Im sozialen Brennpunkt: Rektorin packt aus!

Was macht denn der Grünen Bundestagsabgeordnete Kai Gehring in der Bodelschwingh-Grundschule, Essen-Altendorf...? Der Besuch des einst jüngsten Abgeordneten - mit vielen Fragen, Antworten. Fotos: Gohl
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Grüner Bundestagsabgeordneter Kai Gehring wird Bodelschwingh-Schüler – und mehr!

Schulunterricht Donnerstag. Aber am Schuleingang stehen einige Schüler, warten auf den Abgeordneten Kai Gehring. „Da!“ Kelvin (10) eilt auf den 37-Jährigen zu. „Darf ich Ihre Tasche tragen?“ Erstaunter Blick. Taschen-Träger-Wechsel. Wow! Wo sind wir denn? Mitten im sozialen Brennpunkt liegt die Bodelschwingh-Grundschule. Oft im Medienfocus - mit außergewöhnlichen Aktionen.

Warum düst Kai Gehring MdB, Vorstandssprecher Grüne in Essen, zur Bodelschwingh? Den Funken zündete Doris Eisenmenger, stellv. Bezirksbürgermeisterin BV III. Hanne Herz-Höhnke, Rektorin, fächert auf: „In politischen Runden erzählt Doris Eisenmenger oft von ihrer Tätigkeit in unserer Schule. Von den Genossen kann sich kaum jemand vorstellen, dass man in einer Schule mit 96% Migranten, 226 Schülern aus 47 Nationen, davon nur 17 deutsche Kinder, noch gut arbeiten kann."

Eisenmenger kennt die Schule aus dem Effeff. Ihre Patenklasse ist die 4 a; ihr Patenkind Kirti kommt aus Afghanistan. Jeden Mittwochvormittag liest und korrigiert sie in der Schule, in kleinen Gruppen. Zu Ausflügen nimmt sie stets drei Kinder mit. Warum? „Diese Schule benötigt viel mehr Unterstützung. Bildung in Grundschulen muss gleichwertig behandelt werden wie an Weiterführenden. Wenn die nämlich dann nur Defizite ausbügeln müssen, kann es nicht gut gehen.“

Also, der Parlamentarier Gehring wird neugierig, will sich unbedingt den pädagogischen Ansatz der Bodelschwingh anschauen. Auch wir! Zurück zu Kelvin. Er überreicht Kai Gehring sofort im Gebäude mit einer Verbeugung die Tasche…
Schwupps geht’s gemeinsam einige Etagen hoch. Der Abgeordnete stellt sich in zwei erste Klassen und in einer Vierer-Klasse vor: „Ich bin heute zu Gast hier. Vielleicht habt Ihr schon mal das Parlament in Berlin im Fernsehen gesehen…“ Die Kinder sind wissbegierig. „Warum besuchen Sie Schulen?“ „Ich bin auch im Bildungsausschuss. Sprecher für Hochschulen, Wissenschaft, Forschung.“

Fragen, Antworten legen spontan los. (Anm. der Redaktion: Text gekürzt)-
„Ist es anstrengend in Berlin?“ „Ja, im Jahr empfange ich auch 1000 Gäste…“ „Wie lange sind Sie in Berlin? „Seit dem 27. Lebensjahr. Ich war damals einer der Jüngsten. Ich setze mich u. a. für die Gleichberechtigung ein.“„Streiten Sie sich im Parlament?“ „Ja, manchmal diskutieren wir heftig. Streit gehört dazu. In einer Demokratie müssen Kompromisse gemacht werden. Demokratie ist viel anstrengender als Diktatur.“ Wie viele Leute arbeiten im Bundestag? „ 630 Politiker und noch andere.“ „Ist es schwierig, dass Großbritannien aus Europa gehen möchte? „Ich sehe in Europa eine gemeinsame Zukunft. Wie können wir Europa und die EU besser machen; Europa mit kultureller Vielfalt – klappt doch hier auch in der Bodelschwinghschule.“

„Wie ist es mit den Flüchtlingen?“ „Eine Million sind gekommen, die Hälfte unter 25 Jahre. Viele Kinder kommen ohne Eltern. Es dauert oft sehr lange, bis Familien zusammengeführt werden. 65 Mio. Menschen sind zurzeit auf der Flucht! Zu viele Konflikte und Armut gibt’s auf der Welt. Mehr Menschen sind auf der Flucht als nach dem Zweiten Weltkrieg.“ „Kommen Flüchtlinge mit Verletzungen?“ „Ja. Und traumatisierte Menschen – Wunden, die man nicht sieht.“ Wie entstehen Kriege? „Aus Konflikten untereinander. Menschen wehren sich gegen Diktatoren.“

Fragen vorher „gepaukt“? Ich teste. „Seid Ihr glücklich hier in der Schule? Jeder ist zu ersetzen, auch eine Rektorin.“ Aufschrei! Schüler: „Unsere Schule ist gut genug dank unserer Rektorin. Sie besorgte uns Schul-Uniform, med. Massage-Liegen für unseren Rücken. Sie zeigte uns das Meer. Wir fuhren zur Nordsee. Hat Frau Herz für uns organisiert.“ Kelvin ruft: „Du bist nun rot geworden, Frau Herz.“ Mohamed Makhlouf, Elternpflegschaftsvorsitzender setzt drauf: „Viele sehen sie als Mutter, nicht nur als Leiterin!“ Unterrichtsschluss! „Schade!“ bedauern die Schüler.

