Asyl Hamburger: "Keine Sekunde Privatsphäre"

Im Familienzelt für 104 Menschen: Vierer-Kabinen, Betten doppelstückig, schmaler Spint, Sichtschutz dunkler Vorhang. Fenster nicht zum Öffnen. Kein Tisch, kein Stuhl. Alle Zelte sind gleich... Fotos: Schattberg
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Begehung im Zeltdorf „Hamburger“ schockiert - Flüchtlingseinzug nach Ostern!

Wie sieht die Asylunterkunft Hamburger von innen aus? Wie leben dort 400 Menschen? – Einzug nach Ostern. Geladen zur Bürger-Begehung hat die Stadt. Die Resonanz? Mächtig! Freundliches Wetter. Aber nach eindringlichen Worten von Sozialdezernent Peter Renzel wird es nach dem Zelt-Eintritt so manchen Menschen eiskalt ums Herz. Viele sind schockiert…

Am Tor-Eingang steht Inge Ludischer. „Ich möchte gerne im Arbeitskreis Bildung & Kultur mitmachen. Beispielsweise Deutsch unterrichten; Leuten, bei Bedarf, den Stadtteil zeigen…“ Kein Einzelfall.

„Heute ist Bürgerbegehung, um sich von den Räumlichkeiten zu informieren. Sie dürfen unsere Mitarbeiter dabei löchern“, fordert der Dezernent die Wartenden auf. Er schönt nicht die Flüchtlingslage. „Aufgrund der letzten Tage wurde immer an uns die Frage gestellt: Jetzt ist die Balkanroute zu; jetzt kommen keine Menschen mehr… Das stimmt nicht. 2015 hatte Essen statt 6500 Flüchtling nur über 4000 untergebracht. Also noch Altschulden. Jeden Tag bekommen wir 35-40 Flüchtlinge zugewiesen. Wir sind nicht am Anfang der Lösung, keiner kann sich zurücklehnen, wir stecken noch immer im Krisenmodus.“
Ferner: „Uns ist es wichtig, mit der zuständigen Regierungspräsidentin in Arnsberg zu verhandeln, wie in diesem Jahr eine an den Essener Unterbringungskapazitäten orientierte Zuweisung erfolgen kann. Unser Ziel ist es, durch diese bedarfsorientierte Zuweisung Obdachlosigkeit zu verhindern.“ Er nennt Zahlen.

Einwurf von Winfried Wahser. „Wie teuer ist dieser Platz? Eine Riesenfläche musste begradigt werden. Die Stadt Essen hat 3,5 Milliarden Schulden. Hier wird Geld verbraten!“ Renzel verweist auf Griechenland. Flatterzelte stecken im Schlamm. „Wir haben gesagt, wenn wir schon solche Zeltdinger bauen, müssen die stabil, ordentlich sein. Das andere ist menschenunwürdig!“ Zwischenruf: „Kommen auch Afrikaner?“ „Nein.“

Zelt-Eintritt heute erwünscht. Sechs helle Zelte stehen offen: Drei davon als Unterkunft für Familien. Wir befinden uns im Zelt für Männer. Nader Soltani, Einrichtungsleitung, führt an: Jeweils sechs Toiletten, sechs Duschen, 1 Pissoir, pro Seite. Jedes Zelt eigene Sanitär-Anlage, bestehend aus zwei Waschräumen, Waschmaschine, Trockner.“ Der Flur ist schmal.

Gemeinschaftsküche geöffnet von 6 - 20 Uhr. Soltani zeigt auf ein Gerät. „Da werden die Essen warm gemacht; kommt von apetito. Es gibt kein Schweinefleisch! Nur Einweggeschirr, also Plastik; das sind Gesundheitsschutzmaßnahmen. Tee, Wasser, Kaffee zu den Mahlzeiten.“ Zwischenfrage: „Wenn man ehrenamtlich arbeiten möchte, wo kann man sich melden?“ „Geht nicht ohne erweitertes Führungszeugnis.“

Wir sind im Familien-Zelt für 104 Menschen.Vierer-Kabinen, Betten doppelstöckig. Schmaler Spint. Sichtschutz - dunkler Vorhang. Fenster – nicht zum Öffnen. Kein Tisch, kein Stuhl. Die Luft wird stickig… Alle Zelte sind gleich eingeteilt. Heizgeräte laufen – eingehaust. „Trotzdem zu laut. Ich höre definitiv immer Brummen, Rauschen die ganze Nacht“, versichert Christian Knorr, der gegenüber in den Häusern wohnt.

