Alles, was recht ist - Dr. Andreas Freislederer ist Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin des Essener Uniklinikums

Dr. Andreas Freislederer ist Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Essen. Viele Obduktionen hat er im Laufe der Jahre bereits durchgeführt. Unter anderem auch an Jürgen Möllemann. Hier notiert er das Gewicht der entnommenen Organe, das Rückschlüsse auf die Todesursache zulässt. Fotos: P. de Lanck
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  • Dr. Andreas Freislederer ist Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Essen. Viele Obduktionen hat er im Laufe der Jahre bereits durchgeführt. Unter anderem auch an Jürgen Möllemann. Hier notiert er das Gewicht der entnommenen Organe, das Rückschlüsse auf die Todesursache zulässt. Fotos: P. de Lanck
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Auch Tote können noch Geschichten erzählen: die eigenen. Rechtsmediziner sind ihre Chronisten. Dr. Andreas Freislederer arbeitet seit über 30 Jahren in der Rechtsmedizin. Kriminalfälle mit aufzuklären, ist ihm ein Anliegen - vor allem, wenn es um die Schwächsten geht, die sonst keine Lobby haben.

Der Weg zur Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Essen führt vorbei an Feldern, Weiden und blühendem Raps. Wenig später steht man dann im gefliesten Sektionssaal: ein echtes Kontrastprogramm. Über 600 Obduktionen werden hier pro Jahr durchgeführt.
Dr. Andreas Freislederer ist Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin, welches für die Landgerichtsbezirke Essen und Bochum, also das gesamte zentrale Ruhrgebiet, zuständig ist. Untergebracht ist es am Tüschener Weg in Essen-Heidhausen, also vor den Toren der Stadt.  "Da hat man von Fall zu Fall schon mal etwas weitere Anfahrtswege", beschreibt Freislederer seine tägliche Arbeit. Zusammen mit dem insgesamt sechs Ärzte umfassenden Team des Instituts tritt er auf den Plan, sobald es sich um eine unklare Todesart bzw. einen nicht natürlichen Tod handelt. Polizei und Staatsanwaltschaft entscheiden, wann die Essener Rechtsmediziner ins Spiel kommen.
"Wir fahren im Einzelfall auch zum Tatort und schauen uns dort um", erklärt der Mediziner, der sein Handwerk an der Uni Tübingen gelernt hat und eigentlich plante, als Landarzt in den Bayrischen Wald zu gehen. "Doch da hat sich meine Frau eingeschaltet", betont er mit unverkennbar bayrischem Akzent. So entschied er sich für eine Laufbahn in der Rechtsmedizin, die ihn schließlich ins Ruhrgebiet führte.
"Unser Job ist es nicht nur, Leichen zu sezieren", ist ihm wichtig, "neben den Obduktionen beschäftigen wir uns auch mit rechtsmedizinischen Untersuchungen: zum Beispiel bei Gewaltopfern, die überlebt haben, oder mißhandelten Kindern." Auch Vaterschaftstests oder Abstammungsgutachten gehören zum Handwerk. Das dritte Standbein ist der Bereich Forschung und Lehre. "Wir sind an eine Universität angegliedert. Junge Studenten mit auszubilden, macht mir großen Spaß!", betont Andreas Freislederer.
Dennoch gehört der Tod natürlich zum Alltag des Mediziners, der täglich im Sektionssaal steht. Hinter neun Kühlkammern wartet die Arbeit, die sich jeden Tag anders gestaltet. Los geht es dabei jedesmal mit einer sogenannten Drei-Höhlen-Obduktion: Kopf-, Brust- und Bauchhöhle. Dann werden die einzelnen Organe gewogen und alles im Anschluss genauestens dokumentiert.
Natürlich kennt Freislederer die einschlägigen Krimiserien rund um die Rechtsmedizin. Davon gefällt der Münsteraner Tatort allenfalls seinem Chef: "Der kommt aber auch aus Münster." Ansonsten ist Freislederer kein Fan. "Früher habe ich ab und an mal Quincy geschaut", erinnert er sich und amüsiert sich darüber, dass im Vorspann stets alle umfallen, sobald das Skalpell gehoben wird.
Vor allem das Münsteraner Tatort-Ermittlerpaar Frank Thiel und Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne pflegt häufig recht flapsige Dialoge bei der Leichenschau, die den Witz der Serie ausmachen. "Wir sind hier ab und an zwar auch recht locker, sonst würden wir vieles vielleicht auch gar nicht aushalten", mutmaßt Andreas Freislederer, "aber natürlich geschieht das alles im Rahmen der gebotenen Konzentration!"

"Quincy habe ich damals geschaut"

Je nach Fall können Obduktionen auch schon mal viele Stunden dauern: "Wir hatten neulich einen Fall mit über hundert Messerstichen. Da mussten wir jeden einzeln untersuchen - das dauert dann natürlich!"
Auch Autounfälle erfordern Akribie: "Die Knochenbrüche müssen genau untersucht werden, um den Unfallhergang rekonstruieren zu können. Spezielle Keilbrüche geben Aufschluss über die Richtung, aus der eine Kraft auf den Körper eingewirkt hat - zum Beispiel die Seite, von der das Fahrzeug kam." Hier sind Zeugenaussagen oftmals widersprüchlich und nur der Rechtsmediziner kann klären, wer sich letztendlich richtig erinnert.
Moderne Toxikologie und die forensische Genetik helfen den Rechtsmedizinern bei ihrer Arbeit: "Hier hat sich in der vergangenen Zeit unglaublich viel getan!"
Gibt es Fälle, die Freislederer nach so vielen Arbeitsjahren noch aus der Fassung bringen? "Aber ja doch!", entgegnet er. "Wir sind ja selbst aus Fleisch und Blut!" Vor allem Kinder, die gewaltsam zu Tode gekommen sind, machen ihn wütend, "das sind die Schwächsten, die keine Lobby haben!" Andererseits ist es ihm in solchen Fällen besonders wichtig, seinen Beitrag zur Aufklärung des Falles leisten zu können und dafür zu sorgen, dass die Schuldigen bestraft werden. "Meine Frau und meine Familie fangen mich zuhause auf, falls ich so einen Fall dann doch mal mit nach Hause nehme. Ansonsten muss man das, was wir hier tun, aber als reine Arbeit betrachten! Im Laufe der Zeit entwickelt man dann ein kriminalistisches Gespür und Spaß am Tüfteln", stellt der Mediziner an sich selbst fest.
Hat die Rechtsmedizin seinen Blick auf den Tod verändert? "Eigentlich nicht", entscheidet der Oberarzt. "Ich bin ein gläubiger Mensch, das spielt sicher eine Rolle." Doch seine Einstellung zum Leben habe sich gewandelt: "Wann es endet, ist nicht vorhersehbar. Man sollte das Leben also unbedingt genießen, es kann so schnell vorbei sein!"

Dr. Andreas Freislederer ist Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Essen. Viele Obduktionen hat er im Laufe der Jahre bereits durchgeführt. Unter anderem auch an Jürgen Möllemann. Hier notiert er das Gewicht der entnommenen Organe, das Rückschlüsse auf die Todesursache zulässt. Fotos: P. de Lanck
Mit dem Skalpell wird die Wahrheit Stück für Stück freigelegt. Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.
Autor:

Petra de Lanck aus Essen-Süd

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