Für Leseratten: Aus dem Märchenreich der Politik bis 1996 (3)

Kalter Kaffee aus den 90-er Jahren

(Fortsetzung)
Den größten Schnitzer leisteten sich die Politiker, als sie Bestimmungen erließen oder duldeten, die Billigimporte zuließen, ohne daß die Preise für eingeführte Waren durch Zölle oder Steuern dem Preisniveau vergleichbarer heimischer Produkte wenigstens angenähert wurden. Zu einem solchen Verhalten gab es keinen absoluten Zwang.

Ebenso schlimm war, daß Unternehmer ihre Produkte für den Binnenmarkt im Ausland unter Ausbeutung der dortigen Notlagen herstellen durften[16]. Auch für die Ermöglichung oder Duldung dieser Vorgehensweise, die ausschließlich dem Profit dient und europäische Arbeiter brotlos macht, gab es keinen Zwang.

Die gesamte Politik wurde wie an der Leine der Unternehmer gestaltet (Kellner des Kapitals[17]), deren Ziel es nicht war, Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen, sondern nur, möglichst fette Bilanzen zu erreichen. Selbst die „Erhaltung“ von Arbeitsplätzen benutzten Unternehmer zur Gewinnmaximierung. Sobald nämlich ein ausreichend großes Unternehmen ausgelaugt und heruntergewirtschaftet war, drohten sie nicht selten mit Stillegung und schnorrten „zur Erhaltung der Arbeitsplätze“ Subventionen, durch die sie in der Vergangenheit gezahlte Steuern eigentlich nur vom Staat zurückholten.

Daß Unternehmen nicht in Arbeitsplätzen, sondern in Profit denken, zeigt sich immer wieder. Zur „Schaffung von Arbeitsplätzen“ sollen wieder einmal die Unternehmenssteuern gesenkt werden. Dabei sind, wie auch das ARD-Morgenma-gazin berichtete[18], die Gewinnsteuerquoten in den Jahren der Kanzlerschaft von Helmut Kohl fast um die Hälfte von über 50 Prozent auf nahe 30 Prozent gesenkt worden. Das hat den Staat einige 100 Milliarden gekostet, die jetzt fehlen und auch als Schulden durch die Jahre geschoben werden. Weitere Steuersenkungen, so der Wirtschaftsminister Rexrodt, sollen bewirken, „daß unser Land attraktiv gemacht wird für Kapitalanlagen und Investoren“.

Dabei haben Steuersenkungen nur zu weiteren Gewinnmitnahmen geführt. Seit Anfang dieses Jahrzehnts stiegen die Unternehmensgewinne bis zu 15 Prozent, wogegen die Investitionen in Sachanlagen und damit verbundene Arbeitsplätze um 15 Prozent gesunken sind. Deshalb fragte das Morgenmagazin: „Wo bleiben die Gewinne, wo bleibt das Geld, das die Bundesregierung den Unternehmen schenkt?“ Es gab selbst die Antwort: bei Banken. Das Geldvermögen wachse in der Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr um ein Drittel; es gebe viermal mehr Barvermögen als vor vier Jahren[19]. Geld streike nicht, werde nicht krank und vor allem lasse es sich am Finanzamt vorbeimogeln: „Drei Viertel aller Gewinne aus Geldvermögen werden nicht versteuert.“

Wenn Journalisten eines Fernsehsenders das wissen, warum wissen es dann nicht die Politiker? Wissen sie es nicht, oder tun sie nur so, als wenn es nicht so wäre? Wenn Unternehmen weitere Steuererleichterungen erhalten sollen, wer zwingt sie denn, die dadurch steigenden Gewinne nicht zu den Banken zu tragen und dort arbeiten zu lassen, ohne daß die Unternehmer sich selbst mehr Arbeit aufladen? Wenn Geld als Geld mehr und bequemer Profit abwirft als durch die Investition in Arbeitsplätze, warum soll man dann Arbeitsplätze schaffen? Nur um sich den Kopf des Staates zu zerbrechen und Leute von der Straße zu kriegen?

Wenn wir jetzt in Gedanken zurückblättern und alles Bisherige auf einen einzigen Satz verkürzen wollen, müßte ungefähr herauskommen: In mehr als einem Jahrzehnt der bisherigen Regierung der BRD durften die Unternehmer tun, was sie wollten, konnten sie ihre Profite auf jede nur erdenkliche Weise steigern und ihre Steuerlast verringern, während der Nutzen der abhängig Beschäftigten und der Rentner abnahm und ihr Besitzstand sogar zweckentfremdet wurde.

Das belegt eindeutig, daß sich die Interessen des Kapitals (Grund-, Investitions- und Geldvermögen) bevorzugt durchsetzen konnten und die Interessen der Beschäftigten gefährlich beschädigt wurden.

Wer außer den Politikern und der sie beeinflussenden und sehr mächtigen Lobbyverbände ist daran schuld? – Niemand. Und wenn Minister am Rednerpult unsinnige Behauptungen aufstellen oder sich in der Öffentlichkeit gegenseitig beharken, wenn über Jahre als nutzlos erwiesene Methoden auf Geheiß der Regierungsbank fortgesetzt werden sollen, wenn Abgeordnete der Regierungsparteien diesen Methoden weiterhin zustimmen und entsprechende Gesetze auf den Weg bringen wollen – wo ist dann der Sachverstand des Parlaments, die persönliche Meinung oder Überzeugung des einzelnen Abgeordneten zu finden, der nur seinem Gewissen verantwortlich sein soll?

Die „Volksvertreterbefragung per Internet“ war ja nur ein Aufhänger, der Politik einmal auf den Zahn zu fühlen und einen Bogen vom Gestern über das Heute bis zum Morgen zu spannen.

Es ist schierer und „ungezügelter Kapitalismus“, vor dem der Papst in Slowenien warnte (weil er es wohl nicht gerade im prunkumrahmten Vatikan tun wollte).

Wir kommen nicht umhin, uns mit dieser Tatsache abfinden zu müssen, denn sie ist ohne einen ganz entschiedenen Schwenk – der nicht wahrscheinlich ist – nicht zu ändern. Wir selbst, sofern wir autofahren, geben jeden Tag dafür den Beweis ab. Denn einen Beleg dafür, wie sehr unsere Gesellschaft zu einer Bagage von Egoisten, einem ungeheuren Klüngel von rücksichtslosen Einzelkämpfern geworden ist, bietet der Straßenverkehr.

Während der täglichen Hatz durch den Verkehrsdschungel, beim erzwungenen Schmoren im Stau, zeigen die Bundesbürger, wes Geistes Kind sie geworden sind. Obgleich die durch ihre Kennzeichen zu ermitteln sind, fühlen sie sich anonym, sind sie verwachsen mit ihrem Fahrzeug, das sie als Teil von sich empfinden, als Potenzierung ihrer Gehwerkzeuge, als eine Art hypertrophierter Extremität. Und mit diesen Extremitäten treten sie in einen Wettkampf ein, zeigen sie sich ungehemmt als Primaten auf der Jagd nach der vielleicht letzten Banane.

Die vielen Deutungsversuche vieler Experten, warum sich der fahrende Bürger oft so unsinnig und gegen jede Vernunft handelnd im Straßenverkehr bewegt, geht an der Tatsache vorbei, daß das bemängelte Verhalten in Wahrheit völlig natürlich ist. Es entspricht der genetischen Prägung, die sich ohne das Gefühl, von der Gesellschaft wirksam kontrolliert zu werden, immer hemmungsloser austobt.

