Aus Protest keinen Protest wählen!

In meinem letzten Artikel schrieb ich über die Zerrissenheit vor der Wahl. Ausschlaggebend war der Kandidatencheck vom WDR. Als Mensch, der sich seit Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen stark macht, war es eigentlich eine Selbstverständlichkeit auch eine Partei zu wählen, die das BGE in den Bundestag bringen will. Nur sagten mir die Kandidaten im entsprechenden Check nicht das, was ich erwartet habe.

So gehört zur Umsetzung eines BGE zwingend ein bundesweiter Volksentscheid. Denn an diesem Modell soll jeder Bürger in unserem Land mitgestalten dürfen. Oft muss ich darüber schmunzeln, wenn man immer gefragt wird, was wir denn so wollen und wie hoch das BGE denn sein soll. Mit „Ihr“ kann ich nichts anfangen, da ich mit meinem Engagement die für mich logischen und menschlichen Positionen vertrete. Die stelle ich zwar zur Diskussion, aber in unserem Land wohnen über 82 Mio. Menschen, welche die Umsetzung unterschiedlich sehen. Auch die Höhe des BGEs steht nicht fest.

Nachdem ich meinen letzten Artikel bei Facebook zur Diskussion stellte, wurde mir tatsächlich vom Bündnis Grundeinkommen bestätigt, dass sie keine bundesweiten Volksentscheide beabsichtigen. Stattdessen soll eine Enquete-Kommission gebildet werden und „Spezialisten“ entsprechende Modelle zur Erprobung eruieren. Die besten Spezialisten sind in dem Falle doch die BürgerInnen oder nicht?

Was ich mir jedoch vorstellen kann ist, dass die derzeitigen Finanzierungsmodelle ausgearbeitet und bürgernah verständlich gemacht werden. Und diese werden mit einem bundesweiten Volksentscheid abgesegnet. So auch der Umgang mit der Krankenversicherung, der Höhe des BGEs und auch der Umgang mit der Rentenversicherung. Zu Letzterer spuken gerade die furchtbarsten Ideen im Netz herum. Aber gut, dass sie sichtbar sind. So können wir miteinander drüber diskutieren, welch einen Sinn eine Rente hat.

Aber ich konnte nicht mehr guten Gewissens mein Kreuz für diese Partei machen. Denn ohne einen Bundesweiten Volksentscheid im Programm werde ich keine Partei mehr wählen. Was jedoch auch auf Facebook stattfand, war eine rege Diskussion über eben Alternativen, welche sowohl das BGE, als auch die direkte Demokratie berücksichtigen. So kam die Partei DiB (Demokratie in Bewegung) ins Spiel. Auch hier schaute ich mir den Kandidatencheck an und siehe da: Mir sagte jemand, dass er nicht möchte, dass Experten irgendwelche Konzepte den BürgerInnen aufstülpen.
Und gerade heute teilte mir jemand vom Bündnis Grundeinkommen mit: „Ich bin sehr viel in Kontakt mit Menschen, die uns als Experten fragen zum BGE.“ Das gefällt mir alles nicht. Zu sehr kommt das Ego in dieser Partei durch. Also beschäftigte ich mich mit der DiB.

Und dann ging es los. Macht es Sinn, eine kleine Partei zu wählen? Was ist mir denn überhaupt wichtig? Wähle ich einen Direktkandidaten? Wähle ich gar nicht? Wähle ich ungültig? Eins war auf jeden Fall klar: Ich wähle nicht aus Protest!

Sicherlich gibt es Einige von Ihnen, denen es ähnlich geht. Wir haben jetzt die Chance unser Schicksal für vier Jahre in die Hände von Menschen zu geben, die wir gar nicht kennen. Für mich ist das ein komisches Gefühl. Wieso soll ich einen Direktkandidaten wählen, wenn ich doch selbst entscheiden kann und gar nicht weiß, was dieser Mensch dann in meinem Namen entscheiden wird? Wir geben unsere Selbständigkeit aus den Händen. Wenn wir eine Partei wählen, wählen wir dann das Programm? Eher nicht. Wir wählen wiederum Menschen, die uns glauben machen, dass sie ein Programm umsetzen wollen. Aber auch hier geben wir unsere Selbst- bzw. Mitbestimmung ab.
Der Omnibus der direkten Demokratie ist seit einigen Jahren unterwegs, um für die Mitbestimmung zu kämpfen. Im Newsletter von September 2017 ist nach einer repräsentativen Umfrage zu lesen:

„78 % der Befragten gaben an, dass sie eine Volksabstimmung über die artgerechte Tierhaltung sehr wichtig oder wichtig finden.

75 % der Befragten finden eine Volksabstimmung über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sehr wichtig oder wichtig.

71 % der Befragten bewerten eine Volksabstimmung über die ökologische Verkehrswende als sehr wichtig oder wichtig,

63 % eine Volksabstimmung über Waffenexporte und

43 % eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Sommerzeit.“

Und wer sitzt im Parlament und lässt authentisch durchblicken, dass er sowohl das Tierwohl, als auch das BGE, eine ökologische Verkehrswende, Waffenexporte oder meinetwegen auch die Abschaffung der Sommerzeit in Hinblick auf den Bürgerwillen entscheiden möchte?

