Auf die Kriechspur gewechselt

Ursula von der Falk macht das Beste aus ihrem Leben im Rollstuhl.
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Anders ist jeder: Ursula van der Falk meistert Leben und Familie im Rollstuhl. Es gab Zeiten, da lebte Ursula van der Falk auf der Überholspur: laut, schnell, fröhlich und albern. Seit dem „Tag x“ bewegt sie sich in ruhigeren Bahnen. Gezwungenermaßen, denn sie sitzt im Rollstuhl.

Als Ursula van der Falk 2005 mit der Diagnose konfrontiert wurde, sie leide an der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose (MS), sah sie sich noch nicht im Rollstuhl. „Es ging mir ja soweit gut.“ Am „Tag x“, das war an einem Tag vor sechs Jahren, musste sie sich nach einem schweren Schub dann doch das erste Mal in den Rollstuhl setzen. „Und da kam ich dann nicht mehr raus.“ Seitdem ist die 48-Jährige auf das Hilfsmittel angewiesen.
Dabei hatte sie seinerzeit noch gedacht: Wenn es mir zu dumm wird, stehe ich wieder auf und gehe zu Fuß. „Die Erkenntnis, dass das gar nicht mehr geht, ist bitter“, erinnert sie sich.

Der Rollstuhl wird unverzichtbar

Der Tag x lag auch nach der Geburt ihrer Tochter Alexandra im Jahr 2007. „Ich konnte ihr sogar noch das Laufen beibringen.“ Ironie des Schicksals: Je besser die Kleine laufen konnte, umso schlechter lief es bei ihr.
Mittlerweile bewegt sich Ursula van der Falk auch in ihrer Wohnung nur noch im Rollstuhl. Ihre körperliche Fähigkeit beschränkt sich auf ein ziemlich wackliges Aufstehen und Hinsetzen. Sie hat Angst, zu fallen und möchte nicht, dass ihre Tochter sie hilflos daliegen sieht. Die Kleine ist mit dem Handicap der Mutter großgeworden. Für sie ist die „Mama auf Rädern“ ein alltäglicher Anblick und Normalität. Ursula van der Falk lacht: „Sie fragt mich schon, wann wir ihr auch einen Rollstuhl kaufen.“

Kritik an Stadtplanung

Für andere Menschen ist das Problem nicht so normal. Für Stadtplaner beispielsweise – so ist es der vielfältigen Kritik von Menschen mit Handicap zu entnehmen. Bei dem umfangreichen Baugeschehen in der Stadt sind die Stadtplaner gefordert, barrierefrei-Standards umzusetzen.
„Hier gibt es aber eher den Gelsenkirchener Standard“, sagt auch Manfred Liebich, der Vorsitzender der Gelsenkirchener Gruppe des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK): „Mal ist es richtig, mal falsch. Und hinterher müssen die falschen Dinge immer mit erheblichem Mehraufwand wieder beseitigt werden.“ Er fordert sogar, dass die Horster Straße bis zur Vinckestraße wieder aufgerissen wird, um nachzubessern.
Auch Liebich und seine Frau Helga ist für längere Wege auf den Rollstuhl angewiesen und weiß, dass es in Gelsenkirchen eine Menge Orte gibt, an denen Rollifahrer schier verzweifeln. Da wären die Bordsteinkanten, die am besten auf ein Nullniveau abgesenkt werden müssten, oder als Kompromiss für blinde Mitbürger nur maximal drei Zentimeter hoch sein sollten.
Da sind auch Türen, die sich im Sitzen nur schwer öffnen lassen. Im Hallenbad Buer beispielsweise. Dort gibt es zwar eine Rampe und Aufzüge, aber keine sogenannte kraftbetätigte Tür, also eine, die mit Hilfe eines Elektromotors geöffnet wird. Es gibt auch keine Sprechanlage oder Klingel neben dem Eingang. Wohl befindet sich beides 50 Meter weiter an der Parkplatzschranke.
Ursula von der Falk beispielsweise wohnt in Buer, kann selbst nicht mehr Auto fahren und müsste dann vom Parkplatz aus um die Türöffnung bitten. Ganz gleich, bei welcher Witterung...