Was viele nicht so denken, aber in Wahrheit durch ihr Verhalten offenbaren: Sie wollen ja gar nicht autofahren und ihre Zeit auf der Straße vergeuden. Sie haben ein Ziel, an dem sie ihre Anwesenheit und ihre Tätigkeit fortsetzen wollen. Deshalb wollen sie am Ort A nicht mehr sein und sich so schnell wie möglich am Ort B befinden. Dazwischen liegt eine Strecke, die überwunden werden muß. Der Weg aus Strecke mal Zeit ist eigentlich nur ein Verlust. Zur Verminderung dieses Verlustes ist das Fahrrad besser als das Gehwerkzeug, das Motorrad besser als das Fahrrad, das Auto (rollendes Wohnzimmer) besser als ein Motorrad, das schnellere Auto besser als das langsame. Auch, so glauben wohl viele, ist in diesem Zusammenhang die schnellere Fahrweise besser als die gemächliche.

Ausschlaggebend für das Gedrängel im Straßenverkehr ist aber die genetische Veranlagung, jeden anderen, zu dem keine besondere soziale Bindung besteht, bei gleichem Tun als einen Konkurrenten anzusehen. Die Wegnahme von Verkehrsraum, das Vordrängeln und Einnehmen „besserer“ Positionen, soll die eigene Chance verbessern, vor dem Konkurrenten an eine mögliche „Beute“ zu gelangen. Das könnte, um es überspitzt, aber deutlich auszudrücken, an einer Staude die „letzte Banane“ sein, die demjenigen seine Überlebenschance verbessert, der sie als erster erreicht und verzehren kann.

Nichts anderes ist der Grund, warum wir uns im Straßenverkehr gegenseitig bekämpfen und ständig auszustechen versuchen: Wir sind permanent auf einer „Jagd nach der imaginären Banane“, obgleich die Vernunft uns etwas völlig anderes sagen könnte: „Du willst nur von A nach B und mußt dazu eine bestimmte Strecke überwinden, was dich einen bestimmten Betrag an Zeit kostet. Ob du jetzt drängelst oder nicht – es bringt dir keine bemerkenswerten Vorteile ein gegenüber einer gelassenen Fahrweise, die außerdem weniger gefahrenträchtig ist.“ Das könnten wir wissen und zum Maßstab unseres Verhaltens machen, doch etwas in uns, das wir nicht bewußt wahrnehmen, läßt uns anders handeln.

Könnten wir uns zum doppelten Preis eines Autos genetisch so verändern lassen, daß wir nur noch die Augen schließen und uns das Ziel, an dem wir sein möchten, vorstellen müßten, um in der nächsten Sekunde tatsächlich auch dort angekommen zu sein… – was würden wir tun? Augen zu, Teneriffa vorstellen, und schon sind wir da! Augen zu, das Brandenburger Tor vorstellen, und schon sind wir dort! Augen zu, die Couch vor dem Fernseher vorstellen, und schon sitzen wir drin! Wo würden wir unsere Mittagspause verbringen? Auf dem Times Square? An der Santa Monica Beach?

Leider haben wir nur unsere Füße, so schnell und so weit sie uns tragen. Weil das Auto schneller ist, lieben wir das Auto, denn es hilft uns, weniger Zeit durch die Bewältigung einer Strecke zu verlieren. Da uns ein schnelleres Auto wenigstens im Prinzip noch weniger Zeitverluste zumutet, fahren wir so schnell es geht, immer auf der Suche nach einer freien Spur oder einem Plätzchen weiter vorne – vor den anderen…!

Weil wir als Fußgänger drängeln, drängeln wir auch mit dem Auto. Und ebenso, wie wir beim Schlußverkauf ein Schnäppchen wähnen, das uns jemand wegjagen könnte, stürmen wir grundsätzlich nach vorn: die Augen weit voraus und die vermeintlichen Rivalen unauffällig im Blick. Neigt sich die Autobahn sanft ins Tal, um wieder anzusteigen und hinter der nächsten Anhöhe unsichtbar zu werden, treten wir erst recht aufs Pedal und hängen alles ab, was sich nicht wehren kann, denn hinter der Höhe – unsichtbar und nicht auszuschließen – könnte ja etwas sein, dessen Wert sich nur dem erschließt, der es zuerst erreicht.

Dabei haben wir es schwer, uns auf der mittleren und linken Spur bei fast völlig freier rechter Fahrspur nicht ins Gehege zu kommen. Kluges Ausnutzen auch der rechten Spur zieht kaum jemand in Betracht, denn diese Spur verrät nach der Hackordnung den Schwächsten, zu dem sich niemand freiwillig rechnen möchte. Nur der ganz Brutale, bewaffnet mit einem röhrenden Gefährt, schießt rechts vorbei und „zeigt es allen“. Wenn es zwar Geschwindigkeitsbeschränkungen gäbe, jedoch trotz drohender Strafen keinerlei Kontrollen – wer würde sich dann noch an die Schilder halten? Wohl nur die „Dummen“.

Der autofahrende Mensch empfindet auch als Fußgänger, als Schreibtischhengst, als frommer Kirchgänger, als lieber Kollege und erst recht als Vorgesetzter vom inneren Drang her nicht anders als hinter dem Volant. Und so, wie wir im Verkehr eine bürgerkriegführende Nation sind, sind wir es auch woanders[20]. Wer ständig im Mitmenschen nur den Konkurrenten wähnt, ihm alles neidet und nichts gönnt, kann nicht solidarisch sein, kann keinen „common sense“ entwickeln, will keine Gemeinsamkeit, die von allen erwarten könnte, den Riemen für eine Weile ein wenig enger zu schnallen. Er braust drauflos, denkt nur an sich, greift alles Greifbare und achtet nicht auf Schilder, die Solidarität verlangen, weil ihm keine Sanktionen drohen.

Opfer muß der bringen, der von der Natur her bereits Opfer ist: der Schwächere, der weniger Erfolgreiche, der Abhängige, der „ewig Dumme“, Gegängelte, stets übers Ohr Gehauene, dem ein soziales Staatswesen endlich eine Chance auf ausgleichende Gerechtigkeit, auf Menschenwürde und Teilhabe am Reichtum der Nation verschaffen sollte.

Dieses Staatswesen, gut gediehen, doch noch nicht vollendet, steht nun zur Disposition, muß zusehen, wie „Diedaoben“ mit der Abrißbirne auf „Diedaunten“ zielen, um sie an das alte Wort zu erinnern, daß auch nicht essen soll, wer nicht arbeitet. Wer keine Arbeit hat, ist selber schuld, denn nirgends ist verboten, Unternehmer zu werden und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wer immer nur am Rockschoß des Arbeitgebers herumquengelt, womöge noch von Gewerkschaften aufgewiegelt, die ihn sowieso nur für ihre eigenen Machenschaften und Machtgelüste mißbrauchen, muß endlich lernen, daß er das Schicksal von Unternehmern und Unternehmen zu teilen hat: Wo keine Aufträge sind, ist auch keine Arbeit, und wo keine Arbeit ist, braucht man auch keine Leute.

Und wenn beispielsweise dem Erfolgreichen, dem Wohlhabenden, zusätzliche Vorteile von Gesetzes wegen verschafft werden in der Erwartung, daß er Arbeitsplätze schafft, aber ohne den Zwang, es zu tun, bedeutet dieses nur einen Erfolg für seine Interessenvertretung, seine Gewinne ohne Mehrleistung noch weiter zu verbessern.

