Stadt Essen hat Vorschläge für Flüchtlingsunterkünfte beschlossen

„Das Boot im Beisen ist übervoll!“ Vor der Sitzung der Bezirksvertretung  im Stoppenberger Rathaus demonstrierten Anwohner und Mitglieder des Bürgervereins Beisen. Foto: Gohl
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  • „Das Boot im Beisen ist übervoll!“ Vor der Sitzung der Bezirksvertretung im Stoppenberger Rathaus demonstrierten Anwohner und Mitglieder des Bürgervereins Beisen. Foto: Gohl
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15 Flächen für feste Flüchtlingsunterkünfte hatte die Stadt ursprünglich auf dem Prüfstand – und was bleibt? Sieben insgesamt, drei davon mit satten 2.400 Plätzen im Essener Norden. Zusätzlich sollen weitere 200 Plätze an der Bruchstraße entstehen. In Stoppenberg gingen wegen der Pläne rund 100 Demonstranten auf die Barrikaden, im Bezirk V erschreckt die Idee, einen Teilbereich der Fläche der „Marina Essen“ zu opfern – auch wenn das Prestigeprojekt damit angeblich nicht aufgegeben wird.

„Die Symmetrie stimmt nicht mehr“, bringt Michael Schwamborn, Ratsherr des Essener Bürgerbündnisses, die Debatte der letzten Tage auf den Punkt. War mit dem ersten Vorschlag für feste Flüchtlingsunterkünfte noch das gesamte Stadtgebiet abgedeckt, konzentrieren sich jetzt allein 2.600 Plätze auf den Essener Norden: Mit jeweils 800 verbucht werden die Areale Am Handwerkerpark, an der Bäuminghausstraße und auf der fürs Marina Essen vorgesehen Fläche.

Immer auf den Norden?

„Mit den nun eingebrachten Flächen und Gebäuden wird die in dieser Stadt vorhandene Nord-Süd-Problematik zugespitzt, zur regulären Wohn- und Gewerbeentwicklung vorgesehene Flächen werden auf Jahre blockiert und der Haushalt der Stadt – um den es bei weitem nicht gut gestellt ist – auf eine Nagelprobe gestellt“, kommentiert auch Hans-Peter Schöneweiß, Fraktionsvorsitzender der Essener FDP.
Auf eigene Kosten bebauen und dann hinterher an die Stadt vermieten will die RAG Montan Immobilien eine 24.000 Quadratmeter große Fläche Am Handwerkerpark. Genauso geht‘s an der Bäuminghausstraße: Hier will die Wirtschaftsvereinigung der Bauindustrie NRW das Gelände bebauen und dann weitervermieten. Zur zeitnahen Besitzüberlassung bereit ist hingegen die Essener Verkehrs AG (EVAG), die der Stadt Essen einen Teilbereich der Fläche zwischen Nordstern- und Altenessener Straße sowie Rhein-Herne-Kanal vermacht. Fertigstellung hier ist erst Juni 2017, in direkten Konflikt mit dem Bau der Marina kommen werden die Unterkünfte angeblich nicht. Ganz neu ist der Bereich zwischen Josef-Hoeren-, Bruchstraße und Am Schroerkotten. Rund 200 Plätze sind dort angedacht, zur Verfügung stände das Areal schon Ende 2016.
Die kalkulierten Kosten für Kauf, Herrichtung und Nachverdichtung bestehender Standorte schlagen eine Lücke von rund 108 Mio. Euro in den Haushalt: Das Soll klettert damit von knapp 64 auf insgesamt bis zu 172 Millionen.

