 erhält sie den 2. Preis im Wettbewerb „Chance in NRW“ und 2005 den 1. Preis als „Essens Beste“. 2006 schließt sie die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester an; die kommt, nachdem kurz zuvor durch die Ausbildungsordnung die Anforderungen enorm erhöht worden sind, im Schwierigkeitsgrad schon einem Studium gleich. Nach erfolgreicher Beendigung dieser zweiten Ausbildung arbeitet sie an der Uni-Klinik als Springerin; den ständigen Wechsel der Arbeitsabläufe von Abteilung zu Abteilung genießt sie geradezu, weil sie dadurch einen umfassenden Einblick in die gesamte klinische Medizin erhält. Und in dieser Zeit bekommt sie endlich auch den erstrebten deutschen Pass.

Die Krankheit

Während ihrer Ausbildung plagen Sahra mehrfach Nasennebenhöhlenentzündungen und zunehmend heftigere Schmerzen und Druckempfindungen im Kopf; nach einer Operation an den Nebenhöhlen hat sie Sehstörungen. Die Beschwerden gehen wieder weg; Sahra arbeitet mit Leib und Seele als Krankenschwester, hat einen festen Arbeitsvertrag, fühlt sich kerngesund, hat „Lebensqualität“, wie sie sagt. Von 2003 bis 2011 ist sie keinen einzigen Tag lang krank.
Dann aber, 2010, kehrt sich alles um. Eine Grippeimpfung löst eine ganze Kaskade von Beschwerden aus. Es beginnt mit brennenden Schmerzen in der Ferse, die nach und nach bis zum Rücken hinaufwandern. Drei Monate lang hält sie sich noch mit Medikamenten arbeitsfähig, dann geht es nicht mehr.
Es beginnt eine Odyssee durch zahllose Arztpraxen. Der Ablauf ist immer gleich: Die gängigen La­bor­tests werden gemacht, sie ergeben keinen Befund, der Arzt tappt im Dunkeln. Für lange Recherchen, die er bei der Kasse nicht abrechnen kann, kann oder will er sich keine Zeit nehmen. Nur wenige setzen sich mit den Befunden und Therapieergebnissen der Kollegen auseinander – wenn sie sie denn überhaupt zur Kenntnis nehmen; Kommunikation untereinander gibt es nicht; das kostet schließlich alles Zeit und schmälert den Gewinn. Zudem ist Borreliose in ihren ersten Stadien schwer von Allerweltskrankheiten wie Grippe usw. zu unterscheiden, und die Ärzte sind für ihre Diagnose meist nicht ausreichend geschult. Die Pharmaindustrie forscht nicht nach Wirkstoffen dagegen, weil sie damit nicht genug Profit machen kann.
Nach mehr als einem Jahr diagnostiziert ein Arzt erstmals einen „Verdacht auf Borreliose“. Ein halbes Jahr später greift ein anderer den Verdacht auf und erstellt einen Therapieplan. Aber kein Arzt setzt den Plan um. Ein ganzes Jahr später wendet einer endlich eine Therapie gezielt gegen Borreliose an; das Medikament schlägt aber nicht an. Keine Besserung.
Sahra hat mittlerweile ihr Vertrauen in die ärztliche Kunst in Deutschland fast völlig verloren; so wird sie mehrmals Opfer regelrechter Quacksalber, die ihren Gesundheitszustand durch gefährliche Behandlungen und Eingriffe sogar verschlimmern. Ihr einstiger Traum, Ärztin zu werden und in der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ mitarbeiten zu können, ist durch die Krankheit zunichtegemacht.
Inzwischen ist ihr Immunsystem so stark geschädigt, häufen sich so viele Erkrankungen (auch Autoimmunerkrankungen), dass manche Ärzte schon von einer Todkrankheit sprechen. Die Schmerzen sind chronisch geworden und eigentlich immer unerträglich. Seit fünf Jahren ist sie nun frühverrentet.
Eine Chance wäre vielleicht eine embryonale Stammzellentherapie. In Indien müsste sie einige zehntausend Dollar dafür bezahlen. Für Sahra eine Summe, die ihre Möglichkeiten natürlich weit übersteigt. Deshalb sucht sie Spender. Freunde haben für sie eine Internetseite eingerichtet, die genauere Details enthält: http://sahra.​braucht-ihre-hilfe.de/.

Spendenkonto:
Borreliose Beratung (Empfänger)
Sparkasse Neuss
IBAN: DE67 30550000 0240403444
BIC: WELADEDN
Stichwort/Verwendungszweck: „für Sahra“

Sahra Khodja vor dem Essener Klinikum, zwischen 2006 und 2009
2011: Ende eines Arbeitslebens voller Energie und Engagement - für immer?
Autor:

Hartwig Mau aus Essen-Nord

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