Das ist Catch-as-catch-can, gesellschaftliches Freistilringen jeder gegen jeden, Abwesenheit von Gemeinsinn. Diese Abwesenheit hat sich auf viele Institutionen übertragen, auf die „Organismen“, wie wir sie zu verstehen versucht haben. So sind in dem „Organismus“ EU (Europäische Union) die einzelnen Mitglieder selbst auch nur Organismen, ähnlich den Mitgliedern in einem Verein. Doch selbst in diese Organismen hat sich die Aushöhlung von Werten eingeschlichen, selbst in ihnen grassiert nur noch der pure Egoismus.

So hat Großbritannien nach dem Erkennen der BSE-Rinderseuche unverantwortlich viele Jahre die Zügel schleifen lassen und eine mögliche Gefährdung der Gesundheit von EU-Bürgern nicht nur ignoriert, sondern sogar geleugnet. Als das Gefahrenpotential erkannt wurde und gegen England ein Exportverbot verhängt wurde, war es kaum einzusehen, warum alle EU-Bürger jetzt zur Kasse gebeten wurden, den englischen Landwirten ihren vorwiegend selbstverschuldeten „Schaden“ tragen zu helfen. Doch damit nicht genug: Als den Engländern aufging, welches Ausmaß die Notschlachtungen annehmen und wie groß die Ausfälle durch das Exportverbot sich beziffern würden, forderte Premierminister Mayor „ultimativ“, die Ausfuhr von Rinderprodukten durchaus bedenklicher Art wieder zu erlauben. Andernfalls wolle Großbritannien alle EU-Entscheidungen blockieren. Diese Drohung wurde wahrgemacht. Als dann das Exportverbot gegen England verhängt wurde und die Briten große Mengen Vieh notschlachten mußten, hielten sie sich wiederum nicht an die EG-Auflagen und drosselten die Schlachtungen. Erste Stimmen in Brüssel und Straßburg forderten, die Engländer aus der EU zu feuern…

Die gesamte westliche Welt hat sich dem

Dschungelprinzip
verschrieben, das gewöhnlich als „Kapitalismus pur“ bezeichnet wird. Die einzigen Leute, die in der Bundesrepublik dagegen hätten angehen können, sogar dazu verpflichtet gewesen wären, sich gegen eine solche Entwicklung zu stemmen, schienen inzwischen „zu Bütteln der Arbeitgeber“ oder zu „Handlangern der Banken und Unternehmer“ geworden zu sein: die Politiker der Regierungsparteien während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl, aber auch die Mitglieder der Oppositionsparteien, die sich beispielsweise zur Aufrechterhaltung von „Konsens“ in Teilbereichen auf faule Kompromisse eingelassen und dadurch den Verfall bestimmter Grundsätze mit eingeleitet haben.

Jetzt stellt sich heraus, daß die Bundesrepublik lieber die Gefahr eines Aufruhrs in der EU hätte in Kauf nehmen sollen, als sich immer und immer wieder auf einen „gemeinsamen Nenner“ einzulassen, der gewissermaßen das schwächste Glied in der EU-Kette zum Maßstab nahm. Das soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Doch während sich die EU in ihrem eigenen Markt von Fernostländern die Butter vom Brot nehmen ließ[21], bliesen die Amerikaner gegen Dumpingpreise zum Kampf, wurden beispielsweise asiatische Produkte wie Fernseher und Videorecorder demonstrativ vor laufenden TV-Kameras öffentlich zerstört, erließ die US-Regierung Strafzölle, um den Markt und amerikanische Arbeitsplätze zu schützen.

Obwohl namhafte US-Firmen große Produktionen ins Ausland verlegten, gelang es der amerikanischen Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit auf knapp über fünf Prozent abzubremsen. Daß solches in Europa nicht gelang, liegt jedoch nicht an den Unternehmern, weil die Lohnstückkosten in Deutschland sehr hoch sind[22], sondern am Fehlen innovativer Leistungen. Gewinne wurden genug gemacht (siehe Seite 248). Trotzdem sanken die Investitionen drastisch (aaO).

Dabei hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben, beispielhaft für die ganze Welt neue Märkte aufzurollen und Arbeitsplätze zu schaffen. Eine davon wollen wir näher betrachten:

Es genügt keineswegs, auf die sogenannten Datenhighways oder Datenautobahnen zu setzen. Diese müssen erst zu solchen gemacht werden, die auch funktionieren und den mächtigen, ständig anschwellenden Datenstrom tatsächlich bewältigen. Dagegen wartet schon lange ein weiteres und dazu noch sehr großes Anwendungsfeld für Elektronik darauf, von urväterlicher Technik auf digitale Prozesse umgestellt zu werden.

Solch urväterliche Technik, deren Überleben auf die Dauer keine Chance mehr besitzt, begegnet einem jedem jeden Tag. Sie steckt in unseren Behausungen und verbraucht unangemessen viel Strom, den sie dadurch vergeudet. Es ist die simple Haustechnik, die am Stromzähler beginnt und im Küchenherd oder in der Gartenbeleuchtung endet.

Die Bemühungen, dieser Technik einen modernen Stempel aufzudrücken, laufen unter dem Begriff Gebäudeautomatisierung.

Eigentlich ist es heute eine Kleinigkeit, das Stromnetz in Häusern und einzelnen Wohneinheiten unter digitale Kontrolle zu bringen. Bei einem Neubau fallen die Mehrkosten nur mit rund 15 Prozent ins Gewicht. Da sind zu den etwa 8.000 bis 9.000 Mark Kosten bei einem Einfamilienhaus (einschließlich Verlegen von zahlreichen Leerrohren für verschiedene Zwecke) weniger als 1.500 Mark zu addieren.

Es gibt jedoch keinerlei Vorschriften dazu, daß etwa Neubauten gleich mit entsprechender Technik zu versehen sind. Solche Vorschriften wären bislang auch über die Streitereien um einen Standard gestolpert. Dabei wartet hier ein Markt von vielen Milliarden Markt auf seine Erschließung. Es gibt allein in Europa fast 150 Millionen Haushalte, die von der Digitaltechnik im Stromnetz profitieren könnten.

Wie immer, wenn es um Märkte und Profite geht, hatte sich die Industrie in den Haaren. Siemens wäre gern König mit seinem EIBA-System geworden, Daimler-Benz zusammen mit Philips und dem EHSA. IBM hätte gern mit LON den Markt abgestaubt. Von BatiBUS aus Frankreich gar nicht erst zu reden…

Mit welchem Bus-System auch immer: Es hätte sich in jedem Fall gelohnt, schon früher Einigkeit zu pflegen und auch schon Haushalte vermehrt auf digitale Füße zu stellen. Um den Luxus, von einer Zentrale aus im Keller das Licht ausschalten und während des Urlaubes irgendwelchen Langfingern ein belebtes Haus vortäuschen zu können, wäre es dabei nicht einmal gegangen. Digitalisierung hätte hier auch wesentliche Einsparungen im Sinne ökonomischen und ökologischen Umgangs mit Ressourcen bedeutet und kann es selbst jetzt noch bedeuten.