Begriff Flüchtlings-„Dorf“ ist wohl daneben. Wiese, Kiosk, Kirche? Asphalt, Kies, Zäune umgeben die Zelte; die wiederum nicht von jedem betreten werden dürfen. Nur angemeldet, oder Gruppen, höchstens 20 Personen, sind erlaubt, 18-20 Uhr. Anmelden bei den Wachleuten; sechs arbeiten jeweils in drei Schichten, rund um die Uhr. Fünf Sozialbetreuer pro Schicht, zwei nachts, um alltägliche Belange zu regeln. Dolmetscher sind so eingestellt, dass sie jederzeit mit den Bewohnern kommunizieren können. Sanitäranlagen werden von professionellem Personal gereinigt.

Thomas Römer, Stadt Essen, versichert: „Doch nach dem Asyl Bewerber-Leistungsgesetz können Asyl-Bewohner gemeinnützige Tätigkeiten verrichten: Stunde 1,05 Euro. Wichtig, dass sich hier Menschen ehrenamtlich engagieren. Alles was zur Tagesstruktur hilft – wie: Stadt, Markt, Museum zeigen…Es ist für alle schwierig, auch für die Bewohner.“
Ridda Martina, european homecare, fächert auf: „Das ist unsere 9. Zelt-Eröffnung. Aus Erfahrung wissen wir, dass es anfangs etwas rappelt, erst mal unruhig ist. Die Menschen haben Träume, Wünsche – dann wird es ruhig…Für alle gibt es gleiche Leistung, gleiche Hilfe, gleiche Pflichten!“

Stimmen nach Asyl-Besichtigung
Theo Körber, Ratsherr: „Eine Notunterkunft mit Null-Privatsphäre. Ich glaube, dass niemand von uns hier nur eine einzige Nacht verbringen möchte mit über 100 Menschen in einem Zelt. Ich bin dankbar, dass sich über 170 Menschen aus Frohnhausen gefunden haben, die sich für die Flüchtlinge hier engagieren, um zumindest ein bisschen Menschlichkeit zu schenken.“
Mechthild Kloepfer: „Hier ist keine heile Welt. Alles ist alles ganz pragmatisch; nicht schön, nein – praktisch.“
Ute Bannenberg: „Einweggeschirr aus Plastik gibt es hier, anderes wäre aus hygienischen Gründen nicht möglich. Das finde ich unmöglich. Ein wahnsinniger Kostenfaktor.“
Eugen Koninek: „Aber Messer, Gabel… wenn man dann so Werkzeuge hat?. Plastik find ich besser; ist nur so ein Gedanke.“
Ulrike Liesner: „Diese Enge – so viele Menschen; dass man keine Fenster öffnen kann, keine Privatsphäre hat. Hoffentlich wird alles gut.“
Barbara Berns: „Wenn ich mir vorstelle, dass ich dort 24 Stunden sein müsste, würde ich stiften gehen. Es kann sich keiner vorstellen, in so einem geschlossenem Ding zu bleiben: 0-8-15; alles gleich. Schrecklich. Das hat mich sehr betroffen gemacht.“
Marianne Bluhm, Ex-Kinderbeauftragte: „Ich kriege das Frieren, wenn ich die Räume sehe. Keine Tür, nur Vorhang. Als Mensch da zu leben mit den Doppelbetten…“
Schwiegertochter Tabea möchte gerne helfen…Wo?
Info: Anne Hemeda, Ehrenamtskoordinatorin: hemeda@eu-homecare.com

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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