Kunst mit Knastfrauen

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Fast übersieht man das kleine ehemalige Pfarrhaus, neben der hohen Lutherkirche. Für vier Frauen ist das Knusperhäuschen der Himmel. Die Ex-Häftlinge gingen durch die Hölle. Doch dank der Mit-Initiatoren der UMBRA Kunstfabrik, Martin-Luther-Straße, besonders dem „Beichtvater, Missionar“ Reimund Neufeld, steigen sie in ein neues Leben ein. Durch Kunst und Sozialarbeit. Wie die 39-jährige Sabine T., die nach 9 Jahren, 5 Monaten, 18 Tagen Haft hier als Autorin mitarbeitet…

Was heißt Umbra? Reimund Neufeld liefert die Antwort: „Schatten. Umbra-Kunst - also Schattenkunst. Ich nehme mich der Menschen an, die im Schatten unserer Gesellschaft ihr Dasein meistern.“ Tja, um zu begreifen, zu sehen, was sich dahinter verbirgt, ist es nötig, den Gründer an Ort und Stelle zu besuchen.

Martin-Luther-Straße. Das Pfarrhäuschen ist die Basisstation der Umbra Kunstfabrik e.V. Sie steht wie beschützt hinter der Lutherkirche. „Ursprünglich leer stehend, jetzt belebt mit der schwarz-afrikanischen Gospelgemeinde - mit der wir gemeinsam kooperieren“, so Initiator Reimund Neufeld zum Arbeitsfeld des einzigartigen Vorzeige-Betriebes. Sein Hauptanliegen: „Haftentlassene Frauen mit den Mitteln der Kunst und Sozialarbeit zu fördern. Der Sendungsauftrag der Justiz ist die Resozialisierung der Häftlinge. Diese Arbeit machen wir.“

Neufeld ist beileibe kein Traumtänzer sondern ein Hardliner, aber mit Herz, der sich im Metier auskennt. Denn schon immer interessierten ihn Gefängnismauern. Er wollte wissen: Wer lebt dahinter, mit welchem Schicksal? Neufeld überstieg die Schwelle, wurde tätig.

Der Knalleffekt: „Seit 2005 leite ich als Autor und Pädagoge in verschiedenen Gefängnissen weibliche Schreibgruppen. Jede Frau hat ihre Geschichte. Barrieren, die zwischen der Gesellschaft und den Frauen steht, zu überwinden, die Sprachlosigkeit zu fördern, sind Teil der Resozialisierung.“

Mit 100 Frauen sprach er. Gewachsen ist daraus ein beeindruckendes, bedrückendes Buch mit authentischen Beiträgen Inhaftierter. „Nur von Frauen, weil diese die Ursachen für ihr Abdriften in die Kriminalität, den Haftalltag - die Chancen auf einen Neubeginn und die damit verbundenen Ängste viel emotionaler, bedingungsloser reflektieren als Männer.“ Ergreifende, verstörte, aufwühlende Tagebucheintragungen, Kurzgeschichten, Erlebnisberichte, Gedichte sind die „unerhörten Geschichten aus dem Frauenknast“.

Für das ergreifende Schriftwerk trafen sich aber auch Schüler mit den Frauen, führten Gespräche, kommentierten literarisch ihre Gefühle. Das Buch sorgte für starkes Aufsehen. Es führte zu positiven Gesprächen mit Justizministerin Müller-Piepenkötter. Im November 2011 war Neufeld im Landtag eingeladen. Lob für den Macher: „Sehr unterstützungswert“.

Mitherausgeber der 320-seitigen Arbeit „Ich muss zurück ins Rattenloch“ ist Prof. Dr. Helmut Koch, der an der Uni Münster einen Lehrstuhl für Knastliteratur hat; Mitbegründer, Chef des Arbeitskreises kritischer Strafvollzug e.V.