Nebenbei wären auch viele Bequemlichkeiten und Sicherheitsfaktoren abgefallen, die wir hier jedoch nicht im einzelnen erörtern wollen. Eine digitale Vernetzung des Privathaushaltes mit der Steuerung der gesamten Trivialelektrik steht irgendwann sowieso an, und für das Multimedia-Zeitalter mit seinem mannigfachen Möglichkeiten, aus dem Urlaub in fernen Landen auch den Zustand von Geräten im Haus abzufragen, ist sie Bedingung. Bedingung ist sie auch für die Weiterführung einer Vernetzung außerhalb des Hauses bis ins Wohngemach und dessen Nachbarräume.

Da ist es nur logisch, dem Datenhighway dessen Verwandten zur Kontrolle und Steuerung der gesamten Haushaltselektrik beizugesellen. Wer von beiden zuerst zur modernen Familie stößt, ist gleichgültig – gebraucht werden beide.

Machen wir eine „Milchmädchenrechnung“: Wenn die Aus- oder Umrüstung von 25 Millionen Haushalten pro Haushalt 5.000 Mark kosten sollte, ergäbe das in der Summe einen Umsatz von 125 Milliarden Mark. Es gibt aber in Europa fast sechsmal so viele Haushalte. Und wenn sich die Aus- oder Umrüstung auf die Hälfte verbilligen ließe, würde das im Endeffekt immer noch zu einem Umsatz von rund 350 Milliarden Mark führen – verteilt auf die Jahre der nächsten Zukunft.

Ein riesiger Milliardenmarkt! Der liegt da einfach nur herum, weil sich ausschließlich die Trüffelschweine der Industrie in ihm trollen, um die Claims abzustecken. Eine andere Möglichkeit angesichts des als sicher bevorstehenden Informationszeitalters haben wir schon angerissen (siehe Seite 28). Nichts kann die Bundesregierung daran hindern, mit einem derartigen Staatsprogramm vorzupreschen.

Man muß sich fragen, was „Programme“ nützen, wenn man sie nicht auflegt. Zur „Reinhaltung der Luft“ wurden gesetzliche Vorschriften erlassen, die den Katalysator erzwangen. Jetzt sollen Autos ohne Katalysator derart mit Steuern belastet werden, daß ausgerechnet den finanzschwachen Bevölkerungsteilen, die sich nur alte Autos leisten können, das Autofahren weitgehend unmöglich gemacht wird. – Freie Fahrt den Reichen? – Wie auch immer, der vorgeschriebene Katalysator führt nur zu einer anderen Art von Abgassystem mit vergleichsweise geringen Modifikationen des Systems Auto. Dadurch wurden kaum nennenswert zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Modelländerungen und technischer Fortschritt bedingen häufig viel weitgehendere Modifikationen.

Solche „Programme“, die den Namen kaum verdienen, führen nur zu einer veränderten Auslastung vorhandener Personalstämme. Echten Bedarf an Arbeitsplätzen können nur Programme bewirken, die gänzlich Neues schaffen, für das Arbeitskräfte benötigt werden. Und wirken können solche Programme nur, wenn sie Qualifikationen voraussetzen, die im Lager der Arbeitslosen reichlich zu finden sind. Sonst bleiben sie Papier.

Wir wollen zum Ende kommen.

Manchmal mag es scheinen, daß ich mich auf die eine oder andere Seite geschlagen und auch nicht „unparteiisch“ zitiert habe. Das wäre ein Mangel, den ich in Kauf nehmen muß. Es mag auch so aussehen, daß ich die „Frechheit einer Volksvertreterbefragung per Internet“ nur zum Vorwand genommen habe, mich in Wahrheit über etwas ganz anderes auszulassen. Auch einen solchen Vorwurf nähme ich gern in Kauf.

Aus dem, was ich mit brennenden Fragen im Herzen angefangen habe, ist zwar sehr wohl am Ende etwas ganz anderes herausgekommen. Das ist jedoch ein Ergebnis der Dynamik, die sich in das Schreiben dieses Buches gedrängt hat. Das ständige Stöbern im Internet, die unablässige Beobachtung der tatsächlichen oder ausgebliebenen Rückläufe aus meinen Anfragen, die unverhofft aufgetretenen technischen Aspekte beim eMail-System und auch die immer häufiger erkennbaren neuen Fragen und die Versuche, Antworten auf sie zu finden, haben die Arbeit an diesem Buch nicht zur Abarbeitung eines Planes werden lassen, sondern zu einer Abenteuerreise durch Probleme unseres Systems, die wir in der Hauptsache Politikern verdanken, weil sie die Rahmenbedingungen geschaffen haben oder notwendige Beschränkungen schuldig geblieben sind.

Von denen, die Fehler machen und immer wieder in ihre Positionen zurückkehren wollen, kann man am wenigsten erwarten, daß sie ihre Fehler zugeben. Eher, daß sie sie vertuschen oder leugnen. Offenlegung und Kritik kann man eigentlich nur von der „Gegenseite“ oder Betroffenen erwarten.

Wie sehr die Vertuschung auch schlimmster „Unregelmäßigkeiten“ zum Tagesgeschäft geworden ist, zeigte jüngst der Crash bei KHD (Klöckner-Humboldt-Deutz). KHD schob rund eine Milliarde Mark Schulden vor sich her (man muß sich fragen dürfen, wie ein „gesundes“ Unternehmen solcher Größenordnung eine Milliarde Schulden haben kann, wer da Mist gebaut und wer da trotzdem und warum Geld hineingesteckt hat). KHD brauchte und bekam Unterstützung. Die wäre wohl ausgeblieben, wenn bekannt gewesen wäre, wie es um die WEDAG AG stand, eine KHD-Tochter.

Von der WEDAG hieß es erst, daß da ein paar Milliönchen fehlten. Dann war von Verlusten in zweistelliger Millionenhöhe die Rede. Kurz darauf wurden die Millionen dreistellig. Es sollte sich um die „Verschleierung von Verlusten“ gehandelt haben. Endlich wurde eine Summe von 650 Millionen genannt. Die WAZ schrie es auf der Titelseite heraus[23]: „Bilanz-Betrug gefährdet Konzern KHD“.

Wo aber jeder Rolex-Dieb verhaftet worden wäre, wurde „gegen die Beteiligten“ Strafanzeige erstattet, wurden sie „beurlaubt“. 3.500 Arbeitnehmer der WEDAG gerieten in Panik. Und schon traten Funktionäre auf den Plan, die von Stadt, Land und Bund „finanzielle Hilfen“ forderten.

Leben wir in einem Tollhaus namens BRD?

Man stelle sich vor: Verrückte in einem Haus stecken alles in Brand, bis nur noch Schutt und Asche übrig sind. Aus welchem Grund sollen dann die Nachbarn sammeln und zusammenlegen, um den Verrückten ihr Haus wieder aufbauen zu helfen? Oder: Betrügerische Angestellte fälschen Bilanzen bei einer Gärtnerei, die deshalb vor der Pleite steht. Aus welchem Grund soll die Stadtverwaltung Geld geben, um die Pleite zu verhindern? Nach Informationen im Fernsehen soll die Stadt Köln aber ihre Bereitschaft zur Hilfe für den maroden Betrieb signalisiert haben.