Bewegungsfreiheit beim Einkaufen gewünscht

Allerdings denkt die Mutter und Ehefrau pragmatischer. Für sie ist es wichtiger, sich beim Einkaufen bewegen zu können. Und da stößt sie auch in dem großen Lebensmittelmarkt gleich nebenan auf viele Hindernisse: Kisten und zusätzliche Warenaufsteller, die einfach im Weg stehen oder Gänge schmaler machen. Anecken ist quasi vorprogrammiert. „An schlechten Tagen gehe ich auch nicht einkaufen. Da kann ich den Rollstuhl nicht so gut steuern und wenn ich dann irgendwo dagegen fahre, werde ich richtig wütend.“
Klar, sie werde auch schon mal von anderen Leuten wegen ihren Rollstuhls angepöbelt, aber in „ihrem“ Einkaufsmarkt trifft sie auch auf Freundlichkeit. Da hilft ihr die Kassiererin, die Einkäufe in den Beutel zu stecken oder zählt sich das Geld passend auf Euro und Cent aus dem Portemonnaie.
Ansonsten lässt sich Ursula van der Falk nicht gern helfen. Natürlich hat sie für den Haushalt eine Unterstützung. Aber was sie noch selbst machen kann, das macht sie auch selbst. Und wenn das Anziehen der Jacke eine halbe Stunde dauert, dann dauert es eben eine halbe Stunde. „Ich möchte wenigstens ein kleines bisschen das Gefühl behalten, etwas selbst zu können.“ Und da ist es gut, wenn sie nicht behindert wird.

Auf gutem Weg und trotzdem hintendran

„Gelsenkirchen ist, was Berrierefreiheit betrifft, auf einem guten Weg“, gesteht Manfred Liebich zu, „aber die Stadt hinkt trotzdem anderen um Jahre hinterher. Es geht ja nicht nur um die Rollstuhlfahrer“, wendet er ein. „Der demografische Wandel führt dahin, dass immer mehr Menschen mit Mobilitätseinschränkung im Stadtbild zu sehen sind. Es gibt hier so viele Leute mit Rollatoren! Um allen Mobilitätseingeschränkten eine Teilhabe am Leben zu ermöglichen, muss sich die Umwelt auf deren Belange einstellen und nicht umgekehrt. “
„Ich fahre zum Glück mit dem Elektro-Rollstuhl, da macht mir das fürchterliche Pflaster auf der Hochstraße nichts aus. Es ist vor allem bei Nässe wahnsinnig glatt. „Manchmal habe ich schon gedacht, die Verantwortlichen müsste man mit dem Knüppel aus der Stadt jagen!“

Ganz normal: Gute Tage, schlechte Tage

Ihre Wünsche sind bescheiden geworden. Ursula van der Falk lebt mit ihrem Mann und der Tochter in einer 80-Quadratmeter-Wohnung mitten in Buer. Die ist zwar nicht barrierefrei, aber sie kann sich mit ihren Rollstühlen darin bewegen. Es gibt einen geräumigen Fahrstuhl, einen großen Flur davor und vor dem Haus eine Rampe, die der Vermieter mit Mitteln der mit BfA-Mitteln extra für sie gebaut hat. Allerdings sind manche Wege im Haus, beispielsweise das Stück Flur vom Fahrstuhl bis zur Haustür, so eng, dass sie ganz genau manövrieren muss, um hindurch und aus der Tür zu kommen, ohne die Briefkästen abzureißen.
Das Leben mit MS und im Rollstuhl fordert einiges ab, das bestätigt Ursula von der Falk. Es gibt gute und schlechte Tage. „Wenn alles klappt, ich ohne Beschränkung einkaufen gehen kann, das Mittagessen kochen, Alexandra vom Bus abholen und mit ihr spielen kann, dann ist es ein guter Tag. An schlechten Tagen ist sie traurig, dass sie – anders als die MS-Kranken in den Hochglanzbroschüren der Multisklerosegesellschaft – kaum noch Energie aufbringen kann. „Da denke ich dann: Was ist mit dir los. Wieso hast du nicht diese Energie?“ Sie weiß, solche Phasen haben auch gesunde Menschen. Und so ist Ursula van der Falk dennoch stolz auf das, was sie für sich geschafft hat.

Ursula von der Falk macht das Beste aus ihrem Leben im Rollstuhl.
"Inklusion heißt, die Umwelt muss sich auf den Menschen einstellen." Manfred Liebich, Leiter der Gelsenkirchener Gruppe des BSK | Foto: Privat
Autor:

Silvia Dammer aus Hagen

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