Protest im Bezirk VI

Ihrem Ärger Luft machten noch vor der Sitzung der Bezirksvertretung VI am vergangenen Mittwoch rund 100 Anwohner und Mitglieder des Bürgervereins Beisen: Sie protestierten gegen die Standorte Bruchstraße und Am Handwerkerpark. Während der Bezirksvertretungssitzung, die im Anschluss an die Demonstration stattfand, übergaben die Mitglieder der Bürgerinitiative Beisen und der Bürgerschaft aus dem Bezirk VI eine lange Unterschriftenliste gegen die Flüchtlingsunterkunft-Planung der Stadt Essen.
„Wir lehnen eine Bebauung des Geländes nördlich des Handwerkerparkes zwischen der Karl-Meyer-Straße und der Grundstraße ab“, erklärt Egon Giborzik, Vorsitzender des Bürgervereins Beisen von 1881. „Bei diesem Gelände handelt es sich um eine größere Waldfläche im ansonsten waldarmen Essener Norden. Die Erhaltung dieses Waldes muss daher unbedingte Priorität haben.“ Bei großen Teilen der Waldfläche handelt es sich um Ersatzanpflanzungen für Baumbeseitigungen im Zuge der Bebauung der „Waldsiedlung Zollverein 6/9“ in Stoppenberg. Die Klimaanalyse der Stadt Essen von 2002 stuft diese Fläche als „Fläche mit einer günstigen klimatischen Situation“ ein. Diese Einstufung ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für das urbane Leben im Umfeld dieses Waldes.
Auch der Seniorenbeauftragte der BV VI, Werner Dieker, spricht sich gegen einen weiteren Flüchtlingsstandort im Essener Norden aus: „Ich habe den Eindruck, dass, wenn am Essener Bahnhof Flüchtlinge ankommen, man diese sofort im Essener Norden unterbringen will. Es wird Zeit, dass wir uns in dieser Richtung mal wehren - es kann nicht immer der Essener Norden sein, der Flüchtlinge beherbergen muss.“
Rudolf Vitzthum, Fraktionsvorsitzender der CDU in der BV VI, gibt allerdings zu bedenken: „Wenn die Flüchtlinge dann eingegliedert sind, werden sie sowieso nicht viel Geld haben, um teuere Wohnungen zu bezahlen - und laden somit automatisch wieder im Norden der Stadt Essen. Momentan ist es wichtig, dass wir zur Unterbringung geeignete Flächen für Flüchtlingsunterkünfte finden, damit nicht die Turnhallen belegt werden müssen.“

Marina: Kurz vor dem Abschluss, kurz vor dem Ende

Den Bezirk V schmerzt besonders das für den Bau des Prestigeprojekts „Marina Essen“ vorgesehene Gelände zwischen Nordstern- und Altenessener Straße sowie Rhein-Herne-Kanal. Seit inzwischen acht Jahren ist die Marina in der Mache, die Realisierung versprach eine Aufwertung des gesamten Umfelds und war deshalb eine der großen Hoffnungen der Lokalpolitik. „Es steht kurz vor einem Abschluss, die Investoren sind jetzt da“, weiß EBB-Ratsherr Schwamborn aus Gesprächen mit der Geschäftsführung des Projektentwicklers Strabag Real Estate. Zwar verspricht die entsprechende Ratsvorlage, dass der Bau der Marina nicht aufgegeben wird, aber: „Das geht nicht, denn es gibt nur einen Plan", erläutert Schwamborn. „Die Marina wird damit aufgegeben!" Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie attraktiv es für potenzielle Investoren wäre, neben einer der größten Asylunterkünfte der Stadt zu bauen.

Am Mittwoch, 27. Januar, im Rat

Auf dem Papier ist das Nord-Süd-Gefälle in Sachen Flüchtlingsfrage vielleicht wenig dramatisch, in der Realität sieht‘s anders aus: „Die Anzahl der vor Ort lebenden Personen mit Bezug von Sozialleistungen, die Berücksichtigung der bestehenden Infrastruktur, die Kinderarmut in sozial benachteiligten Stadtvierteln, die Haushaltslage der Kommune – all das spielt in der Flüchtlingszuweisung keine Rolle“, erläutert FDP-Chef Schöneweiß die komplizierten Verquickungen. Im Schnitt haben in den Nordstadtteilen rund 40 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund, gleichzeitig konzentrieren sich zwei Drittel der Menschen mit ausländischen Wurzeln dort.
Am kommenden Mittwoch, 27. Januar, gehen die Flächen in den Rat, danach wird der Vorschlag nach und nach in den einzelnen Sitzungen der Bezirksvertretung besprochen. „Der Punkt ist gekommen, wo wir im Essener Norden uns nicht mehr alles gefallen lassen!“, gibt sich Schwamborn kämpferisch. „Dann haben wir einen Aufruhr – und den werde ich anleiten!“

Auf einen Blick: Neue Flüchtlingsunterkünfte

Ehemals 15 Flächen
- Nordsternstraße (Marina), Altenessen, 800 Plätze
- Am Handwerkerpark, Katernberg, 800 Plätze
- Hövelstraße/Bäuminghausstraße, Altenessen, 800 Plätze
- Spielkampsweg/Hatzper Straße, Haarzopf, 600 Plätze
- Im Fatloh/Schacht Kronprinz, Bedingrade, 400 Plätze
- Lahnbeckestraße, Leithe, 400 Plätze
- Wallneyer Straße, Schuir, 400 Plätze

Städtische Flächen
- Antropstraße, Überruhr, 200 Plätze
- Barkhovenallee/Jacobsallee, Heidhausen, 200 Plätze
- Bruchstraße, Stoppenberg, 200 Plätze
- Neustraße, Borbeck, 200 Plätze
- Nöggerathstraße, Altendorf, 200 Plätze
- Nöggerathstraße, Frohnhausen, 200 Plätze

Text: Dirk Bütefür, Alexander Müller

Autor:

Alexander Müller aus Essen-Borbeck

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