Kai Gehring impulsiv: „Für die spontanen Fragen braucht man Informationen. Diese Schüler sind sehr neugierig, interessiert, kreativ, machen sich viele Gedanken. Verstehen die was nicht, wird nachgefragt. Man merkt, dass sie teilweise Schlimmes erlebten- Traumatisierung.“

Das Lehrer-Büro zieht! Rektorin Herz Höhnke kommt auf den Punkt. „Es geht in unserer Stadt nicht immer gerecht zu. In Altendorf werden pro Klasse 28-30 Kinder unterrichtet. Hinzu kommen Flüchtlingskinder, Kinder mit wenig Deutschkenntnissen; viele Kinder leben in ärmlichen Verhältnissen. In anderen Standorten gibt es Klassen mit 15 – 20 Schülern! Kinder aus sozial benachteiligten Familien brauchen mehr Ressourcen als Schulen, in denen diese Gruppen nicht so stark vertreten sind. Hier wird sich erweisen, ob die Gesellschaft, mehr noch die Politik bereit ist, umzusteuern. Der Personalschlüssel sollte folglich auch abhängig von den jeweiligen sozialen Bedingungen sein (Sozialindex) und der Größe (Anzahl der Kinder) der Klasse und dem Standort der Schule.“

INNIGER WUNSCH DER REKTORIN
„Jede Schule sollte über so einsatzfreudige, engagierte sozialpäd. Kräfte verfügen können, wie unsere Nimet Toprak, Christine Böckler und Frau Dogan (die mir bei dem Schulfrühstück und anderen wichtigen Arbeiten zur Seite steht). Ich wünsche mir, dass unser Büro täglich durch eine Sekretärin besetzt sein könnte. Und einen eigenen Hausmeister, der sich verantwortlich kümmert um Toilettenanlage, Schulhof, kleine Reparaturen (im Schulhaus und an Spielsachen), um die Blumen und all die Dinge, die ein Hausmeister früher verrichten musste. Insgesamt wünsche ich mir mehr Ruhe im Schulhaus. Und für die OGS ein eigenes Gebäude, damit Lehrer nachmittags in Ruhe arbeiten können.

Nimet Toprak wurde als Stadtteilmutter ausgebildet. Dann Schluss! Wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen! Bei uns verrichtet sie sozialpädagogische Ergänzungsaufgaben (Schulpficht-Überwachung, Trainingsraum, Hausbesuche, Terminvereinbarungen mit Eltern, Unterrichtsbegleitung, Einsatz bei den Flüchtlingskindern als Hilfe und Übersetzerin, und mehr). Nimet Toprak wird vom Rotary Club Essen Ruhr bezahlt, weil die mit mir ein sinnvolles Projekt durchführen wollten. Sie wird für 12 Stunden pro Woche bezahlt und ist an vier Tagen die Woche bei uns.
Christine Böckler ist für erzieherische Tätigkeiten eingesetzt, betreut seit 10 Jahren eine kleine Gruppe von Kindern unserer Schule. Diese Gruppe ist wie eine kleine Schulfamilie („kleine Farm“); täglich bis 17 Uhr zusammen. Nach dem Unterricht wird gemeinsam gegessen, eingekauft, gespielt; Hausaufgaben verrichtet, gelesen… Die Kinder werden intensiv gefördert. Die Eltern müssen ganz eng mit uns zusammenarbeiten. Das ist eine Voraussetzung für die Aufnahme und Förderung dieser Kinder – mit Erfolg!!!
Christine Böckler leitet auch ehrenamtlich unsere Schulbücherei an vier Vormittagen die Woche. Von 226 Kindern haben 186 Kinder einen Leseausweis. Frau Böckler wird ebenfalls vom Rotary-Club unterstützt. Über die Ehrenamtsagentur Essen beschäftigen wir zwei Menschen, die uns am Vormittag bei den Hausaufgaben bzw. bei der Lernzeit helfen. Die beiden sind ebenfalls sehr wertvoll. Dann arbeite ich seit vielen Jahren mit der Uni Essen zusammen, die uns in regelmäßigen Abständen 2 Praktikanten (Studenten im ersten und zweiten Semester) schickt. Wir haben einen Sprachbegleiter, eine türkische Frau, die uns täglich zwei Stunden im ersten und zweiten Schuljahr unterstützt. Sie wird von städtischen Mitteln (KI = kommunales Integrationszentrum) bezahlt.“ Puhhh...

MORDDROHUNG
Kai Gehring macht sich Notizen. Er bestätigt: „Lehrer oder Parlamentarier sind keine Jobs, wo man auf die Uhr schaut. Unser Image ist einfach schlecht. Aber man macht es, um die Welt zu verbessern. Man will etwas bewegen. Es hagelt Beschimpfungen bis hin zur Morddrohung!
Die andere Seite: Man freut sich über positive Rückmeldungen – wie hier an der Schule - daraus kann man auch mal Kraft ziehen. Ich nehme mit, wir müssen politisch gemeinsam im Land darauf drängen, dass sich die Forderung und Förderung von Schulen, die im sehr ungleichen Verhältnis vor Ort arbeiten, auch ungleich behandelt werden. Es darf nicht von der Postleitzahl abhängen, welche Bildungschancen jemand hat. Es braucht zusätzliche Personenunterstützung, damit Projekte hier weiter so super gelingen. Konkret: Sozialarbeiter, Schularbeiter plus Assistenz. Die Bodelschwingh leistet hier viel mehr als andere Schulen. Ich selbst bin Arbeiterkind. Darum - gleiche Aufstiegsmöglichkeiten für alle!“ Chapeau!

Was brachte der Besuch?
Die Rektorin gesteht: „Weiß ich noch nicht. Uns ist schon so viel versprochen worden, vor allen Dingen vor Wahlen und von vielen Menschen mit Einfluss. Bisher haben nur die Rotarier ihr Wort gehalten!!! Herr Gehring machte jedoch einen interessierten und sehr guten Eindruck auf uns. Abwarten…“

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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