Verrückter, liebestoller geht's nimmer...

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Essener Markthändlerin erlebt täglich am Niederrhein die voll durchgeknallte Bescherung!

Schöne Bescherung! Nur zu Weihnachten? Bei Familie Zwer wird täglich beschert. Sabine und ihr André sind total „überdreht.“ Wenn es um Tiere geht. Die Essenerin ist Händlerin auf dem Essen-Frohnhauser Markt. Ihr Zuhause ist Rheudt bei Moers. Wir sind am Markt verabredet. Los geht’s -A 40. Die Häuser werden kleiner, meine Neugierde größer. Nach 40 Kilometern: Rasante Kurve, Stopp. Auto-Tür auf, Tüte raus. Salatblätter fliegen durch die Luft. 13 Hühner sind aus dem Häuschen. Das Verrückte nimmt seinen Lauf…

„Wo sind denn meine Damen?“ umwirbt Sabine Zwer ihr verrücktgewordenes Federvieh. „Na, flotte Bienchen, hier ein Blättchen. Chantal, lass dich nicht schubsen…“ Die 44-Jährige ist in ihrem Element. Neben Locken, Loben, fliegen jetzt kleine Salatköpfchen auf die Tierhäupter. Hühnernamen, Hühnerrassen rasselt sie runter: Orpington- und Wyandotten-Hühner. Guck mal da, die Strupphühner - gelten noch immer als seltene Rasse. Sehen ziemlich zerzaust aus mit ihrem Federzeug, der vollen Brust, den aufrechten Schwänzen. Mein ganzer Stolz sind die Sundheimer, weil sie vom Aussterben bedroht sind…“

Die Hühner gackern, flattern. Der Hahn nebenan findet keine Beachtung. Er liegt am Gatter – ist aus Porzellan. Rein in die warme Stube.

Ich glaub es nicht! Mitten im Wohnzimmer steht ein Hühnerstall. Ich reibe mir die Augen. Da fegt ein riesiger schwarzer Schatten – Platz da – an mir vorbei, schubst mich zur Seite, springt Sabine mit handgroßen Tatzen bis zur Brust hoch. „Pumba, ist ja gut“, lacht die Begehrte. Doch der Labrador macht auf bekloppt. Tänzelt hin und her, stürmt vorwärts, rückwärts, schüttelt sich, steckt seinen Kopf in die geöffnete Tür, kommt zurück, rennt aus dem Zimmer, über die Wiese, hechtet in die gefüllte Wanne. Endlich, im fast vier Grad Wasser kommt der Pascha zur Ruhe. Um nach kurzer Paddelzeit im Sprinter-Satz in die Wohnung zu stürmen, sich zu schütteln… „Schluss“, ruft Frauchen energisch. Der Getadelte legt sich auf den Boden, blickt erbärmlich treu, lässt sich trockenrubbeln. „Mindestens drei Mal täglich muss ich den Boden putzen.“

Ich träume nicht. Auf der anderen Zimmerseite steht tatsächlich ein Hühnerstall. Mein Blick ist wohl so irr, dass drei Hühner im Handumdrehen Reißaus nehmen, im Verschlag verschwinden. Neben mir steht Pumba, beschnuppert mich. Schnappt er sich gleich ein Hühnchen zur Mahlzeit? „Um Gottes Willen, die drei Seidentiere aus dem Himalaya sind seine Freundinnen. Nur wenn sie zu laut gackern, stellt er sich hoch, stupst mit der Nase am Gatter. Sofort sind Heidi, Klara, Zwergi mucks-Hühnchen-still; stolzieren auf ihrer Gummimatte, plus Kaninchenstreu, Sand. Scharren…

Die Fütterung des Wohnzimmer-Kleinviehs beginnt: Bio-Hafer streut Sabine auf die Hühner-Häupter. Mit Bio-Mais aus der Dose lockt sie gar das zahnlose Zwergi aus der „Hütte“. Das Gatter hat bewusst Löcher. „Die Tiere müssen Freilauf haben…“
Vivian, die 15-jährige Tochter, macht beim „Tier-Theater“ auf cool. „Sie akzeptiert aber alles. Wenn wir weg sind, hockt sie sich vor die Hühner.“

Was sagt der 55-jährige Andrè dazu? Er macht mir. Zunächst reagierte er allerdings etwas heftig. „Das erste Huhn, was ins Wohnzimmer kommt, landet im Topf!“Aber gleich Drei…Schaffte er nicht“, strahlt Sabine. Wie zur Verteidigung ergänzt er: „Ein Huhn ist nicht dumm. Es kann 44 andere sofort wiedererkennen. Irre.“
Der Fahrschullehrer zu den Hühnern draußen im Garten: „Ich wollte keine 13! Entweder weniger oder mehr. Also 14. Nach 18 Monaten verstarb ein Braunes. Jetzt hatten wir 13. Ging nicht.“

Folglich düste das Paar ins Sauerland, Geflügelverein Sonsbeck. Sie verliebten sich in zwei Sundheimer. Hilfe! „Ein Strupphuhn, so allein im Käfig?“ Sabine siegte. Schon nachmittags gackerten 16 Hühner vor dem Haus.

„Vor drei Wochen starb plötzlich ein braunes Seidenhuhn. Es war zu klein, draußen zu kalt. Deshalb jetzt das Gehege mit den seidigen Winzlingen hier im Warmen. Bis zum Frühjahr.“ Ja, die Zwer’s erbarmen sich der Tiere. „Aus Mitleid. Nicht zum Schlachten.“

Auch den Labrador befreiten sie aus dem Tierheim, Geldern. „Damals war er zehn Wochen alt. Wir wollten ihn. Also sind wir für ihn verantwortlich. Er ist jetzt unser zweites Kind“, bestätigt sie. Pumba ist ein Besonderer mit Schwimmhäuten an den Pfoten. André betont: „Norwegische Fischer hielten früher diese Hunde. Die mussten auch im eisigen Wasser gut schwimmen können. Wurden als Zugtiere eingesetzt, um Befestigungsleinen der Schiffe an Land zu holen.“

Verrückt auf alles was flattert ist Sabine. Eine Jungkrähe, die sich in einer anderen Stadt mit dem Kopf im Schutznetz verheddert hatte, ließ sie von der Feuerwehr befreien, nahm die Verletzte im Karton mit nach Hause, umsorgte sie.

Augen auf in der Natur – nicht weggucken – so ihr Handeln. Xanten, Marktplatz. Ein Krähen-Muttertier lag auf dem Boden mit zwei Jungen. Angefahren. Ein Jungtier lebte. Sabine nahm das „Baby“, zog es auf. „Es lernte in unserer Wohnung fliegen. Im August haben wir es ausgewildert “, bestätigt André. Der Dank: Morgens werden sie vom Krächzen geweckt.

Jetzt muss André ran ans nächste Werk. „Ein Vogelhaus bauen. In XXL. Hier gibt es so viele Vögel, die sitzen wie die Orgelpfeifen auf dem Garten-Zaun. Kommt der Winter, müssen sie was zu Fressen finden.“ Auf den Fensterbänken warten Vogelfutter, Meisen-Knödel.

Logisch, wenn Weihnachten vor der Tür steht, schnattern die drei geretteten Hühner wohl besonders heftig in Wohnzimmer - bei leckeren Mais- und Weintraubenketten. Während Pumba knabbert mit goldener Schleife um den Hals am extra dicken Knochen knabbert. Fröhliches Fest!
Übrigens, Pumba beglückte mich auch, indem er mir während des Gesprächs Zeit schenkte, auf meinen Füßen lag - mich wärmte.

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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