Lug und Trug bei der Regierung, wenn man den Aussagen von Rednern der Oppodition traut. Lug und Trug bei großen Indistrieunternehmen, wenn man an Vulkan und KHD denkt. Lug und Trug bei Sport- und Medienkanonen… – Wo lauert und tarnt sich überall noch weiterer Lug und Trug, der bis jetzt nicht ans Licht gekommen ist? Ist alles nur noch auf Raub, Plünderung und Täuschung angelegt? Gehört die Irreführung zur Norm? Ist der Griff in fremde Taschen salonfähig geworden? Besteht das „Diedaoben“ nur noch aus Raubzeug?

Um mich nicht mit eigenen Worten aus der Affäre zu ziehen, will ich abschließend von der „Gegenseite“ einen SPD-MdL aus dem bayrischen Landtag zitieren[24]. Fritz Schösser lief offenbar zur gleichen Zeit wie Rudolf Dreßler, der im Bundestag den Rentenkonsens mit den Regierungsparteien aufkündigte, die Galle über:

„Die Reichen neiden den Armen mittlerweile den letzten Groschen. Verschämte Armut und unverschämter Reichtum spalten diese Gesellschaft. Starke entziehen sich immer mehr der Verantwortung, schwache Schultern müssen immer mehr Lasten tragen. … Eine Minderheit der Bevölkerung hortet immer mehr Kapital und Vermögen, während die Mehrheit immer mehr Steuern und Abgaben zahlen muß.“ – Droht eine neue Spaltung Deutschlands? Werden die Wohlhabenden bald nur noch in geschützten Revieren hausen und sich von schwarzen Sheriffs behüten lassen wie viele reiche Prominenz in Amerika?

Wie sehr der Staat sich als Dienstleister vor allem für die Mächtigen und Vermögenden versteht, zeigt sich auch bei Gelegenheiten, bei denen es nicht auf Anhieb auffällt. Als der superreiche Erbe Reemtsma entführt und gegen 30 Millionen Mark Lösegeld freigelassen war, veranstalteten die Ermittlungsbehörden eine riesige Treibjagd in ganz Europa. Deren Erfolg mußte einschließen, dem Freigekauften auch seine Millionen wieder zu beschaffen, soweit das Geld nicht futsch war. „Heiß gemacht“ war das Geld ebenfalls durch Aufzeichnung der Geldscheinnummern. Was aber hätte die Polizei unternommen, wenn irgendein Unbekannter entführt und gegen eine „geringe“ Summe wieder freigelassen worden wäre – etwa ein Kölner Vorstadtarchitekt, dessen Angehörige sein Haus verpfändet hätten, um einige hunderttausend Mark zusammenzukratzen? Wer kümmert sich um jene, die nicht irgendeine „Nummer“ in der etablierten Gesellschaft darstellen?[VII]

Und wen wundert es da noch, daß die eMail-fähigen Abgeordneten in Bonn wie auch ihre Nachwuchskader an sie gestellte Fragen fast einhellig ignorierten?

Es scheint eine Menge nicht nur ein wenig aus dem Lot geraten zu sein, scheinen „die Mächtigen“ immer unverschämter „die Sau rauslassen“ und sogar den „Bundeskanzler am Nasenring durchs Land“ führen[25] zu wollen.

Was hat das Parlament noch mit den Wählern zu schaffen? Zeigt eine Oberschicht – zu der sich wahrscheinlich auch die privilegierten Bundestagsabgeordneten der Koalition zählen – nicht deutlich, wie wenig sie noch mit einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung mit Blick auf „das Wohl aller“ zu tun haben will?[26] – Wann werden sich folglich nach den Nichtwählern auch die restlichen Wähler fragen, was sie noch mit diesem Staat zu schaffen haben wollen?

Nach der stur eingehaltenen Marschrichtung der Regierung in Bonn, die sich eindeutig auch in den Bundestagsdebatten am 23. und 24. Mai 1996 sowie in späteren Debatten offenbarte, mag die Frage bald nicht mehr lauten, ob es irgendwann knallt, sondern nur noch, wann es knallt. Zwar hat jedes Volk die Regierung verdient, die es hat. Doch es kann auch sein, daß eine Regierung plötzlich das Volk bekommt, das sie verdient. Und das kann bitter werden und ein teurer Spaß, für den natürlich am Ende nur wieder die „Kleinen“ zu bezahlen haben…

Während meiner Beobachtungen, bei denen das Internet eine wesentliche Werkzeugfunktion ausübte, beschlich mich immer mehr ein

Verdacht
- nämlich der, daß Männer in der Politik mehr unheil als Heil anrichten und daß Politik so viele unheilvolle Folgen hat, weil sie von Männern dominiert wird.

Was hat die Politik im Fall Ex-Jugoslawien bewirkt? Sie hat gedroht und zugesehen, wie Zigtausende unschuldiger Menschen dem Wahnsinn zum Opfer fielen. Nachdem Kulturdenkmäler zerstört, die Toten kaum noch zählbar und Massenhinrichtungen als nackter Völkermord erkennbar waren, taten die Politiker das, was sie schon Jahre zuvor hätten tun können. Durch jahrelanges Faseln und effektives Nichtstun wurden westliche Politiker im Verein mit ihren UNO- und NATO-Partnern mitschuldig am Tod vieler Tausender Zivilisten, die noch leben könnten, wenn vorhandene Machtmittel sofort eingesetzt worden wären, nachdem man mit ihnen gedroht hatte.

Was haben Politiker getan, als von ihnen selbst geschaffene Instrumente beim freien Welthandel zu wirtschafts- und sozialschädlichen Auswüchsen in ihren Heimatländern führten? Wie sie in der Bundesrepublik Deutschland der Probleme zu Lasten der Schwachen und Armen Herr werden wollten und wie sie dabei den Interessen der Mächtigen und Vermögenden entgegenkamen, zeigt dieses Buch wohl zur Genüge.

Männer neigen zum Kampf – …für sich selber. Sie neigen zum Kungeln – …mit den Alpha-Tieren. Sie verachten eher den Schwächeren und erst recht „den Schwächsten, den die Hunde beißen“ mögen. Männer analysieren oft lange, gründlich und umständlich, bis eine entsprechende Entscheidung schon nichts mehr nützen kann. Männer sind zu einem weit übergreifenden Konsens und zu Opfern nur fähig, wenn sie allesamt und wirklich ausnahmslos einer von außen auf sie zu kommenden Gefahr ausgesetzt sind.

Frauen in exponierten Stellungen dagegen vertrauen ihrem Instinkt. Sie handeln oft intuitiv und beraten sich gern mit anderen. Was sie tun, wollen sie gut tun. Sie stellen Leistungen, mit denen möglichst viele Betroffene zufrieden sein können, in den Vordergrund. Sie wollen Vertrauen und vertrauenswürdig sein. Frauen interessieren sich auch für die Gefühlswelt anderer, für deren familiäres Schicksal, das Wohlergehen von Angehörigen. Frauen betrachten besser in Zusammenhängen, achten mehr auf die Tragweite ihrer Entscheidungen und tun, wenn sie die Wahl haben, eher dem Stärkeren, der sich zur Not helfen kann, als dem Schwächeren weh, der sich nicht zu wehren wüßte.

Anders mag es bei etlichen Frauen sein, die nicht als Töchter, Partnerinnen oder Mütter eine Familie oder intakte enge Beziehungen erfahren haben. Es mag auch noch andere Frauenschicksale oder Werdegänge bei Frauen geben, die Frauen danach streben lassen, „ihren Mann zu stehen“ und Mannhaftigkeiten nachzueifern. Sie tragen nicht das Frauenbild mit, das sich in dieser Welt schon oft als heilsam erwiesen und von Männern Zerstörtes wieder gerichtet hat.