Wer also noch immer glaubt, Protest würde zu etwas führen, der irrt. Was bei Wahlen wichtig ist, ist das Sich-Auseinandersetzen mit den eigenen Themen. Was ist einem wichtig und wer bietet diese Themen glaubhaft an?

Nun gibt es Kritiker die meinen, dass das Wählen kleiner Parteien nichts bringen wird. Und ich sage, ein „weiter so!“ bringt ebenfalls nichts. Wenn wir als BürgerInnen Veränderungen herbeiführen wollen, müssen wir auch mal was anderes wagen. Die AfD war auch mal eine kleine Partei. Und wenn die SPD nicht aufpasst, ist sie es bald. Alles ist im Fluss und die Demokratie wird gerade stark hinterfragt. Nicht die Demokratie an sich, aber unser Modell, welches wir in Deutschland haben. Wenn etwa 72% der BürgerInnen einen bundesweiten Volksentscheid wollen, dann ist das ein Zeichen, dass die repräsentative Demokratie nicht mehr gewünscht ist.

Die Menschen möchten partizipieren. Wie auch immer es aussehen wird. Und genau wie bei den Vorurteilen bzgl. des BGE, dass niemand mehr arbeiten will, wird auch gerne gesagt, dass die Menschen zu dumm sind. Und genau das sehe ich anders. Uns werden durch die Medien stets gerne pöbelnde Wutbürger gezeigt, welche gerade aktuell Angela Merkel beschimpfen. Dieser Zorn ist nachvollziehbar und entspringt der Hilflosigkeit der Menschen. Sie haben keine Perspektive und werden unter Druck gesetzt. Ja, die Gesellschaft hat zu lernen, politisch zu arbeiten.

Folgender Beitrag von Panorama zeigt sehr selbstgerecht wieder mit dem Finger auf die zornigen Bürger. Bei Facebook habe ich die Überheblichkeit von Journalisten, die sich Rechten zur Diskussion stellen, verfolgt. Es bringt erst mal gar nichts, wenn wir uns über andere hinwegsetzen. Wir müssen verstehen, was die Menschen so zornig macht. Und nicht jeder hat den gleichen Bildungsstand, das ist wahr. Aber ist es richtig, wenn alles so bleibt, wie es ist?

Ein SPD-Ratsherr aus Gelsenkirchen meinte einmal zu mir: „Wenn Du DIE LINKE wählst, wählst Du rechts.“ Ich habe lang genug Parteipolitik gemacht um zu wissen, wie in einer Partei taktiert wird. Aber gegen diese Behauptung bleibt nur zu sagen: Wenn ich links wähle, wähle ich links. Fertig! Wenn es in der SPD üblich zu sein scheint, dass man das eine wählt, weil man das andere bewirken will, so ist das einmal mehr ein Zeichen, nicht nur Politiker in die Verantwortung zu bringen.

Wir müssen unseren gesellschaftlichen Strukturen auf den Grund gehen. Derzeit werden wir alle wieder politischer, die Demokratie ist in Wallung. Und das ist gut so. Wir werden nie eine Gesellschaft haben, in der es nur kluge Menschen geben wird. Und außerdem: Die meisten Entscheidungen von Menschen entstehen aus der Emotionalität. Je größer der Zorn, desto mehr Protest bei der Wahl.

Und hier bin ich wieder bei meiner Forderung, dass wir eine Aufklärung 2.0 inklusive der Psyche auflegen. Es bringt gar nichts, AfD-Wähler zu diskreditieren. Somit werden sie nur noch zorniger. Es ist jedoch auch sehr schwierig, mit ihnen zu reden. Ich habe durchaus schon meine Erfahrungen gemacht, bei denen ich um meine Gesundheit besorgt war. Aber erkennbar ist, dass meine Gesprächspartner emotional unaufgeräumt und unreflektiert waren. Sie konnten sich nicht selbst helfen, waren in schlimmen alltäglichen (Job)-Situationen. In einem Bildungssystem, welches nur auf Konformität aufgebaut ist und der Wirtschaft dienen soll, fühlt sich ein Mensch, der keine Perspektive für seine Existenz hat, hilflos. Und dann darf er nur alle vier Jahre wählen, bis dass alles nur noch schlimmer wird. Immerhin steht der (a)soziale Arbeitsmarkt in den Hufen. Mit EU-Fördergeldern gespickte Sklaverei. Auf der anderen Seite die Sanktionen vom Jobcenter.

Ja, ich will den bundesweiten Volksentscheid und das BGE. Nein, eine Protestpartei bringt da mal gar nichts. Ein „weiter so“ kann ich mit meiner Stimme nicht verantworten. Ich wünschte mir, jeder Wähler würde sich ganz bewusst damit beschäftigen, was er wirklich will und gibt seine Stimme einem Menschen, dem er auch zutraut seinen Willen umzusetzen.

Mir ist noch immer nicht wohl, dass ich meine Stimme abgeben muss. Denn es muss ja erst eine Partei in eine Entscheidungsfunktion kommen, welche den Weg für unsere Mitbestimmung öffnet. Auch hier muss ich erst mal noch vertrauen.

Nun habe ich bereits gewählt und es ist eine DiB geworden.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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