Das zweite Buch ist in Arbeit, die Kooperation mit der Bertha-Krupp-Realschule läuft. „Im Sommer gibt’s ein gemeinsames Treffen mit Prof. Koch, Schülern und Ex-Häftlingen“, verdeutlicht Neufeld. Er ist sich sicher, dass man durch Kunst bei den Frauen etwas bewegen kann. „Die Haftentlassenen kennen bislang nichts Anderes als starres Programm. Da finden sie immer wieder dieselben Strukturen vor: Amtssprache, Formblätter…Bei UMBRA erfahren sie zum ersten Mal, dass sie als Mensch wahrgenommen werden.“

Künstler und Kreative zählen zu den Förderern von Umbra. Wie der Gitarrist Norbert Labatzki, Schauspieler Markus Kiefer – Theater Freudenhaus, Mondpalast Herne -oder der Autor und Regisseur Giampiero Piria. Gründungsmitglieder sind auch Neufelds Frau Heike, Malerin; sowie die Töchter Anika, Malerin und Julia, Dipl.-Bühnenbildnerin, Malerin. „Alle sind daran interessiert, mit diesen besonderen Menschen besondere Kunst zu entwickeln. Somit geben sie mit dem gemeinsamen Projekt wiederum der Gesellschaft etwas zurück; sind im Kunstbetrieb integriert wie Knastradio, Theater AG, Musik, Malerei, Fotografie, Tanz“, zählt Idealist Neufeld auf.

Dabei nimmt er sich selbst auf die Schüppe: „Man muss bekloppt sein, um so etwas zu machen. Jedoch, die Gefängnisse suchen händeringend nach effektiver Nachsorge. Der weibliche Strafvollzug ist weitaus unterbelichtet.“
Ohne Geld läuft nichts. Das Pfarrhaus allein verschlingt monatlich 1100 €. „Der Verein ist 2011 als gemeinnützig anerkannt. Seit Dezember stehen wir mit dem Landschaftsverband Rheinland in Verhandlungen; der Verband will unseren Verein finanziell unterstützen; auch als anerkannten Trägerverein. Unser Dachverband wird die Diakonie sein.“

Wie muss man sich die Arbeit der Ex-Häftlinge vorstellen? „Neben dem Schreiben eben das Rehabilitationskonzept der weiblichen Haftentlassenen durch ambulantes, betreutes Wohnen; begrenzt von ca. 3 Monaten bis zu einem Jahr. Im Gegensatz zu anderen Projekten können die Frauen weiterhin bei uns teilhaben. Augenblicklich stehen für vier Frauen Plätze zur Verfügung. Sie wohnen in naher Umgebung. Wir streben 12 Plätze an.“ Neufeld Umbra will keine Angst schüren: „Von den Ex-Knackis geht keine Gefahr aus. Sie sind keine Gewalt-, keine Sexualstraftäterinnen.

Mit im Projekt-Boot sitzt seit Dezember obige Sabine T., Jahrgang 1973. Ihre Vita: Adoptivkind, Mutter von zwei Kindern, Junkie, Prostituierte, Stalkingopfer und selbst zur Täterin geworden. Nach über neun Jahren aus der Haft entlassen, will sie nun mit Hilfe von Umbra ein neues Leben beginnen als Mitarbeiterin- Sowie Autorin für das zweite Buch „aus dem Frauenknast“, Erscheinungstermin ca. 2013. Ihr Wunsch? „Ich möchte mich intensiv an der Öffentlichkeitsarbeit, bei Projektentwicklungen, Kunstaktionen beteiligen.“ Leise fügt sie hinzu: „Eine Tochter ist 20; die andere 11 – ich sah sie nur ein Jahr. Mein Traum: Familie…

Neufeld gesteht: „Noch befinden wir uns in der Pionierphase. Ich bediene den individuellen Hilfebedarf. Renne zu Behörden, Ämtern, leiste lebenspraktische Hilfe, mache Jobsuche, Wohnungssuche, strukturierende Hilfe, bin Finanzberater, Beichtvater. Ich stecke Geld in Umbra rein – lebe von den Erlösen meiner Frau. Wenn wir keine finanzielle Unterstützung bekommen, wären wir im Herbst dieses Jahres pleite. Doch der Landschaftsverband lässt uns überleben. Trotzdem suchen wir weitere Sponsoren. Ferner ehrenamtliche Mitarbeiter…“
UMBRA Kunstfabrik e.V., Martin-Luther-Straße 114, Essen, Telefon 94624822. www.umbra-kunstfabrik.de

Fotos: Michael Gohl / West Anzeiger

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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