Die eklatante Unterrepäsentation von Frauen in der Politik könnte das größte Übel sein, unter dem die Selbstorganisation der Menschheit leidet und so viel Leid über die gesamte Menschheit gebracht hat.

Wo sind die Frauen in diesem Buch?

Sie wurden nicht gefunden.

Es gibt jedoch eine weiterreichende Möglichkeit, die nicht gerade glücklichen Entwicklungen besonders in den reichen Gesellschaften zu bewerten. Dazu drängt sich ein

Vergleich mit Krebs
auf, mit einer Geißel der Menschheit, die insbesondere als Brust , Lungen , Darm , Blut oder Hautkrebs vielen Menschen Leid und oft frühzeitigen Tod gebracht hat.

Kann man Krebs als den natürlich vorkommenden Prototyp einer Art von „Erkrankung“ betrachten, die sogar eine Gesellschaftsform befallen kann?

Man kann.

Schon Rudolf Virchow[27] ging davon aus, daß in einem Zellverband, wie ihn auch der Mensch darstellt, jede Zelle von wesentlicher Bedeutung sei. Die Zellen mögen unterschiedliche Aufgaben haben. Sie mögen in unterschiedlichen Organen spezialisiert sein. Auch mögen gewisse Organe von höherer Bedeutung sein und andere von geringerer. Manche mögen die Funktion des Organismus nicht sehr stark beeinträchtigen, selbst wenn sie selbst stark geschädigt sind. Für einen gesunden Organismus ist jedoch wichtig, daß möglichst alle Zellen intakt sind.

Dies alles ist leicht einzusehen. Es läßt sich aber auch auf einen Betrieb übertragen. Ein Staatsmann hat einmal gesagt: „L’etat, c’est moi!“ – der Staat, das bin ich! – und viele Chefs mögen der Meinung sein: „Der Betrieb, das bin ich!“ Aber am bequemsten bei kleineren Betrieben kann man erkennen, daß das nicht stimmt. Wie beim Menschen, dessen Zellen, Organe und Gliedmaßen für das „Be-triebsergebnis“ zusammenwirken müssen, läßt sich auch ein Gewerbebetrieb in seine „Organe“ und „Zellen“ zerlegen.

Bei einem kleineren Betrieb kann alles bereits ins Wanken geraten, wenn die mitarbeitende Ehefrau ausfällt, die etwa die Korrespondenz, das Rechnungswesen und die Buchhaltung betreut. Bei einem Sanitär- oder Klimaunternehmen zum Beispiel ist ein weiteres Funktionieren nicht denkbar, wenn alle Monteure wegbleiben, wichtige Spezialwerkzeuge fehlen, die Fahrzeuge ausfallen oder lediglich kein Treibstoff zur Verfügung steht. Dagegen mag alles durchaus eine Weile weiterlaufen, wenn das „Gehirn“, der Chef, eine gewisse Zeit abwesend ist.

Ein Betrieb ist immer ein Ganzes, bei dem alles einschließlich aller Kleinigkeiten eine geplante Funktion hat und bestimmte Voraussetzungen erfüllen muß. Nicht anders ist es beim Menschen. Worin nun unterscheiden sich ein Volk, ein Staatswesen von einem Betrieb? [28]

Eigentlich in nichts. Es ist ja auch nicht neu, ein Volk oder Staatswesen als „Organismus“ zu betrachten, der wie ein individueller menschlicher Organismus funktioniert. Wir hatten dieses schon ab Seite 244 angeschnitten. Wie aber mag man verschiedene unerwünschte Befindlichkeiten eines solchen Organismus diagnostizieren und bezeichnen? – Gehen wir es behutsam an.

Wenn wir uns vorstellen, daß bei einem Menschen bestimmte Bereiche stark unterernährt werden, während andere durch Überversorgung verfetten und sich blähen, können wir kaum zu dem Schluß kommen, das sei in Ordnung so. Gerade bei der Erhaltung von Gesundheit gilt die Maxime „ausgewogen“ – also angemessen, bemessen, überlegt und kontrolliert. Ausgewogenheit ist sowohl Grundlage wie auch Ziel: Alles soll einen optimalen Zustand erreichen.

Der Krebs bringt diese Ausgewogenheit durcheinander. Er bewirkt gestörtes Zellwachstum, wuchert durch ein Organ oder beschädigt und beeinträchtigt lebenswichtige Bestandteile. Dadurch nehmen Funktionen und Ausgeglichenheit so erheblichen Schaden, daß letztlich der Tod eintritt.

Ist unsere Gesellschaft „krebskrank“[29]? Kann man die Folge bestimmter Entwicklungen als eine Art „social cancer“, als „Sozialkrebs“ bezeichnen? Kann man es als krebsartige Wucherung bezeichnen, wenn ein kleiner Teil der Gesellschaft in rücksichtsloser Weise die Macht, die Ressourcen, überschäumende Kaufkraft und üppigen Wohlstand an sich rafft, während ein wesentlich größerer Teil (oft sogar als direkte Folge davon) unterversorgt wird? Ist es hinnehmbar, daß Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit immense Schäden anrichten und folgenlos bleiben dürfen?[30]

Oft wird von Neid oder gar von Sozialneid gesprochen, um das Recht zu verteidigen, daß jeder einheimsen darf, so viel er will. Nicht beantwortet ist damit die Frage, ob dieses „Recht“ sozialschädlich ist. In vielen Beiträgen (ganz besonders im Internet) wird immer wieder darauf hingewiesen, daß soziale Unausgewogenheiten oder Benachteiligungen bei den Betroffenen zu echten Krankheiten führen. In der heutigen Informationsgesellschaft mag das auch damit zusammenhängen, daß diese Betroffenen wissen, welche Personen oder Gruppen sich antisozial verhalten, warum deren Verhalten als antisozial gewertet wird und weshalb sie ihr Schickal als unbillig zugefügtes Unrecht empfinden können[VIII].

Aber wenn alte Teddybären Preise von 30.000 oder 40.000 Mark erzielen und es Sammler gibt, die solche Beträge auf den Tisch legen, nur um einer persönlichen Lust zu frönen und ihre Sammelwut zu stillen, muß die Frage erlaubt sein, ob derjenige, der so viel Geld für einen alten Teddybären ausgeben kann, dieses Geld trotz rechtmäßigen Erwerbs keineswegs „verdient“ hat.

Wenn alle Welt über Ozonlöcher und Treibhauseffekte klagt, wenn die Autos als schlimme Ozonkiller verteufelt und alle Benutzer zu Vernunft und Bescheidenheit aufgerufen werden, ist es dann nicht schizophren, daß immer mehr schwere Luxuslimousinen produziert und bezahlt werden, die viel Treibstoff verbrauchen und trotz Katalysator viel Umweltgift erzeugen und Energie verschleudern? Wenn jemand mit einem Auto zu 50.000 Mark ausreichend bequem und schnell fahren kann, ist ein Auto zu 100.000 Mark oder mehr dann nicht ein Zeichen dafür, daß er zu viel Geld zwar rechtmäßig erworben, jedoch nicht „verdient“ haben mag? Ist eine Armbanduhr zu 30.000 oder 40.000 Mark noch „normal“ oder vielleicht schon „unsozialer“ Luxus?

