Gegen das Vergessen - Grillo-Gymnasium: Enthüllung einer Gedenktafel für jüdische Schüler

Judith Neuwald-Tasbach (l.), Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, und Bürgermeisterin Martina Rudowitz begutachten die neue Gedenktafel zu Ehren der 34 jüdischen Schüler am Grillo-Gymnasium. | Foto: Nina Wieczorek
  • Judith Neuwald-Tasbach (l.), Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, und Bürgermeisterin Martina Rudowitz begutachten die neue Gedenktafel zu Ehren der 34 jüdischen Schüler am Grillo-Gymnasium.
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Am 1. Dezember 1938 musste der damals erst 15-jährige Schüler Ernst Back das Grillo-Gymnasium verlassen - weil er Jude war. Auf den Tag genau 78 Jahre danach enthüllte das Gymnasium eine Gedenktafel zu Ehren der ehemaligen jüdischen Schüler.

Der feierlichen Enthüllung vorausgegangen war eine Geschichtsstunde der besonderen und intensiven Art, abgehalten in der historischen Aula der Schule: Der ehemalige jüdische Grillo-Schüler Ernst Back ließ die in der Aula versammelten Schüler und Lehrer, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen Judith Neuwald-Tasbach, Bürgermeisterin Martina Rudowitz sowie Mitglieder des Instituts für Stadtgeschichte und zahlreiche weitere Gäste per Videobotschaft an den Erinnerungen an seine Schulzeit teilhaben.
Zwischen 1933 und 1938 lernten insgesamt 34 jüdische Jungen an dem damaligen städtischen Realgymnasium für Jungen. Einer von ihnen war der 1923 geborene Ernst Back, Sohn eines Rechtsanwalts. 1939 gelang ihm und seinem jüngeren Bruder mit einem Kindertransport nach Schweden, wo er auch heute noch lebt, die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland, während die Eltern zurückblieben - Back war damals gerade erst 16 Jahre alt.
Als er in der Videoaufzeichnung davon erzählt, wie die Wohnung der Familie von Männern verwüstet wird, oder ihn auf dem Weg zur Schule drei Jungen verprügeln und als „Judas Iskariot, ihr habt Jesus getötet!“ beschimpfen, wird es still in der Aula. Trotz der Schikanen in der Schule, beispielsweise durch den Musiklehrer, der die insgesamt nur vier jüdischen Jungen der Klasse in die erste Reihe setzte und den Unterricht dann mit einem Hassgesang gegen Juden begann, ging Back weiter zur Schule - selbst als er nach einiger Zeit der letzte verbliebene jüdische Schüler ist.
Auch an den Tag nach der Reichspogromnacht am 9. November erinnert er sich gut: „Wir wussten nicht, was eigentlich geschehen war, ich ging zur Schule und ich sah die Synagoge brennen.“ Dass er nicht auch zusammen mit den Eltern in ein Konzentrationslager gebracht wird, verdankt er dem puren Zufall: Drei Tage, bevor sie abgeholt werden, wird er 15 Jahre alt - „und mein Name stand noch nicht auf der Liste.“
Backs Vater wird 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt getötet, seine Mutter stirbt ein Jahr später im KZ Auschwitz. Die Ausreiseerlaubnis für die Eltern, die er mit großer Anstrengung und dank der Hilfe eines damaligen Politikers in Schweden erwirkt, wird von den Nazis ignoriert, die Eltern dürfen nicht mehr ausreisen.
Nach ihrem Tod bleibt er in Schweden, studiert an der königlich-technischen Universität Stockholm und baut sich ein neues Leben auf.
Dass er den Grillo-Schülern überhaupt als Zeitzeuge über seine Erlebnisse berichten kann, verdankt er dem Projektkurs „Praktische Philosophie“, bei dem sich 36 Schüler aus zwei sechsten Klassen ein Halbjahr lang mit dem Thema „Nationalsozialismus“ beschäftigt haben. Die Spuren der ehemaligen jüdischen Schüler zu verfolgen, war ihrer Lehrerin Susanne Knorth zufolge ausdrücklicher Wunsch der Schüler, die bereits die Stolperstein-Verlegung vor der Schule Anfang Oktober diesen Jahres tatkräftig unterstützt hatten. Auch im Rahmen von Projekttagen zum Thema „Rassismus und FC Schalke 04“, in deren Zentrum der jüdische Grillo-Schüler und Schalker Jugendspieler Ernst Alexander stand, sei das Thema behandelt worden, so die Siebtklässlerin Yaren Yerli.
Durch den Wunsch der Kursteilnehmer, den jüdischen Friedhof zu besuchen, sei der Kontakt zu der dafür zuständigen jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen zustande gekommen und später auch die Bildungskooperation mit dem Institut für Stadtgeschichte, erklärt Susanne Knorth weiter. Im Schularchiv auf die Namen der 34 jüdischen Schüler zu stoßen und sich vor Augen zu halten, dass sie an genau demselben Ort wie die heutigen Schüler gewesen seien, war ihr zufolge ein durchaus emotionaler Prozess: „Nachdem ich aus dem Archiv herauskam, musste ich mich erst einmal wieder erden.“ Während der Veranstaltung in der Aula werden eben diese Namen von den Schülern des Projektkurses verlesen und weiße Rosen vor den auf der Bühne aufgestellten Namensschildern platziert.
Die Gedenktafel neben der historischen Aula des Grillo-Gymnasiums wird die Erinnerung an die 34 jüdischen Schüler lebendig halten. "Denn es gibt nur eine Zukunft, wenn man einander mit Respekt und Toleranz begegnet", wie Judith Neuwald-Tasbach betonte und die Schüler in der Aula dazu aufforderte, Werte zu leben und verteidigen und nicht passiv zuzuschauen, "wenn Leute Hass und Intoleranz in unser Leben bringen."

Autor:

Nina Wieczorek aus Gelsenkirchen

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