Wenn die Mehrzahl der Menschen, die arbeiten und Geld verdienen, brav ihre Steuern zahlt, weil diese bereits vom Arbeitgeber als Vollzugsorgan des Staates abgezweigt werden, ist es dann vertretbar, daß dieser Arbeitgeber rechtens sein Steuerschicksal frei gestalten und dem Staat sogar um so weitgehender die Steuern vorenthalten kann, je mehr Überschüsse er erwirtschaftet?

Wenn ein kleiner Teil der Gesellschaft (der oft als „Creme“, als Ober- oder Führungsschicht bezeichnet wird) wuchernd sich aufbläht, sich die Verfügbarkeit verschiedener Lebens- und Entfaltungsgrundlagen überproportional zueignen und reservieren darf, wenn immer größere Teile der gleichen Gesellschaft Not leiden müssen, weil sie von eben jener „Creme“ als überflüssig ausgesondert oder anderweitig vernachlässigt wurden, wenn vorsorglich installierte Sicherungssysteme nur noch unzureichend greifen und selbst in hohem Maße notleidend zu werden drohen – darf man dann von Unausgewogenheit sprechen, von Diskrepanzen, die bei einem Organismus als „Krankheit“ bezeichnet werden? (Ralph Nader hatte schon 1992 einen Katalog von „Krankheiten“ und eine Agenda zu deren Bekämpfung aufgestellt; Auszug siehe Seite 414[IX])

Wenn der SPD-Bundestagsabgeordnete Joachim Poß von einem „sozialen Bürger-krieg“ spricht (siehe Seite 73), könnte er damit nicht einen bedrohlichen Zustand umrissen haben, dessen Ursache man auch eine Krankheit nennen könnte, eine „soziale Erkrankung“ eben oder auch „social cancer“?

Wer das schlimme Wort Krebs vermeiden und nach einem anderen Bild von krankhafter Beeinträchtigung suchen möchte, die einem Organismus schweren Schaden zufügen kann, mag sich vielleicht mit dem Wort Parasit anfreunden. Parasiten sind von innen oder außen wirkenden Substanzdiebe. Es ist kaum zu bestreiten, daß bestimmte Bestandteile der Gesellschaft parasitär agieren können, weil ihrem Profit keine adäquate Leistung gegenübersteht, sondern nur das erlaubte Ausschöpfen von Gelegenheiten. Diese Teile handeln jedoch nicht von außen („exogen“), sondern von innen, sind also eher wie Bandwürmer. Bandwürmer sind jedoch nicht körpereigene fremde Lebewesen. Weil die Erkrankung des Organismus namens Gesellschaft, Volk oder Staat aber von ausufernden eigenen Zellen („endogen“) verursacht wird, drängt sich doch eher das Wort Krebs oder Sozialkrebs als treffende Charakterisierung auf.

Das Bild des Krankhaften in der Gesellschaft wird am deutlichsten durch dessen Gegenteil, das Bild des Gesunden, das ein möglichst einträchtiges Zusammenwirken aller Zellen in einem Organismus voraussetzt. An diesem Zusammenwirken fehlt es: Ganze Gruppen der Gesellschaft wirken nicht zusammen, sondern heftig und feindselig gegeneinander.

Schlimmer noch: Sowohl evolutionsbiologisch wie auch geschichtlich läßt sich nachweisen, daß organisierte Daseinsformen nach immer höheren, komplexeren Anordnungen streben. So ist es eine fast „natürliche“ Entwicklung, das sich als größere Einheiten Verbände bilden, die neue Ziele erreichbar scheinen lassen. Dazu gehören etwa UNO, NATO oder auch die EG. Solcherart weiterentwickelte und höhere Organisationsmuster bilden dann selbst einen Organismus, auf den die Kriterien für vorausgegangene Organisationsformen wieder zutreffen. Entsprechend können auch hier Störungen eintreten, wie sie in untergeordneten Einheiten zu beobachten sind, können auch hier einzelne „Zellen“ oder Zellverbände durch ihre Entwicklung zu einer „Erkrankung“ führen.

Ein schlagendes Beispiel liefert England.

In England haben Landwirte die Rinderseuche BSE auf die leichte Schulter genommen und es um ihres Profites willen an der notwendigen Gewissenhaftigkeit fehlen lassen. Die englische Regierung hat in einer skandalösen Weise der grassierenden Seuche nur sehr unzureichend entgegengewirkt und sogar versucht, die Bedrohung für große Bevölkerungsteile in Europa herunterzuspielen. Als die Seuche auszuufern schien und die europäische Gemeinschaft drakonische Maßnahmen gegen England verhängte, drohte England mit der Blockade anderer EG-Interessen. Später ließ der englische Ministerpräsident John Mayor durchblicken, England müsse vielleicht sein Engagement in der EG und besonders die Währungsunion überdenken – also notfalls ausscheren.

Für den kleinen Mann stellt sich der Skandal noch toller, wie aus dem Irrenhaus, dar. Als durch den leichtfertigen Umgang mit der BSE-Seuche die englischen Rinder weitgehend unverkäuflich wurden und nach einem Beschluß der EG in großer Zahl vernichtet werden sollten, stellte sich England beträchtlich quer. Die englischen Landwirte taten sogar, als sei die Seuche über sie gekommen wie ein Erdbeben oder eine Eiszeit, und jammerten nach Schadenersatz aus den EG-Töpfen, der ihnen auch gewährt wurde. Weil der Verbrauch von Rindfleisch im EG-Europa drastisch absoff, gerieten – etwa in Deutschland – auch jene Landwirte in arge Drangsal, die nach besten Kräften gesundes Vieh produzierten und sich seit langem gegen die englische Laschheit verwahrt hatten. Nun wollten und sollten auch sie entschädigt werden, aber bei nachweislichen Verlusten von etwa 300 Mark pro Tier mit einer Entschädigung von weniger als 20 Mark zufrieden sein.

Man könnte noch unzählige Beispiele dafür anführen, wie „Freiheit“ und „Demo-kratie“ in einem kapitalistisch organisierten Staatswesen oder Staatenverbund zu „Unausgewogenheiten“ führen, die zu dem Attribut „sozial“ oder „human“ in einem vehementen Widerspruch stehen. Es gibt Kritiker, die hier von eingebauten Systemfehlern sprechen, aber doch wohl übersehen, daß niemand von den jeweils regierenden Politikern per Verfassung oder Gesetz gezwungen wird, solche Webfehler zur Norm werden zu lassen. Der tatsächliche Webfehler liegt eher in einem schädlichen und mißbräuchlich genutzten Konsens aus der „Kumpanei von Kabinett und Kapital“ (siehe auch Zitat auf Seite 218), bis sich der Interessenwucher einzelner Zellen oder Zellverbände schädlich auf den gesamten Organismus auswirkt.

Dieser Interessenwucher innerhalb eines völkischen oder staatlichen Gesamtorganismus dürfte tatsächlich dem entsprechen, was man am treffendsten mit „sozialer Krebserkrankung“ umreißen kann. Demgemäß schlimm dürften auch die Folgen werden.

Politiker scheinen umso unfähiger zu sein, Probleme aus und in großen Zusammenhängen zu lösen, je komplexer die ihnen durch gesellschaftliche Vereinbarung anvertraueten Gegenstände strukturiert sind. An Größe und Komplexität sind in der Geschichte schon viele Staatswesen gescheitert. Der Weg, innenpolitische – also binnengesellschaftliche – Probleme durch Krieg mit einem anderen Staat zu vertuschen, dürfte heute weitgehend versperrt sein, zumal Nachbarstaaten, mit denen sich ein Krieg anzetteln ließe, heute oft zu Partnern in übergeordneten Gemeinschaften zählen. Auch ist die Plünderung der Speisekammern wohlhabender Nachbarn zur Linderung eigener Not längst durch gegenseitige Verträge erschlossen.

Es bleibt nur übrig, belastende Symptome der sozialen Krebserkrankung zu schlucken und durchzustehen oder deren Ursachen in einem noch nicht erkennbaren Konsens zu bekämpfen. Im politischen Raum und in den Medien wird immer wieder dargestellt, daß die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, daß die industrielle Verschwendung im großen Maßstab weitergeht, derweil lächerliche Spareffekte vom kleinen Mann sogar gesetzlich abgenötigt werden, daß die Wahrnehmung von Rechten immer ausgeprägter nur noch den Wohlhabenden zugute kommt und den Unbemittelten schon wegen der Desorganisation von Gerichten vorenthalten wird. Während die Not unzähliger Menschen in der Bundesrepublik und auch in Nachbarstaaten ständig zunimmt, werden insbesondere Rüstungshilfen an fremde Staaten (als Unterstützung mit Werkzeugen zur Tötung oder Unterdrückung von Menschen) weiter gewährt und damit erhebliche Teile des Volksvermögens der Linderung von Not im eigenen Land entzogen.

Der auf Seite 190 schon herangezogene „Stammtischdeutsche“ hält das nicht aus. Aber man sollte sich auch fragen, ob der sogenannte „Stammtischdeutsche“ nicht nur erfunden wurde, um den Normalbürger zu diffamieren und ihm eine offen ausgesprochene Meinung auch dann zu verleiden, wenn sie begründet ist.

Nicht einmal berücksichtigt ist bis jetzt, welches Unrecht der nächsten Generation angetan wird, den Kindern und Jugendlichen. Ein kleiner Hinweis ist bereits in einer Endnote gegeben worden (siehe Seite 414). Die Entwicklung der Kriminalität und der Jugendkriminalität im Besonderen, die dramatischen Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit bürden schon der nächsten Zukunft nicht nur des deutschen Volkes fast unlösbare Probleme auf. Die Ursachen für diese Entwicklungen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem maßlosen Egoismus einer rücksichtslosen, verästelten „polyarchischen Kaste“, wie man den dominanten Teil der Bevölkerung schon nennen muß, um ihn treffend einzuordnen.

Wenn ein großer Teil der Jugend ohne Hoffnung verwahrlosen muß, wenn die gewohnte Einordnung in das Erwerbs- und Gesellschaftsleben nicht stattfinden kann, wenn für Lebensabschnitte wie Ehe und Elternschaft die sichere und geordnete materielle Grundlage ausbleibt, wenn einer Lebensplanung bis hin zum vielleicht ersehnten Häuslebau der Boden genommen wird, ergreifen Enttäuschung, Ängste, Gefühle des Betrogenseins, unkontrollierbare Emotionen, Anarchie und Ausweichstrategien zum Überleben Besitz von den jungen Seelen.

Verlorengehende Achtung der Rechtsordnung führt auch zu abnehmendem Respekt vor Mitmenschen, läßt den Besitz der anderen zunehmend im Licht möglicher Beute erscheinen. Sofern schon die Elternhäuser kaputt waren oder sind und es an Geborgenheit fehlte, kann keine Reparaturmaßnahme den schon im Kleinkindstadium zugefügten Schäden mehr beikommen. Bereits in Kindheit und Jugend aufgebaute und weiter sich anstauende Neid- und Haßgefühle[31] leiten zur Betrachtung der bessergestellten Gesellschaftsteile als „Feind“.

Noch nie haben Arme grundlegende und andauernde Politik bestimmt. Stets waren es die Besitzenden und Privilegierten (denen auch der Besitz besonderer Bildung zugutekam), die den Lauf der politischen Geschicke nachhaltig gestalteten und zu ihrem Vorteil wendeten. Die gegenwärtigen Inhaber der Macht haben zu deutlich erkennen lassen, auf wessen Seite sie letztendlich stehen, wenn es zum Schwur kommt (Stichwort „Kanzlermehrheit“). Zudem haben sie in allen Bereichen versagt, die dem Schutz vor einem Abgleiten der Jugend in Hoffnungslosigkeit hätten dienen können… – einer Jugend, die zwangsläufig zur tragenden Säule einer neuen Generation zu werden hat, ob sie will oder nicht. Was dieser fehlt, hat sich als Luxusgut oder gesellschaftsschädliche Vermögensanhäufung in den Händen weniger angesammelt, die sich als Zellen und Zellverbände im Gesamtorganismus aus der notwendigen Disziplin gelöst haben.

Das soziale Krebsgeschwür, das sich im Volksorganismus ausgebreitet hat, ist keine neue Erscheinung. Es gab sie immer schon. Es hat seine Ursache in der jedem Menschen innewohnenden Gier, die zwar aus seinem Lebens- und Überlebenstrieb stammt, mit zunehmendem Erfolg aber ins Maßlose ausartet. Das war zu allen Zeiten bei nahezu allen Menschen mit einem außergewöhnlichen Erfolg so. Der Anhäufung über das Notwendige hinaus folgt meist die Unersättlichkeit.

Gegen die sozialschädlichen Auswirkungen von Macht und Kapital stellten sich in der jüngeren Geschichte mehrere Revolutionen – doch nur augenscheinlich mit Erfolg. Was die französische Revolution zumindest auf dem Papier erreichte (Frei-heit, Gleichheit, Brüderlichkeit) soll im Prinzip auch die Grundlage aller demokratischen Verfassungen bilden. Bei einigen kam noch die Attribut „christlich“ oder „human“ hinzu. Was daraus wurde, stellte sich in beängstigender Übereinstimmung überall dort heraus, wo ein System über einen langen Zeitraum stabil blieb und die einflußreichen Kräfte Gelegenheit fanden, sich zu sammeln, zu verflechten und abzuschotten. So kann es auch geschehen, daß ein Kanzler „hoch über des Volkes Gewimmel“ (Süddeutsche Zeitung; siehe unter „Dokumentation“, Seite 276) das Gefühl für den Zweck verliert, dem seine Firma (die Regierung für und nicht gegen das Volk) eigentlich dienen soll.

Virchow läßt grüßen.

Wer es nicht ertragen kann, den gesellschaftlichen Organismus des deutschen Volkes als „krebskrank“ anzusehen, mag sich damit trösten, daß in dieser Hinsicht die gesamte westliche Welt krank ist.

Aber Deutschland ist schlimmer dran als manch anderer.

Nachsatz (nicht im Buchmanuskript enthalten):
Werden wir eines Tages in Geschichtsbüchern lesen, dass nach dem “NAZI-Regime” ein “Merkel-Regime” dem deutschen Volk zu einem lange nachwirkenden Desaster gereichte? – Das Zeug dazu hat Merkels Hörigkeit gegenüber dem durchgeknallten Kapitalismus ja durchaus. Und Merkels Schonung des räuberischen Bankwesens mag von deutschem Dünkel ausgehend wieder ganz Europa in einen Abgrund reißen.

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Startseite: http://www.lokalkompass.de/284382

Autor:

Manfred Schuermann aus Essen-Ruhr

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